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Die Suche nach den verschwundenen und verschleppten Kindern Guatemalas

Fijáte 281 vom 26. März 2003, Artikel 1, Seite 1

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Die Suche nach den verschwundenen und verschleppten Kindern Guatemalas

liegenden Dörfern von Canchún, Chichupac und Chuateguá wie auch aus Pacux von Familienangehörigen identifiziert. Drei dieser Kinder wurden damals vom Militär in Gefangenschaft gehalten, das vierte wurde der katholischen Kirche anvertraut, da die Mutter durch Militärangehörige vergewaltigt wurde. Kinder zu identifizieren (mittlerweile sind all diese Kinder erwachsen, zwischen 20 und 30) ist nicht unbedingt der erste Schritt in der Wiedervereinigung der Familien. Potenzielle Familienzusammenführung ist auch unter besten Voraussetzungen ein komplexer, schmerzhafter Prozess. Es ist nicht schwer, sich vorzustellen, dass sich das Leben der jungen Erwachsenen in Europa stark vom Leben ihrer Familien im ländlichen Guatemala unterscheidet. Sie sprechen Englisch, Norwegisch und Schwedisch. Ihre biologischen Familien sprechen die Mayasprache Achí und vielleicht ein wenig VGSpanischNF als erste Fremdsprache. Es ist gut möglich, dass aus diesem Grund erst 12 von 32 Kindern zugestimmt haben, mit ihren biologischen Familien in Kontakt zu treten. Wahrscheinlich erinnern sich die Kinder kaum an das Ausmass von Repression und Völkermord gegenüber ihren Gemeinden und wurden später auch nicht über die Zusammenhänge ihrer Adoption informiert. Unter diesen Bedingungen mag man sich fragen, ob die Suche nach Kindern, die vor über 20 Jahren verschleppt wurden, überhaupt Sinn macht. Was bringen schmerzliche Treffen mit hochmütigen und oft rassistischen Militärvertretern, wenn die Auskünfte, die sie offerieren, nur leere Worthülsen sind? Was bringt es, von europäischen Familien adoptierte Kinder zu suchen, wenn wir in Betracht ziehen, dass diese Kinder ihre Muttersprache nicht kennen, keine Ahnung von der Kultur ihrer Eltern haben und vielleicht nicht mal einem Kontakt zustimmen? Selbstverständlich sind diese Treffen und der laufende Prozess existenziell für die überlebenden Familienmitglieder, die immer noch in VGextremer ArmutNF und konfrontiert mit VGRassismusNF leben, die oft einen halben Tag zu Fuss zum nächsten Treffen unterwegs sind. Für Menschen, denen alles genommen wurde, ist es ein wichtiger Prozess, ihre zerrissenen und verstreuten Familien und Gemeinden wieder zusammenzubringen. Ausserdem bilden die Treffen eine Plattform, wo Frauen meist zum ersten Mal ihre Geschichte erzählen können, im Wissen darum, dass die anderen sich dafür interessieren, was sie zu sagen haben. Viele Frauen weinen, während sie beschreiben, wie sie aus Verzweiflung ihre Kinder der Kirche übergeben haben. Noch schlimmer schluchzen die Frauen, deren Kinder entführt und von Militärhelikoptern vor ihren Augen weggeflogen wurden. Diese Frauen sprachen womöglich zum ersten Mal in ihrem Le-

ben über ihr Leid und ihre Erfahrungen. Alte Wunden können auf verschiedene Arten geheilt werden; zu wissen, dass andere mit Mitgefühl zuhören, ist eine davon. Carlos Chen Osorio ist selbst ein Überlebender der Massaker vom 13. März 1982 in Rio Negro. Damals hatte er seine schwangere Frau und zwei kleine Kinder verloren. Heute ist er verantwortlich für die Menschenrechtsabteilung von ADIVIMA. Für ihn sind die Zusammenkünfte sehr wichtig, weil einerseits über die eigene Geschichte gesprochen wird und andererseits zumindest die Hoffnung besteht, herauszufinden, ob die eigenen Kinder noch leben. Individuelle und gemeinsame Heilungsprozesse bilden den entscheidenden ersten Schritt in Richtung sozialer Wiederherstellung und wirtschaftlicher Entwicklung in den Gemeinden. Trotz ihres Mutes, ihren Unterdrükkern gegenüber zu treten, offen und menschlich über die erlittenen Verluste zu sprechen und verschwundene Kinder zu suchen und zu identifizieren, bleiben diese Menschen arm und ausgegrenzt. Ausserdem erhalten sie für ihre entsetzlichen Verluste durch 36 Jahre Krieg in Guatemala keine Wiedergutmachung. Nichts desto trotz helfen kleinste Erfolge in Menschenrechtsfragen, auch wenn sie kaum spür- oder messbar sind, den Heilungsprozess voranzubringen und Gerechtigkeit aufzubauen.


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