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Darf er oder darf er nicht?

Fijáte 290 vom 30. Juli 2003, Artikel 7, Seite 5

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Darf er oder darf er nicht?

wortung übernehmen will. Hauptstadt unter Kontrolle von FRG-AnhängerInnen Für folgende Informationen übernimmt die Fijáte-Redaktion keine Garantie, bis zum Moment des Redaktionsschlusses (25. Juli) waren die Informationen über das Vorgefallene noch sehr unklar und z.T. widersprüchlich, obwohl sie alle aus verlässlichen Quellen stammen: Am Donnerstagmorgen, 24. Juli, fuhren aus verschiedenen Landesteilen Dutzende von Autobussen mit Personen (von rund 3000 ist die Rede) in die Hauptstadt, um für die Kandidatur von Ríos Montt zu demonstrieren. Die Leute waren bewaffnet mit Macheten, Stöcken und Schusswaffen und wurden von mit Funkgeräten ausgerüsteten Männern angeführt. Erste Ziele waren der Oberste Gerichtshof, das Verfassungsgericht, das Wahlgericht und das Centro Empresarial, ein Bürogebäude in der Zone 10, das der Hauptsitz der Unternehmensfamilie Gutiérrez (Pollo Campero) ist. Unter anderem befinden sich in dem Gebäude auch die Büros der Tageszeitung VGElPeriódicoNF und des regierungskritischen Fernsehprogramms Libre Encuentro. Ein Journalist von ElPeriódico wurde angegriffen, seine Presseausrüstung zerstört und er wurde mit Benzin übergossen, in der Absicht, ihn zu VGlynchenNF. Der Journalist Héctor Ramírez, der für die VGRadiostationNF Sonora und für die unabhängige VGFernsehanstaltNF Notisiete arbeitete, starb unter noch ungeklärten Umständen. Während einige Quellen davon ausgehen, dass er, nachdem er vor einer erzürnten Menschenmenge fliehen musste, einen Herzinfarkt erlitt, heisst es in anderen Berichten, er sei erschossen worden. Weitere Journalisten, die über die Ereignisse berichten wollten, wurden angegriffen und z.T. verletzt. Bis zum Mittag wurden in der Zone 10 diverse öffentliche Gebäude und Schulen evakuiert (z.T. nachdem Bombendrohungen eingegangen sind). Auch einige Botschaften hätten Sicherheitsmassnahmen ergriffen. Die in dem Stadtteil angesiedelten Menschenrechtsorganisationen hätten ihre Arbeit eingestellt und eine Krisensitzung einberufen. In einem Kommuniqué der VGGruppe gegenseitiger HilfeNF (GAM) wird die Bevölkerung der Hauptstadt aufgefordert, die Häuser nicht zu verlassen und sich von nichts provozieren zu lassen. Die Reaktion der Regierung auf diese Proteste war gleich null, die Polizei habe den Befehl gehabt, nicht einzugreifen, heisst es in verschiedenen Meldungen. Obwohl die ganze Zeit Helikopter über der Stadt gekreist seien, habe die Regierung erst um 15 Uhr den Einsatz der kombinierten Truppen (VGMilitärNF und Polizei) angekündigt, die dann gegen 17 Uhr ausgerückt seien. Um 20 Uhr hatten diese die Situation immer noch nicht unter Kontrolle und vor dem Obersten Gerichtshof haben sich die ,,Demonstrierenden" für die Nacht bereit gemacht, Plastikplanen wurden gespannt und Essen verteilt. Obwohl die FRG jede Verantwortung für das Geschehen von sich wies, wurden in der Menschenmenge die FRG-Abgeordneten Baudilio Hichos und Juan Santacruz sowie Kongressangestellte gesehen, die der Menge Befehle erteilten. Nachdem sich die Meldung über die Situation in der Hauptstadt im Land verbreitet hatte, fanden in einigen Städten, u.a. VGQuetzaltenangoNF und VGHuehuetenangoNF, spontane Demonstrationen gegen Ríos Montt und seine Anhängerschaft, für transparente Wahlen und die Einhaltung der Verfassung statt. Bei den lokalen ReporterInnen der Nachrichtenagentur VGCERIGUANF gingen Meldungen ein, KandidatInnen der FRG hätten die Leute in den Dörfern mit Drohungen oder dem Versprechen auf Entwicklungsprojekte zur Teilnahme an den Protesten in der Hauptstadt gezwungen. Versuch einer Analyse (frei nach Erwin Pérez und VGEnrique AlvarezNF, Incidencia Democrática) Noch drei Monate dauert es bis zu den Wahlen, noch ein halbes Jahr bis zur Einsetzung des neuen Präsidenten. Eine Prognose zu stellen, wer die Präsidentschaft gewinnen wird, und welche Art Regierung die nächsten vier Jahre das Zepter in Guatemala übernehmen wird, ist schwierig. Klar ist (umso mehr nach dem jüngsten Urteil des Verfassungsgerichts und nach dem tatenlosen Zuschauen der Sicherheitskräfte bei den Unruhen in der Hauptstadt), dass die Institutionen, die eine wichtige Rolle bei der Umsetzung der VGFriedensabkommenNF und als Garanten der Rechtsstaatlichkeit und Sicherheit spielen müssten, weiterhin unter dem Einfluss der parallelen Kräfte und VGklandestinen StrukturenNF stehen werden. Sich diese Einflussnahme zu garantieren bzw. ihren eigenen, lukrativen Abgang zu planen, ist in nächster Zeit wohl die Hauptbeschäftigung verschiedener Akteure der FRG. Insofern kann man davon ausgehen, dass die öffentlichen FunktionärInnen und Kongressabgeordneten einen grossen Teil ihrer restlichen Amtszeit mit Wahlpropaganda verbringen werden bzw. damit, sich abzusichern für den Fall einer möglichen Niederlage der FRG. Strategisch wichtig ist dabei, sich mit den VGUSANF gut zu stellen. Entsprechend scheut Aussenminister VGEdgar GutiérrezNF keine Mühe, die Bedingungen der Vereinigten Staaten bezüglich der VGDrogenbekämpfungNF zu erfüllen und erlaubt unter anderem das Patrouillieren von US-Truppen im guatemaltekischen Meeresraum. Ziel der offensichtlich restriktiveren Drogenpolitik ist die Re-Zer-

tifizierung durch die USA, die ­ bei Erfüllung der entsprechenden Bedingungen ­ für September versprochen wurde und ein letzter Trumpf im FRG-Wahlkampf sein könnte. Auch das jüngste ­ inzwischen schon wieder flexibilisierte ,,beispielhafte Vorpreschen" Guatemalas in den Verhandlungen über das VGFreihandelsabkommenNF TLC ist unter diesem Aspekt zu verstehen. Eine weitere ­ persönliche ­ Sorge diverser FRG-Leute ist, das System der Straffreiheit so weit zu etablieren und verwurzeln, dass sie auch unter einer neuen Regierung nicht befürchten müssen, für die Vergehen während ihrer Amtszeit zur Rechenschaft gezogen zu werden. Dazu gehören: Veruntreuung von Geldern, Steuerhinterziehung, Geldwäscherei, VGDrogenhandelNF, etc. Auch Ríos Montt hat diesbezüglich ein Eigeninteresse: Wird er nicht zu den Wahlen zugelassen bzw. gewinnt er sie nicht, verliert er automatisch die Immunität, die er während der letzten acht Jahre als Kongresspräsident genossen hat. Dies würde bedeuten, dass man ihn vor nationalen oder internationalen Gerichten wegen Menschenrechtsverletzungen und Genozid zur Verantwortung ziehen könnte. Vorsorglich stellen sich die FRG-Abgeordneten systematisch dagegen und behindern, dass der Strafkodex des Internationalen Gerichtshofes um letztgenannte Verbrechen erweitert wird, wie es in dessen Statuten vorgesehen ist. Wird Ríos Montt zu den Wahlen zugelassen, wird es um ,,alles oder nichts" gehen, und man braucht nicht allzu viel Phantasie, um sich auszumalen, dass er alle legalen und illegalen Register ziehen wird, um seinen Triumph zu garantieren. Mit den Protesten in der Hauptstadt hat er eine erste Kostprobe seiner Macht und Mobilisierungsfähigkeit gegeben. Bereits jetzt ist das Thema Wahlbetrug in aller Munde. Erinnert sei in diesem Zusammenhang an die über 200'000 aus der Nationaldruckerei ,,verschwundenen" Identitätskarten, die zu besitzen eine Voraussetzung ist, um seine Stimme abzugeben. Oder daran, dass sich die Armeeführung weigert, einer Liste aller Militärangehörigen an das Wahlgericht abzugeben, damit diese aus dem Wahlregister gestrichen werden, denn Militärangehörige dürfen nicht an den Wahlen teilnehmen. Gefährlich ist auch die Einstellung verschiedener Präsidentschaftskandidaten, man solle Ríos Montt nur kandidieren lassen, das Volk lasse ihn dann schon abblitzen... Viel eher sei den Oppositionsparteien geraten, sich nicht nur zu gemeinsamen Demonstrationen zusammen zu finden, sondern auch eine mittel- und langfristige Strategie zu entwickeln, um Ríos Montts Kandidatur zu verhindern und das Bewusstsein der Bevölkerung ­ auf die es schliesslich ankommen wird ­ zu schärfen.


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