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"Es geht nicht so sehr um die grossen Fische"

Fijáte 403 vom 06. Feb. 2008, Artikel 1, Seite 1

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"Es geht nicht so sehr um die grossen Fische"

Frage: Welche Strategie verfolgt die CICIG in der Auswahl der Fälle?

C.C.: Wir müssen diejenigen Fälle auswählen, die in einem vernünftigen Zeitrahmen und realistischerweise eine Chance auf Erfolg haben. Unsere Priorität ist, uns im Land zu etablieren.

Frage: Können wir von der CICIG erwarten, dass sie eine Unterstützung der Staatsanwaltschaft ist, indem sie zusätzliches Beweismaterial liefert und die Muster aufzeigt, denen FunktionärInnen z.B. der Polizei, AnwältInnen und RichterInnen gehorchen?

C.C.: Unser Mandat konzentriert sich auf delinquente Gruppierungen, nennen wir sie illegale Körperschaften oder klandestine Systeme, die innerhalb der staatlichen Institutionen walten und in der Lage sind, für sich Straflosigkeit zu erreichen. Insofern ist das Studium dieser Gruppen, das Kennenlernen ihrer Hierarchien und ihres Funktionierens durchaus Teil unseres Mandats. Zweifellos müssen wir aber auch auf eine direkte Strafverfolgung hinarbeiten. Dazu hat man uns den Status einer Nebenklägerin gegeben.

Frage: Nebenklägerin im Fall eines "grossen Fisches"?

C.C.: Es geht nicht so sehr um die "grossen Fische", sondern um Fälle, mit denen tatsächlich etwas bewirkt und ein Paradigmenwechsel herbeigeführt werden kann.

Frage: Gibt es denn bei der Auswahl der Fälle ein Gleichgewicht zwischen den paradigmatischen Fällen und den nicht minder wichtigen, aber vielleicht auf nationaler Ebene nicht so eindrucksvollen Fällen?

C.C.: Es ist sicher schwierig, hier ein Gleichgewicht zu finden, aber wir sind uns bewusst, dass es etwas zwischen dem "Fall der Fälle" und einem Bagatell-fall sein muss. Es sollen Fälle sein, die in der öffentlichen Meinung Interesse wecken und die als Beispiel oder Referenzpunkt dienen. Gleichzeitig sollten die Fälle lösbar sein, damit wir uns nicht in endlosen Untersuchungen verlieren. Ansonsten würden wir am Schluss den Beweis liefern, dass die Straflosigkeit immer gewinnt und dass nicht einmal die internationale Gemeinschaft in der Lage ist, dem etwas entgegen zu setzen.

Frage: Wie wird Ihre Berichterstattung aussehen?

C.C.: Unsere öffentliche Berichterstattung kann jederzeit stattfinden. Sie wird eher genereller Art sein und nicht spezifische Fälle beinhalten. Die Berichterstattung soll vielmehr Teil einer Bewusstseinskampagne sein, mit der z.B. die Universitäten, die Medien oder Nichtregierungsorganisationen arbeiten können. Die Unterstützung der öffentlichen Meinung gibt uns auch ein Stück Sicherheit.

Frage: Wo braucht es Gesetzesänderungen oder veränderte administrative Abläufe, damit die Straflosigkeit ausgemerzt werden kann?

C.C.: Wir haben eine Umfrage gestartet bei unseren offiziellen Partnerinstitutionen, aber auch innerhalb der Zivilgesellschaft, damit sie uns als KennerInnen des Systems sagen, wo sie die Schwachpunkte sehen. Ich hoffe, dass es möglichst wenige wirkliche Systemfehler gibt, denn ich weiss, dass eine Gesetzesreform eine langwierige Angelegenheit sein kann, die wir uns als kurzfristig eingesetzte Institution eigentlich nicht leisten können. Unsere Idee ist, dass wir kurzfristig und mit den vorhandenen Werkzeugen arbeiten können und höchstens Vorschläge machen für notwendige längerfristige "chirurgische" Eingriffe.

Frage: Ist es nicht etwas suspekt, dass Guatemala nicht über eine Staatspolitik in Sachen Verbrechensbekämpfung verfügt?

C.C.: Ich glaube, das ist ein Ausdruck der aktuellen Krise. Es ist unmöglich, in Momenten der Uneinigkeit eine gemeinsame und von allen akzeptierte Politik zu gestalten. Hier sehe ich wieder eine Chance für die CICIG, die über den internen und externen Spaltungen linker und rechter politischer Parteien steht. Wir können Probleme allgemeiner Natur angehen, die keine der bestehenden Parteien überhaupt auch nur ansprechen kann.

Frage: Wie ist die Akzeptanz der CICIG von den Institutionen, mit denen Sie zusammenarbeiten werden und bei der internationalen Gemeinschaft?

C.C.: Ich erfahre eine uneingeschränkte Akzeptanz seitens der internationalen Gemeinschaft und ich bin überzeugt, dass ihre Unterstützung nicht nur finanzieller Art ist. Auch von der guatemaltekischen Gesellschaft bekomme ich mehrheitlich positive Reaktionen, die von uns Initiativen erwarten, denen sich die Bevölkerung anschliessen kann. Es geht uns ja darum, den Rechtsstaat zu stärken, die Demokratie als politisches System anzuerkennen. Viele Menschen glauben, dass die Tatsache, dass alle vier Jahre ein Präsident gewählt wird, der dann auch sein Amt antritt, bereits Demokratie sei. Das ist sicher eine Grundvoraussetzung, aber die Grundlage eines Rechtsstaates ist, dass das Recht auch angewendet wird, die Bevölkerung sich geschützt und von ihren Institutionen vertreten fühlt. In einem Land, in dem die Bevölkerung ihren Institutionen misstraut und sie deshalb meidet, kann man nicht von Demokratie sprechen.

Frage: Eine der Grundbedingungen, damit die Kommission erfolgreich arbeiten kann, ist Diskretion. Eines der grossen Übel in Guatemala ist jedoch, dass die Medien diesen Begriff nicht kennen und keinerlei Zurückhaltung üben. Welche Massnahmen wird die Kommission in dieser Beziehung treffen?

C.C.: Wir werden uns nicht gross hervortun, denn das Rezept für unseren Erfolg ist Diskretion. Anderseits gibt es natürlich das Recht auf Information. Wir werden also eine Gratwanderung machen müssen zwischen Veröffentlichen und Verschweigen von Information. Dabei wird für uns immer der entsprechende Fall im Mittelpunkt stehen. Ich möchte bei dieser Gelegenheit auch an die Verantwortung der Medien appellieren. Sie sollen darauf vertrauen, dass wenn ich einmal keine Information geben kann, dies im Interesse des Falles ist und nicht gegen sie. Wenn es etwas zu sagen gibt, bin ich der erste, der ohne Hemmungen und falsche Rücksichtnahmen spricht.

Frage: Die Regierung hat 50 Mio. Quetzales (ca. 5,8 Mio. US-$) im Budget 2008 für die CICIG bereitgestellt. Der Betrag erscheint im Budget des VGInnenministeriumsNF. Wie wird dieses Geld ausgegeben?

C.C.: Es ist mir wichtig festzuhalten, dass die CICIG kein Geld von der guatemaltektischen Regierung erhält. 100 Prozent der Finanzierung stammt von externen Geldgebern, die einen Betrag in einen Fonds der UNO eingezahlt haben. Das Geld der guatemaltekischen Regierung fliesst vor allem in den Schutz des Personals und der Gebäude, die von der CICIG gemietet werden. Der Rest des staatlichen Geldes fliesst in die Stärkung jener Institutionen, mit denen die CICIG zusammenarbeitet.

Frage: Weshalb haben Sie diesen Job akzeptiert?

C.C.: Es gibt keinen speziellen Grund. Ich glaube, es ist die Fügung meines beruflichen Schicksals und anderer "Unfälle". Ich war bereits 2003 bei der Ausarbeitung der Vorschläge für die CICIACS dabei und später bei der Definition der CICIG. Ausserdem hat mich beruflich schon immer die Kombination von Menschenrechten, Delinquenz und VGKorruptionNF fasziniert, insofern war ich fast prädestiniert für diesen Posten. Es ist sicher kein einfacher Job, aber es ist eine Herausforderung für mich, einem Land in einer schwierigen Situation zu helfen. Einem Land, das darum kämpft, seine bürgerlichen und politischen Rechte einzufordern.


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