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Die politische Partizipation guatemaltekischer Frauen

Fijáte 229 vom 21. Feb. 2001, Artikel 1, Seite 1

Die politische Partizipation guatemaltekischer Frauen

1979 wurde die Konvention gegen alle Formen von Gewalt gegen Frauen ratifiziert (3), in der die Bestrebungen der Frauen für Gleichberechtigung, Fortschritt und Frieden zusammengefasst sind. Ziel der Konvention ist, die historischen Gräben zwischen Männer und Frauen zu schliessen.

Der Zeitpunkt war nicht zufällig: Auf internationaler Ebene war die Frauenbewegung der Vereinigten Staaten sehr stark, die StudentInnenbewegungen in VGMexikoNF und Frankreich hinterliessen ihre Spuren, die Friedens- und Umweltschutzbewegungen befanden sich auf einem politischen Höhepunkt.

Drei wichtige Faktoren kamen zusammen:

- Die Politik der Entspannung und des pazifistischen Zusammenlebens erreichte mit dem Ende des kalten Krieges ihren Höhepunkt.

- Die weltweite sozioökonomische Krise liess die Frage nach dem Beitrag der traditionell ausgeschlossenen Sektoren am Fortschritt (zum Beispiel der Frauen) aufkommen, im Verhältnis zu den Vorteilen, die ihnen dieser bringt.

- Die Infragestellung der Demokratie als Philosophie und Praxis und die staatsbürgerliche Beteiligung neuer sozialer Bewegungeng: Frauen, Junge, Indígenas, UmweltschützerInnen, etc.

Während sich weltweit die Situation entspannte, spitzte sich in der guatemaltekischen Gesellschaft der bewaffnete interne Konflikt und die Repression zu und verunmöglichte jegliche politische Beteiligung der Frauen. Spezifische Interessen der Frauen, oder ein feministisches Politikverständnis, das die Geschlechterhierarchien in Frage stellte, kamen erst Mitte der achtziger Jahre erstmals zum Ausdruck. Und auch dann vor allem in den Städten, unter berufstätigen Ladinafrauen der Mittelschicht.

Während all dieser Zeit unterordnete sich das Denken und Handeln der Linken, die sich theoretisch mit dem Feminismus identifizierte, dem Klassenkampf und überging sämtliche anderen Forderungen, inkl. die feministischen und ethnischen.

Seit Beginn der achtziger Jahre erreichten die Frauen Lateinamerikas im allgemeinen und etwas später auch die Frauen Zentralamerikas im speziellen, wichtige Fortschritte in ihren organisatorischen Anstrengungen, in ihren theoretischen Debatten und in ihren konkreten Forderungen. Vor allem auf juristischer Ebene wurde vieles erreicht. Dies war der Hintergrund, auf dem Mitte der achtziger Jahre das, was wir heute 'guatemaltekische Frauenbewegung' nennen, ihren Ursprung hatte (4).

1986 wurde die Frauengruppe für die Verbesserung der Familien (VGGRUFEPROMEFAM) gegründet. Obwohl sie sich nicht als feministisch definierte, konzentrierte sich die Organisation in ihrer Arbeit auf "die Aufklärung über die Situation des Landes und die Bekämpfung der VGDiskriminierungNF von Gewerkschafterinnen". Diese Gruppe existiert heute noch und konzentriert sich auf die Arbeit mit den Arbeiterinnen in den VGMaquilasNF und den Slumbewohnerinnen, speziell in den Bereichen Frauenrechte, VGGesundheitNF und Gewaltprävention.

Zwischen 1988 und 1989 entstanden die ersten Gruppen mit einem feministischen Selbstverständnis, die den Frauen das "Bewusstsein als menschliches Wesen vermitteln wollten, das die Fähigkeit besitzt, eine wichtige Rolle in gesellschaftlichen Prozessen einzunehmen". Zu diesen Gruppen gehört Tierra Viva, die ihren Arbeitsschwerpunkt in den Bereichen sexuelle Rechte und Reproduktion, Gewalt gegen Frauen und politische Einflussnahme setzt. Ebenfalls eine wichtige Rolle spielt die Guatemaltekische Frauengruppe (VGGGMNF), die Frauen mit Gewalterfahrung psychologische Hilfe anbietet und das erste feministisch motivierte Frauenhaus Guatemalas eröffnete.

Die drei erwähnten Organisationen schlossen sich 1989 zur Koordination guatemaltekischer Frauengruppen (COAMUGUA) zusammen. Vier Jahre später, 1991, entstand aus diesem Zusammenschluss das Netzwerk gegen Gewalt gegen Frauen, das es auch heute noch gibt.

Eine andere Organisation, die zu dieser Zeit (1990) entstand, ist das Zentrum zur Unterstützung von VGHausangestelltenNF (CENTRACAP). Ihr Ziel war die "Ausbildung von Hausangestellten über ihre Arbeitsrechte und die Wertschätzung ihrer Arbeit". 1999 reichte CENTRACAP einen diesbezüglichen Gesetzesvorschlag ein.

Auf akademischer Ebene wurden in diesen Jahren an der VGUniversität von San CarlosNF spezielle Analysen über die soziale Realität und die prekären Lebensbedingungen der Frau durchgeführt. Daraus wurde 1990 mit Unterstützung des zentralamerikanischen Programms für Frauenstudien (CSUCA) die Kommission für Frauenstudien gegründet.

Seither hat, wenn auch langsam, die feministische Perspektive das universitäre Denken beeinflusst, speziell in den Bereichen Sozialarbeit und Geschichte. 1994 wurde erstmals ein Programm für VGGenderNF-Studien durchgeführt und es wurde eine universitäre Frauenkommission gegründet. Obwohl es dieser Kommission an Geld mangelt, hat sie sich in den letzten sechs Jahren für die Schaffung eines Fraueninstituts an der Universität San Carlos eingesetzt.

1993 wurde von institutioneller Seite das Kollektiv Stimmen der Frauen gegründet, das seither wöchentliche Programme über Radio Univeridad ausstrahlt.

Auch in andern akademischen Kreisen hat das Thema Gender Einzug gehalten: Die VGUniversität Rafael LandívarNF führte ein Diplom für Genderstudien ein, die Lateinamerikanische Fakultät für Sozialwissenschaften (VGFLACSONF) und die Vereinigung für den Fortschritt der Sozialwissenschaften (VGAVANSCONF) begannen, spezielle Studien zu Frauenfragen zu veröffentlichen.

Wichtig für die Entwicklung der Frauenbewegung in Guatemala waren 1992 der zentralamerikanische Frauenkongress in VGNicaraguaNF und 1994 das VI. feministische Treffen Lateinamerikas und der Karibik in VGEl SalvadorNF.

Die guatemaltekischen Frauen, die an diesen Treffen teilnahmen, konnten internationale Beziehungen knüpfen und ihre eigene Perspektive erweitern, was wiederum Einfluss hatte auf die Arbeit in Guatemala (5). Ebenfalls in diese Zeit fiel die erstmalige Beteiligung indigener Frauen an feministischen Diskussionen und der Beitritt indigener Frauen in die bestehenden Organisationen.

Das Jahr 1994 wurde aus verschiedenen Gründen ausschlaggebend für die politische Beteiligung der guatemaltekischen Frauen:

- Zum ersten Mal gab es eine öffentliche Demonstration zum internationalen Tag der Frau am 8. März. Verschiedene Frauengruppen, Ladinas und Indígenas, formulierten ihre spezifischen Forderungen. Die Koordinationsgruppe 8. März wurde gegründet, die heute noch existiert.

- Innerhalb der Versammlung der Zivilgesellschaft (VGASCNF) wurde der Frauensektor gebildet. Darin nahmen VertreterInnen von Organisationen aber auch Einzelfrauen teil und formulierten ihre konkreten Bedürfnisse. Der Frauensektor hatte Einfluss sowohl auf die interne Debatte der ASC wie auch auf die Friedensverhandlungen und den Inhalt der Friedensabkommen.

- Guatemaltekische Frauen nahmen an der internationalen Konferenz über Bevölkerung und Entwicklung teil. Über die Themen wurde bereits 1993 eine öffentliche Diskussion geführt und ein entsprechender Gesetzesvorschlag eingereicht, der jedoch abgelehnt wurde.

- Als Vorbereitungen für die von der UNO organisierte IV. Frauenkonferenz in Beijing wurden in Guatemala Workshops und Seminare durchgeführt und Berichte verfasst. Diese Aktivitäten stärkten die Zusammenarbeit der Frauengruppen und trugen zur Vernetzung innerhalb und ausserhalb des Landes bei.

In der zweiten Hälfte der neunziger Jahre konzentrierte sich die Arbeit der Frauenorganisationen in erster Linie auf das Erlangen der Bürgerinnnenrechte und auf die Menschenrechte der Frauen. Die Frage nach der politischen Einflussnahme und der aktiven Beteiligung von Frauen in der Politik standen im Zentrum. Infolgedessen stellten sich in dieser Zeit auch mehr Kandidatinnen für öffentliche Ämter zur Wahl.

Die Beteiligung von Frauen in der öffentlichen Politik ist nach wie vor sehr schwach. 1997 waren bloss 19.6% der Entscheidungspositionen in der Exekutive von Frauen besetzt. In der Judikative waren es sogar nur 15.4% und in der Legislative 13.7%. Im Jahr 2000 waren es sogar noch weniger. In der Legislative (im Kongress) hatte es nur 8 Frauen von insgesamt 113 Abgeordneten. Auf lokaler Ebene sieht es noch schlimmer aus: für die 330 BürgermeisterInnenämter kandidierten 1999 nur 14 Frauen. Die Wahlbeteiligung der Frauen hingegen betrug im Jahre 1999 laut vorsichtigen Schätzungen 48%.

Auch auf institutioneller Ebene wurden Fortschritte erreicht. 1981 wurde dem VGArbeitsministeriumNF das Nationale Frauenbüro (ONAM) angegliedert, dessen Aufgabe die Frauenförderung ist. Grundsätzlich ist jedoch das institutionelle Interesse an Frauenförderung sehr gering und was bisher erreicht wurde, war nur möglich dank der Unterstützung der internationalen Entwicklungszusammenarbeit, der Nichtregierungsorganisationen und der Frauenorganisationen. So konnten verschiedene (Weiter-)Bildungsprogramme im staatsbürgerlichen Bereich durchgeführt und Gesetzesreformen verfasst werden. Zu dieser Zeit wurde auch der Gesetzesvorschlag für die Bildung eines Nationalen Fraueninstituts (INAM) eingereicht werden.

Die ONAM engagierte sich vor allem im Bereich der öffentlichen Politik. 1996 erarbeitete sie in Zusammenarbeit mit dem Sekretariat für Soziale Werke, das unter der Leitung der Präsidentengattin steht, und mit Unterstützung verschiedener Institutionen und Gruppen, die 'Politik der Förderung und integralen Entwicklung der Frau' und den Plan 'Gleichheit 2000'.

Auf institutioneller Ebene wurde 1986 die Frauenkommission des Kongresses gebildet und 1993 wurde innerhalb der Ombudsstelle für Menschenrechte eine Fachstelle für Frauenrechte eingerichtet.

In Zusammenhang mit den Aktionen rund um den Kampf um das Erlangen der Bürgerinnenrechte der Frauen müssen weiter erwähnt werden:

- Das Gesetz gegen innerfamiliäre Gewalt (1997)

- Die Abschaffung des Ehebruchs von Frauen als Delikt

- Die Ausarbeitung eines Wahl- und Parteigesetzes, das auf einem Quotensystem für Frauen beruht (unterdessen hat der Kongress diesen Teil des Gesetzes abgelehnt, die Red.)

- Das Gesetz zur Respektierung und für eine integrale Entwicklung der Frau (1999)

Zusammenfassend kann gesagt werden, dass die Frauenorganisationen, -gruppen und -institutionen in den vergangenen Jahren ihren Spielraum behaupten und vergrössern konnten und dass sie es geschafft haben, ihre Themen in die nationale Agenda einzubringen. Durch die Teilnahme an internationalen Kongressen konnten sie ihre Perspektive erweitern und die interne Koordination stärken.

Die Frauen und der Friedensprozess

Eines der wichtigsten Ereignisse der jüngsten Geschichte Guatemalas ist sicher die Unterzeichnung der Friedensabkommen. Damit wurde dem bewaffneten internen Konflikt ein Ende gesetzt. Dieser Prozess begann Mitte der achtziger Jahre und endete am 26. Dezember 1996.

Wie bereits erwähnt, nahmen die guatemaltekischen Frauen in verschiedenen Formen an diesem Konflikt teil, seit Ende der achtziger Jahre mit einem stärkeren Frauenbewusstsein. Mit dieser Perspektive nahmen sie über den Frauensektor der ASC an den Diskussionen über die verschiedenen Themen der Friedensabkommen teil: Menschenrechte, Rechte der indigenen Völker, Wirtschaft, VGLandfrageNF, soziale Rechte, Demobilisierung.

Die Vorschläge der Frauen, die in die Friedensabkommen aufgenommen wurden, bedingen politische Änderungen, um das Ungleichgewicht zwischen Frauen und Männer im Interesse der Frauen zu verbessern. Einer der Erfolge der Friedensabkommen, der den Frauen eine gewisse Präsenz innerhalb der nationalen Politik garantiert, ist die Gründung des Nationalen Frauenforums. Bereits seine Schaffung war ein interessanter Prozess, in dem die verschiedenen Frauenorganisationen und Frauengruppen gezwungen waren, einen Konsens auszuhandeln.

Im Frauenforum sind Vertreterinnen aller linguistischen Gemeinschaften und aller soziokultureller Gruppen, sowohl aus ländlichen wie aus städtischen Gebieten, vereint. Es handelt sich um ein wichtiges soziales Übungsfeld, in dem über kulturelle Unterschiede und Verschiedenheiten diskutiert wird und das langsam die Legitimation und die Anerkennung der Frauenbewegung findet.

Während dreier Jahre entwickelte das Frauenforum eine organisatorische Aktivität, die sich von der Gemeinde- und Departementsebene auf die regionale und nationale Ebene ausbreitete. Insgesamt wurden die Meinungen zu drei Hauptfragen von rund 25'000 Frauen im ganzen Land eingeholt. 1999 wurde dem Präsident ein Dokument mit den wichtigsten Ergebnissen dieser Umfrage überreicht, die später ins bereits erwähnte Gesetz zur Respektierung und integralen Entwicklung der Frau aufgenommen wurde.

Die Perspektive der Frauenbewegung im neuen Jahrtausend

Die Mitte der achtziger Jahre entstandene Frauenbewegung hat sich zweifellos entwickelt, und auch wenn sie zum Teil noch aus Einzelinitiativen besteht, hat sie doch eine wichtige Rolle im nationalen Leben eingenommen.

Der VGNeoliberalismusNF und die VGGlobalisierungNF haben nicht nur die Bresche zwischen den Ländern des Südens und den Ländern des Nordens vergrössert. Auch die vielen kleinen Fortschritte der Frauen in Bezug auf die Verbesserung ihrer Lebensqualität werden zunichte gemacht.

Dazu kommt, dass die ideologische Offensive der konservativen Kräfte, die die Frauen wieder unter patriarchale Herrschaft stellen will, an Boden gewinnt. Diesen Diskurs hat sich zum Beispiel auch die stärkste Kraft innerhalb des aktuellen Kongresses angeeignet, der sich weigert, die Vorschläge der Frauen zur Verbesserung ihrer politischen Stellung weiterhin zu verfolgen.

Es muss aber auch gesagt werden, dass der multikulturelle, mehrsprachige und multiethnische Charakter der guatemaltekischen Gesellschaft, der von VGRassismusNF und autoritären Systemen geprägt ist, auch seitens der Frauen eine ehrliche und ernsthafte Analyse fordert, um gleichberechtigte Beziehungen aufzubauen und die Verschiedenheit zu akzeptieren.

Anmerkungen:

(1) Die Arbeiterinnen auf der VGKaffeefincaNF 'La Moderna' (in VGdeutschemNF Besitz) führten 1925 ein "für die liberale Periode der zentralamerikanischen Geschichte einmalige kollektive Aktion durch". Mehr als hundert Frauen nahmen an einem VGStreikNF teil und forderten eine tägliche Arbeitszeit von acht Stunden, die Abschaffung von Strafen und eine Lohnerhöhung. (Acuña, 1993: 305)

(2) Zwischen 1970 und Ende der neunziger Jahre nahm der Eintritt von Frauen in die Universität zu. Heute machen sie einen Drittel der StudentInnen aus.

(3) Guatemala ratifizierte diese Konvention 1982, paradoxerweise unter dem Regime von General VGEfraín Ríos MonttNF. Seither wurde jedoch staatlicherseits wenig unternommen, um die Konvention umzusetzen.

(4) An dieser Stelle muss erwähnt werden, dass es bereits in den sechziger Jahren die Frauenvereinigung 'Dolores' und 1980 die Union guatemaltekischer Frauen gab, die sich beide der Linken zuordneten.

(5) Es ist wichtig zu erwähnen, dass bereits 1987 einzelne Frauen, speziell auch aus den Flüchtlingslagern in Mexiko, am IV. Feministischen Treffen Lateinamerikas und der Karibik (Taxco, Mexiko) teilnahmen. Dieser Austausch hat das Denken der Frauen in den Flüchtlingslagern beeinflusst und sie brachten bei ihrer Rückkehr neue Perspektiven nach Guatemala.


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