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Ermittlungsfortschritte im PARLACEN-Krimi

Fijáte 391 vom 15. Aug. 2007, Artikel 3, Seite 4

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Ermittlungsfortschritte im PARLACEN-Krimi

Die Auflistung der Telefongespräche im Rahmen des Mordes weisen darauf hin, dass Carlos Orellana gemeinsam mit Marvin Contreras Natareno die zweite Befehlsebene zwischen dem Abgeordneten Manuel Castillo und den Polizisten stellten, indem sie letztere ständig darüber auf dem Laufenden hielten, wo genau sich der Wagen der Salvadorianer nach dem Grenzübertritt aufhielt.

Marvin Contreras, der wie die vier im Gefängnis ermordeten Polizisten Mitglied der VGKriminalpolizeiNF DINC war, hatte sich bereits im Februar gestellt und wurde wegen Verdachts auf Beteiligung an dem Verbrechen festgenommen. Die Tatsache, dass seine Festnahme offiziell erst vier Tage später stattfand, er aber bereits vorher verhört worden war, veranlasst seine Verteidigung dazu, die Staatsanwaltschaft der illegalen Festnahme zu beschuldigen. Diese gewährte dem lange Zeit einzigen Zeugen weder den beantragten besonderen Schutz noch die Umwandlung seiner Anklage von Mord in aussergerichtliche Hinrichtung. Stattdessen wird er jetzt zusätzlich noch der Verschwörung und illegalen Vereinigung angeklagt. Ein weiterer wegen des Verbrechens gesuchte DINC-Polizist, Carlos Humberto Orellana Aroche, wurde Ende Juli ebenfalls im Petén gefasst, wo er sich versteckt gehalten hatte. Nun ist nur noch der letzte der sieben DINC-Polizisten auf freiem Fuss: Von Jeiner Ercides Barillas Recinos fehlt bislang jede Spur.

Durch die Aussagen einer Frau bei ihrer Verhaftung aus nicht weiter detaillierten Gründen Anfang August flog der Plan auf, dass Orellana und Contreras am 15. August im Untersuchungsgefängnis bei einem zu diesem Anlass organisierten Aufstand der mit inhaftierten VGJugendbandenmitgliederNF ermordet werden sollten. Nun wurden die beiden Bedrohten in das Frauengefängnis Santa Teresa überführt. Entgegen aller gesetzlichen Vorgaben, dass Frauen und Männer getrennt zu inhaftieren seien, belegen die beiden als Schwerverbrecher Stigmatisierten nun den Bereich der Haftanstalt, in dem sich die Freizeiträume sowie die Räume für die Näh- und Backkurse der 170 Insassinnen befinden. Diese werden durch die Sonderbelegung nicht nur räumlich eingeschränkt, sondern fürchten zudem um ihre und die Sicherheit ihrer VGKinderNF, die bei ihnen leben. Selbst die Direktorin von Santa Teresa hat keine Ahnung, was in jenem Teil des Gefängnisses vor sich geht und welche Sicherheitsmassnahmen bestehen, selbst ihr wird der Zugang verweigert.

Sollte sich die Verantwortung Manuel Castillos und seiner "Crew" bestätigen fehlen jetzt nur noch das Tatmotiv und die Enthüllung der Rolle, die die ermordeten Abgeordneten spielten.

Ähnlich widersprüchlich und brüchig wie bei der Verbrechenserklärung an den Salvadorianern erscheinen die Ermittlungsberichte in Bezug auf den Mord an den vier ermordeten DINC-Polizisten, die innerhalb von 72 Stunden gefasst und verhaftet und zwei Tage später tot waren. Brutalst ermordet in der hinter acht Sicherheitstüren abgeschiedenen Zelle des Gefängnisses El Boquerón.

Die Staatsanwaltschaft will wissenschaftliche Beweise und ZeugInnenaussagen haben, mit denen sie zwölf Jugendbandenmitglieder dieser Tat beschuldigt. Der Grund: Die Polizisten seien "natürliche Feinde" der mareros, da sie gegen ihre Banden soziale Säuberungsaktionen durchgeführt hätten. Somit habe dieser vierfache Mord rein gar nichts mit dem Mord an den Abgeordneten zu tun. Zufällig gehörten die zwölf Beschuldigten dann auch noch zu den Häftlingen, die Anfang des Jahres Mitglieder der Gegenbande bei einer Anhörung mitten im Gerichtssaal niedergestochen und teilweise schwer verletzt hätten.

Um nun die vier inhaftierten Polizisten zu töten, sollen die Häftlinge einen Aufstand organisiert haben. Diese Behauptung erscheint jedoch eher fraglich. So wurden die alarmierten Zivilpolizisten, bei ihrer Ankunft am Gefängnis nicht hineingelassen mit der Erklärung, der Aufstand sollte nicht noch mehr angestachelt werden, die Gefängniswachen würden die Sachen in den Griff bekommen. Auf dem Hof waren derweil Schüsse zu hören. Die herbeigeeilte Freiwillige Feuerwehr wurde ebenfalls an den Gefängnistoren zur Umkehr bewegt, bei dem Notruf habe es sich bloss um einen schlechten Scherz gehandelt. Doch auch die Staatsanwaltschaft von El Salvador bezweifelt die Schuld der Bandenmitglieder, ebenso das Menschenrechtsprokurat (PDH). Es seien keine Spuren für einen Aufstand gefunden worden, ausserdem seien alle Häftlinge in ihren Zellen gewesen, als die PDH ins Gefängnis kam. Diese liessen sich bislang von der PDH zu keiner Aussage in Bezug auf das Tatgeschehen bewegen.

Vier von ihnen wurden im Mai vor Gericht zitiert, doch der entstehende Aufruhr der Insassen verhinderte ihren Auftritt vor der Richterin. Acht von den mareros wird inzwischen der Prozess gemacht, u.a. auch Jorge de León, mit Spitznamen "der Teuflische" - angeblich verfügt die Staatsanwaltschaft über Aussagen anderer Häftlinge, die nach dem vermeintlichen Aufstand im Februar den "Teuflischen" telefonieren gehört haben mit dem Kommentar: "Die Sache ist erledigt, Ihr könnt es in den Nachrichten sehen."

Anfang Juni sind bereits ehemalige Autoritäten der Haftanstalt und sieben Gefängniswärter wegen Komplizenschaft und Verdeckens angeklagt worden. Das Menschenrechtsprokurat wies bereits Ende April in seinem vorläufigen Bericht auf die Komplizenschaft sowohl des Gefängnissystems als auch des VGInnenministeriumsNF hin, da beide die jeweils angeforderte Sicherheit - zuerst der vier Parlamentarier auf ihrem Weg durch Guatemala und dann der vier Polizisten im Boquerón nicht gewährleistet hätten. Somit müsste nun doch Victor Figueroa zur Verantwortung gezogen werden. Der war zur Tatzeit stellvertretender Kriminalpolizeichef, kündigte nach der Inhaftierung der vier Polizisten kurzfristig und verliess mit seiner Familie das Land. Die Information, er solle nach einem Aufenthalt in VGCosta RicaNF in VGVenezuelaNF eingereist sein, wurde nicht bestätigt, Figueroa erschien zu keiner der ihn als Zeugen aufrufenden Anhörungen und lässt sich durch seinen Anwalt immer damit entschuldigen, er befinde sich schliesslich im Ausland. Im ersten seiner offenen Briefe an den Präsidenten unterstrich er seine Unschuld und Bereitschaft, bei der Aufklärung des Falles zu helfen, wenn ihm und seiner Familie die nötige Sicherheit garantiert würde. In seinem zweiten Schreiben machte er schon heikle Andeutungen in Bezug auf dunkle Machenschaften diverser aktiver und nicht mehr aktiver Staatsfunktionäre - u.a. des Präsidenten Bergers selber. Die Staatsanwaltschaft hat indes keine Beweise gefunden, die Figueroa in den Abgeordnetenfall involviert, ist jedoch derzeit dabei, eine Anklage gegen ihn zu eröffnen wegen des Verschwindens von vier Personen bei unterschiedlichen Razzien, die von Figueroa geleitet worden waren.

Und ZeugInnen wollen ihn am Nachmittag des Mordes an den Polizisten im Boquerón gesehen haben. Sowohl die Menschenrechtsorganisation VGGrupo de Apoyo MutuoNF (GAM) als auch die PDH erinnerten zudem an die Aussagen einiger BesucherInnen der Häftlinge im Boquerón gleich im Anschluss an die Tat, dass sie nämlich ein dreiköpfiges Polizeikommando in das Gefängnis haben gehen sehen und kurz darauf im Innern Schüsse hörten. Offenbar kann auch die PDH auf einige ZeugInnen zurückgreifen, die sie aber aus Sicherheitsgründen nicht preisgibt.

elPeriódico hat derweil schon im April auf interessante Zusammenhänge aufmerksam gemacht. Demnach stammt nicht nur der ehemalige Direktor des Boquerón aus Jalpatagua, Jutiapa, sondern fast alle der am Tag des Polizistenmordes Diensthabenden Wärter auch, zumindest kommen sie aus dem Departement Jutiapa.

Die Tageszeitung El Mundo aus El Salvador enthüllte ebenfalls brisante Details, und zwar über den Versuch der vier Polizisten, ihre Freiheit und Schuldentlastung zu verhandeln. Javier Figueroa fungierte hierbei als Mittelsmann zwischen den verzweifelten Polizisten und dem damaligen Innenminister VGCarlos VielmannNF. Die Beweise, die die Polizei mit dem Verbrechen an den PARLACEN-Abgeordneten eindeutig in Verbindung brachten, lagen den obersten Autoritäten beider Länder in diesem Moment bereits vor, die Presse war noch nicht informiert. Während die vier Agenten von einer ganzen Mannschaft unterstützt wurden, brachte der Vorgesetzte der vier Involvierten, Luis Arturo Herrera, ihre Verteidigung vor: "Wir haben uns geirrt, uns wurde von einer Drogenladung berichtet, die wir hochnehmen wollten und wussten nichts von den Abgeordneten." Unter Androhung, in der Polizeistation einen Aufstand zu veranstalten oder aber sich gegenseitig umzubringen, forderten sie ihre Entlastung. Im Gegenzug boten sie an, die Köpfe des Drogenkartells aus Jutiapa umzubringen. Damit könnte das durch den Mord an den Salvadorianern beschmutzte Gesicht der Polizei wieder gereinigt werden. Dabei hatte Herrera just bei einem Polizeitraining in El Salvador die Technik gelernt, die er und seine Kollegen bei dem Überfall auf die Parlamentarier anwendeten, und war als hervorragender Schüler aus dem Kurs hervorgegangen.


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