Zwei gegensätzliche und doch voneinander abhängige Welten
Fijáte 459 vom 28. April 2010, Artikel 1, Seite 1
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Zwei gegensätzliche und doch voneinander abhängige Welten
Das staatliche Gesundheitssystem in Guatemala steht seit jeher in Konflikt mit den traditionellen Heilmethoden der indigenen Bevölkerung. Diskriminierung von Maya-Hebammen, Diskreditierung von gewissen Heilmethoden bis hin zur Verfolgung von praktizierenden HeilerInnen sind die Folgen eines rassistischen Umgangs mit allem Indigenen. Leider ging dadurch auch sehr viel Wissen verloren und die Negierung der indigenen Heilkräfte führte zu einer Verunsicherung selbst der indigenen Bevölkerung, welcher Medizin sie sich anvertrauen soll. Nun laufen erste Bestrebungen seitens des staatlichen Gesundheitswesens, das Verhältnis der beiden medizinischen Systeme zu normalisieren und sie nicht als Konkurrenz, sondern als Ergänzung zueinander zu sehen. Der folgende Artikel erschien am 9. April in Inforpress Centroamericana Nr. 1841. Seit Januar 2010 funktioniert innerhalb des guatemaltekischen Gesundheitssystems (MSPAS) die "Einheit für die Gesundheit der indigenen Völker und für Interkulturalität". Ihre Aufgabe ist es, Programme, Normen und Strategien für die Entwicklung der indigenen Volksgesundheit zu erarbeiten. Dazu gehört auch Respektierung und Würdigung des medizinischen Wissens und der therapeutischen Methoden der indigenen Völker Guatemalas. Die Leiterin der Einheit, Lourdes Xitumal, erklärt, dass seitens der Indígenas der Rat der indigenen Völker an der Ausarbeitung des Mandats der Einheit beteiligt sei. Man stehe noch völlig am Anfang, doch habe man in den ersten Monaten des Jahres bereits eine Art interkulturelle Gesundheitswochen durchgeführt, bei denen SpitaldirektorInnen, GesundheitsfunktionärInnen sowie weitere Schlüsselpersonen des Gesundheitsbereichs Workshops über Gesundheit und die Bedeutung von Kultur bekommen hätten. Gemäss Donato Camey, dem operativen Koordinator dieser interkulturellen Gesundheitseinheit, "geht es nicht darum, das Wissen bzw. das Gesundheitssystem der indigenen Völker in die westliche Medizin zu integrieren, sondern man will vielmehr diese Strukturen stärken, da sie eine präventive Alternative bilden". Keine Institution des Staates dürfe das indigene Gesundheitsverständnis regulieren wollen, denn dieses folge einer völlig anderen Logik und Erziehungsweise, meint Camey und nennt das Beispiel der traditionellen Hebammen, die gemäss der Maya-Konzeption an einem bestimmten Tag auf die Welt kommen müssen, der sie dazu prädestiniert, den Hebammendienst für die Gemeinde zu leisten. Entsprechend ist denn auch ihre Stellung innerhalb der Gemeinschaft und die Art ihrer Entlöhnung. Diese Hebammen nun ins offizielle Gesundheitssystem integrieren zu wollen und ihnen einen standesgemässen Lohn zu bezahlen, würde bedeuten, die Dynamik und Logik der Gemeinde zu durchbrechen und würde andere Frauen, die nicht die "Gabe zur Hebamme" besitzen, dazu verleiten, diesen Beruf auszuüben. Damit würde eine Schwächung der kommunalen Strukturen erreicht, was überhaupt nicht im Sinne des MSPAS sei, so Camey. Vielmehr müssten diese Strukturen auf eine Art und Weise begleitet und unterstützt werden, welche die Kultur der betroffenen Bevölkerung respektiert, so dass die Menschen zufrieden sein und Vertrauen ins offizielle System aufbauen könnten. Schöne Worte fern der RealitätDiese Zuversicht wird von den ExpertInnen der Maya-Volksmedizin wie z. B. Carlos Enrique Lix nicht geteilt. Lix arbeitet in einer Dachorganisation von 57 Basisorganisationen, die seit 37 Jahren im Bereich der Volksmedizin tätig ist. "Es stimmt, dass es in den Gemeinde gewisse Zahlungsmechanismen für traditionelle GesundheitsarbeiterInnen gibt und dass diese ihre Arbeit vor allem aufgrund einer Berufung ausüben. Aber das bedeutet nicht, dass diese Leute nicht auch Grundbedürfnisse hätten wie Wohnung, Ernährung, Erholung, die befriedigt sein müssen, damit sie ihrer Arbeit überhaupt nachgehen können. Was die Hebammen betrifft, begleiten sie in vielen Departements des Hochlandes rund 90% der Geburten, landesweit sind es durchschnittlich rund 60%. Konkret heisst das, sie bekommen vom offiziellen Gesundheitssystem keinen Lohn, werden aber von diesem dazu missbraucht, um gewisse Ziele zu erreichen. Sie erscheinen auch nicht im Budget des Gesundheitsministeriums. Der Staat muss aber diese Arbeit honorieren genauso wie diejenige anderer staatlichen FunktionärInnen", beschwert sich Lix. Ebenfalls sei es in keiner Weise nachhaltig, sich bei der Basisgesundheitsversorgung in den indigenen Gemeinden auf die Arbeit von GesundheitspromotorInnen zu stützen und die Arbeit dieser Leute nicht zu reglementieren bzw. zu legalisieren, derweil der Gesundheitscodex klar vorschreibe, dass jede Person, die im Gesundheitsbereich arbeitet, vom Gesundheits- bzw. vom Erziehungsministerium, wenn es um Weiterbildung geht, autorisiert sein muss. Maya-MedizinerInnen passten in keine dieser Schemen, da sie ihr Wissen auf informellem Weg erwerben, so Lix. Trotz diesen Mängeln begrüsst Lix diese neue Einheit und hofft, dass sie den bisher vergeblichen Versuchen, der traditionellen Medizin zu Anerkennung zu verhelfen, etwas mehr Gewicht verschafft. Nichts NeuesBereits 2002 und dann nochmals 2007 wurden ähnliche Vorstösse lanciert, zum Teil von denselben Leuten wie z. B. Carlos Enrique Lix, doch hat sich bisher nie wirklich etwas getan. Die grosse Frage ist nun, ob die neu geschaffene "Einheit für die Gesundheit der indigenen Völker und für Interkulturalität" eine Konkurrenz zu den bisherigen Bemühungen ist, indem sie wieder bei null beginnt, oder ob es ihr gelingt, auf den bereits erarbeiteten Vorschlägen aufzubauen und diesen zu neuen Impulsen zu verhelfen. Einig sind sich indes alle ExpertInnen, dass die heutige Anerkennung und Würdigung der traditionellen Maya-Medizin das Ergebnis einer langjährigen Arbeit und Aufklärung ist und nicht den Institutionen, sondern den indigenen Basismedizinprojekten zu verdanken ist. Ein wichtiger Beitrag zur Schaffung der Einheit hat auch die "Nationale Allianz indigener Frauen für reproduktive Gesundheit" geleistet. Ihr erster Erfolg ist es, dass die Einheit innerhalb des MSPAS erreicht hat, dass endlich auch die von vielen indigenen Frauen praktizierte vertikale Geburt (im Vergleich zur liegenden Geburt) in den öffentlichen Spitälern und Gesundheitszentren erlaubt ist und die Geburtssäle dafür ausgestattet sowie das Personal entsprechend instruiert und ausgebildet wird. Die indigenen Völker Guatemalas verstehen Gesundheit als den Ausdruck eines Lebens gemäss den Gesetzen der Natur und der Gesellschaft; Krankheit ist die logische Konsequenz einer Verletzung dieser Normen. Schon immer hatten sie ihre unterschiedlichen TherapeutInnen, welche nach den kulturellen und spirituellen Bräuchen der jeweiligen Gemeinde arbeiteten: Kräuterfrauen oder -männer, "KnochenflickerInnen", HeilerInnen, MasseurInnen, Hebammen und spirituelle FührerInnen, die vor allem im psychosozialen Bereich und gemäss der Maya-Kosmovision arbeiten. Seit es sie gibt, wird ihre Arbeit seitens der westlichen und/oder offiziellen Medizin in Frage gestellt. Langsam hat aber ein Umdenken stattgefunden, und sowohl die Wissenschaft wie auch die Gesundheitssysteme anerkennen den präventiven und aufklärenden Wert der traditionellen Medizin. Nach oben |
In vielen vor allem ländlichen Gegenden Guatemalas ist die traditionelle Maya-Medizin nicht bloss der indigenen Bevölkerung vorbehalten, sondern oft die einzig überhaupt verfügbare. Es gibt eine riesige Diskrepanz zwischen den ladinen urbanen und den indigenen ländlichen Regionen was die medizinische Versorgung betrifft. Entsprechend häufig sind in den ländlichen Gegenden Infektionen und Krankheiten zu beobachten, die mit der Ernährung, dem Trinkwasser oder mit Schwangerschaften zu tun haben. Nicht nur eine Frage des GeldesEin weiteres Problem sind die mangelnden finanziellen Ressourcen im Gesundheitswesen. Gemäss der Organisation Beobachter sozialer Ausgaben ist das Budget des Gesundheitsministeriums ständigen Modifikationen und Kürzungen unterworfen, die keinem ersichtlichen Konzept folgen. Der Budgetposten "Promotion und Prävention" wurde im Lauf des Jahrs 2009 um 40% gekürzt, "Reproduktive Medizin" wurde um 61% gekürzt, " HIV und Aidsprävention" um 48%. Aber es ist nicht bloss ein Problem fehlender Ressourcen. Das guatemaltekische Gesundheitssystem ist in verschiedene Bereiche unterteilt: die Spitäler, die Sozialversicherung, die Gesundheitsdienste der Armee und die Gesundheits- und Sozialprogramme der Regierung sowie die Universität San Carlos. Dazu kommen noch die privaten Gesundheitsanbieter. Zwischen diesen einzelnen Sektoren gibt es keine Kooperation, sondern vielmehr eine Konkurrenz oder schlichtweg Ignoranz einander gegenüber. Wodurch natürlich die schwächsten Mitglieder der Gesellschaft, in diesem Fall die medizinisch bedürftigen Indígenas, aus dem System fallen, dass sie für niemanden eine interessante Zielgruppe sind bzw. sie die Hürden (Geld, formale Arbeit, Sprache etc.) zum Zugang zu medizinischer Versorgung nicht überwinden können. Im Mai 2007 gab die Panamerikanische Gesundheitsorganisation (OPS) bekannt, dass die öffentlichen Ausgaben für Gesundheit in Guatemala zwischen 1995 und 2003 um 50% zurückgegangen seien. Als Konsequenz davon seien die privaten Ausgaben für Gesundheit um 60% gestiegen. Diese Ausgaben betrafen zum grössten Teil die Deckung medizinischer Grundbedürfnisse, welche die Leute mangels garantierter und kostenloser Grundversorgung selber berappen müssen. Für viele Leute ist auch dies ausserhalb ihrer finanziellen Möglichkeiten. Regulieren oder integrieren?In diesem Kontext wurde in den letzten Jahren vermehrt über die Notwendigkeit diskutiert, die traditionelle Maya-Medizin ins offizielle Gesundheitssystem zu integrieren. Der Zugang der indigenen Bevölkerung zur Gesundheitsversorgung ist ein soziales Recht, das durch die Unterzeichnung diverser nationaler und internationaler Abkommen vom guatemaltekischen Staat anerkannt ist. Auch der Gesundheitskodex aus dem Jahr 1996 anerkennt die traditionelle Medizin, enthält aber keinerlei normativen Grundlagen, wie mit ihr umgegangen werden soll. Das grösste Problem ist die gegenseitige Unkenntnis. Schon in den 70er Jahren wies z. B. der Landarzt Juan José Hurtado darauf hin, dass er vieles, was seine PatientInnen über ihre Krankheit erzählen, nicht verstehe. Oft sei er irritiert über das Gewicht, das sie gewissen Symptomen gaben, die für ihn keine Bedeutung hätten, die er aber im kulturellen Kontext akzeptieren müsse. Der Arzt schrieb damals: "Das fundamentale Problem der westlichen ÄrztInnen ist, dass sie meinen, ihre Mission sei es, eine mentale Leere aufzufüllen, und davon ausgehen, dass die Leute keine eigenen Erfahrungen mit ihren Krankheiten hätten, was vollkommen falsch ist." Felipe Pol, Leiter eines Barfussmedizin-Projekts, bestätigt diese gegenseitige Unkenntnis und sieht darin das grösste Problem der Unkompatibilität. Dies führe dann dazu, dass man nicht in der Lage oder willens sei, einander gegenseitig PatientInnen zu überweisen, womit man diesen oft heilende oder lebensrettende Dienste vorenthalte. Pols Organisation arbeitet seit Jahren mit Ärzten und Krankenschwestern im Bereich der Pflanzen- und traditionellen Maya-Medizin und versucht, ihnen deren präventiven Charakter schmackhaft zu machen. Auf der anderen Seite erklären sie den Maya-MedizinerInnen, wie das offizielle Gesundheitssystem funktioniert und wie sie es anstellen müssen, um die Formalitäten für eine PatientInnenüberweisung zu erfüllen. Ein weiterer Aspekt der Arbeit ist das Sammeln und Bewahren des traditionellen Wissens sowie die Stärkung von medizinischen Basisprojekten. Diese wurden während dem Krieg stark geschwächt und haben heute damit zu kämpfen, dass gewisse religiösen Sekten sie verteufeln wollen bzw. die Jugendlichen keine Lust haben, sich in jahrelangen Prozessen ein Wissen anzueignen, das sie nicht in einem bezahlten Beruf umsetzen können. |
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