30 Jahre Massaker in der Spanischen Botschaft
Fijáte 454 vom 17. Februar 2010, Artikel 1, Seite 1
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30 Jahre Massaker in der Spanischen Botschaft
In diesen Tagen erinnern sich viele AktivistInnen aus den sozialen Bewegungen Guatemalas an den Brand der Spanischen Botschaft vor 30 Jahren, bei dem 38 Menschen qualvoll starben. Auch im ¡Fijáte! wollen wir einmal mehr das Thema aufgreifen und an die Aktion der BäuerInnen und Studierenden und die mörderische Reaktion der Sicherheitskräfte der Diktatur erinnern sowie eine Zusammenfassung der juristischen Aufarbeitung machen. Zunächst ein Blick zurück ins Jahr 1980. Seit vielen Jahren herrschten in Guatemala Militärdiktaturen. Die Guerilla kämpfte mit militärischen Aktionen gegen die Ungerechtigkeiten im Land, während sich soziale Bewegungen wie das Komitee für BäuerInneneinheit (CUC), teils unterstützt durch Teile der Kirchen, mit gewaltfreien Mitteln gegen die Repression des Militärs und der Zivilpatrouillen (PAC) und für Landreformen und soziale und politische Rechte einsetzten. Folterungen, Entführungen, Morde und Massaker gegen die indigene Bevölkerung nahmen unter der Regierung von Romeo Lucas Garcia stetig zu. Ende Januar 1980 beschlossen daher einige LandarbeiterInnen und BäuerInnen, unterstützt von Studierenden der Universität San Carlos (USAC), bewaffnet mit Macheten (und möglicherweise Molotow-Cocktails, das ist umstritten), die Spanische Botschaft friedlich zu besetzen, um die gleichgeschaltenen Medien des Landes und die Weltöffentlichkeit auf die Menschenrechtsverletzungen in Guatemala aufmerksam zu machen. "All die Ungerechtigkeit, all die Bosheit und all die Feigheit der nationalen Armee sind der Grund, warum wir in die Hauptstadt gekommen sind (...). Die Zeitungen und Radios wollten nichts veröffentlichen, weil auch deren MitarbeiterInnen von der Regierung Morddrohungen erhalten haben (...). Uns bleibt keine Alternative, als in der Spanischen Botschaft zu bleiben, um unsere Anklage dem ganzen Volk Guatemalas und allen Völkern der Welt bekannt zu machen (...)", so die schriftliche Erklärung der BesetzerInnen. Der damalige spanische Botschafter Máximo Cajal hatte gerade eine Unterredung mit dem Aussenminister Adolfo Molina Orantes, dem Vizepräsidenten Eduardo Cáceres Lenhoff und dem Juristen Mario Aguirre Godoy. Er bat die eindringenden AktivistInnen, die Aktion abzubrechen, da er nicht für deren Sicherheit garantieren könne. Gleichzeitig forderte er den Präsidenten Lucas Garcia und seinen Innenminister Donaldo Alvarez auf, die Botschaft als Hoheitsgebiet Spaniens zu respektieren und von Gewalt abzusehen. Drei Stunden lang versuchte er die Verantwortlichen zu kontaktieren, auch die BesetzerInnen wollten verhandeln. Aber die Regierung blieb stur. "Holt sie da heraus, egal wie", lautete laut ZeugInnenaussagen der drastische Befehl des damaligen Präsidenten Lucas García an den Innenminister Álvarez Ruiz, der den Polizeichef Valiente Tellez entsprechend instruierte. Die Polizei drang mit Beilen und Spitzhacken in das Gebäude ein. Ab 13 Uhr waren die Telefonleitungen der Botschaft abgeschnitten, um 15 Uhr stand das Büro des Botschafters, in dem alle Besetzenden Zuflucht gesucht hatten, in Flammen. Auf der Strasse, wo AugenzeugInnen schrien, "sie verbrennen am lebendigen Leib", blieb die Polizei untätig. Die Feuerwehr griff erst nach zehn Minuten ein und nach drei Minuten war alles vorbei. Odette Arzú, Zuständige vom Roten Kreuz, der der Eintritt ins Gebäude verwehrt wurde, berichtete, dass einer der Polizeikommissare schrie "es darf keiner, kein Zeuge übrig bleiben". Drei Menschen überlebten den Brand. Der Anwalt Mario Godoy hatte die Botschaft kurz vor dem Brand verlassen, Botschafter Máximo Cajal entkam mit geringen Verletzungen durch die in Flammen stehende Tür während der Landarbeiter Gregorio Yujá unter den anderen aufgestapelten Leichen lag und dadurch vor den Flammen geschützt wurde. Er wurde gemeinsam mit Cajal in ein Krankenhaus gebracht, doch kurz darauf von Bewaffneten entführt. Seine Leiche wurde wenige Tage später mit Zeichen von Folter vor dem Rektorat der Universität San Carlos aufgefunden. Im weiteren Verlauf wurde Jagd auf alle Angehörigen der BesetzerInnen gemacht, zu denen auch Vicente Menchú, Vater der späteren Friedensnobelpreisträgerin Rigoberta Menchú Túm, gehörte, ein Umstand, der für die Versuche, das Geschehen zu juristisch zu sühnen, eine Rolle spielte. Seite 2 Die spanische Regierung brach die diplomatischen Beziehungen zu Guatemala ab. Pro forma übernahm die Regierung 1984 die Verantwortung, worauf Spanien die Beziehungen wieder aufnahm. Besonders "gut" waren diese unter dem konservativen Präsidenten José Aznar, der auch die Aufarbeitung der Untaten der guatemaltekischen Regierung selten anmahnte. Ganz anders die spanische Justiz: Am 27. März 2000 entschied der spanische Richter Guillermo Ruiz Polanco, dass das spanische Nationalgericht die Kompetenz hat, auf die von der guatemaltekischen Friedensnobelpreisträgerin Rigoberta Menchú eingereichten Klagen gegen acht guatemaltekische Generäle, unter ihnen Lucas García, Ríos Montt und Mejía Victores, einzugehen. Eigentlich, so Polanco, sei zwar Guatemala für die Überprüfung der vielen Indizien für einen Völkermord an der indigenen Bevölkerung Anfang der 80er Jahre zuständig, da die lokale Justiz aber nichts dergleichen unternehme, müsse sie sich nicht beschweren, wenn Spanien dies tue, zumal mit dem Niederbrennen der Spanischen Botschaft spanische Interessen berührt seien. Daraufhin wurden zunächst mehrere rechtliche Einsprüche von Seiten der Verdächtigen angestrengt, die jedoch allesamt von spanischen Gerichten niedergeschlagen wurden. Einige waren jedoch insofern erfolgreich, als der Oberste Gerichtshof Spaniens 2003 entschied, dass nur Fälle mit Bezug zu Spanien untersucht werden dürften, also wenn entweder spanisches Territorium (Botschaftsgelände) oder spanische StaatsbürgerInnen von Menschenrechtsverletzungen betroffen seien. Nach oben |
Am 10. Dezember 2004 (Tag der Menschenrechte) erliess die spanische Justiz einen Haftbefehl gegen Donaldo Alvarez Ruiz, Innenminister unter verschiedenen Militärmachthabern und bekannt als besonders fanatischer Antikommunist und Folterer. Dessen Aufenthaltsort war jedoch unklar. Es gab Gerüchte, er sei in Panama, andererseits soll er in Mexiko gelebt und dort ein Unternehmen geführt haben. Dort wurde er auch 2006 aufgespürt, aber die mexikanischen Behörden ermöglichten ihm die Flucht, so dass sein Aufenthaltsort weiterhin unbekannt ist. Im September 2005 entschied das spanische Verfassungsgericht auf Grundlage des Völkerrechts, dass Spanien bei Verbrechen gegen die Menschlichkeit, Genozid oder Völkermord auch Fälle untersuchen darf, bei denen Nicht-SpanierInnen betroffen seien. 2006 übernahm der Richter des Spanischen Gerichtshofs Santiago Pedraz die Untersuchung und flog nach Guatemala, um die dort unbehelligt lebenden beschuldigten Ex-Präsidenten und Regierungsangehörigen zu befragen. Diese verweigerten jedoch die Aussage, da sie sich durch den spanischen Staatsanwalt in ihren Verfassungsrechten beschnitten fühlten. Dennoch konnte Pedraz einige Indizien zusammentragen, die seine Untersuchung derart voranbrachten, dass er im Juli desselben Jahres Haftbefehle gegen sieben Beschuldigte erliess, von denen einige, nämlich Donaldo Álvarez Ruiz, (Ex-Innenminister), German Chupina Barahona (Ex-Polizeidirektor) und Pedro García Arredondo (Chef einer Polizeibrigade), als die Drahtzieher der Ereignisse in der Spanischen Botschaft galten. Der damalige Präsident Lucas Garcia verstarb im Mai 2006, Chupina Barahona im Februar 2008 . Die Hoffnung auf Gerechtigkeit stieg - und auch die auf eine Entschädigung der Angehörigen der Opfer. Die damalige Leiterin des Nationalen Entschädigungsprogramms (PNR) und Gründerin der Witwenorganisation CONAVIGUA, Rosalina Tuyuc, hatte Anfang 2007 angekündigt, in Kürze den Familien der 37 Opfer des Botschaftsmassakers eine Entschädigungssumme von je rund US-$ 3´000 auszuzahlen. Ob das aber unter ihr oder ihrem Nachfolger je geschehen ist, bleibt unklar. Im März 2007 akzeptierten guatemaltekische Gerichte die Ersuche von Pedraz und im Oktober 2007 auch das guatemaltekische Verfassungsgericht. Die Auslieferung der Beschuldigten nach Spanien schien nah zu sein. Aber dann zerschlug eine neue veränderte Entscheidung des guatemaltekischen Verfassungsgerichts diese Hoffnung. Es erklärte sowohl die Haftbefehle wie die Auslieferungsanträge für ungültig. Allerdings galt das nur für Guatemala. Für andere Länder galten die Haftbefehle sehr wohl. Daraufhin nahm Pedraz - angesichts der "Verweigerung der Kollaboration von Seiten der guatemaltekischen Autoritäten" - Abstand davon, seine Ermittlungen in Guatemala fortzusetzen. Dagegen bat er nun die internationale Gemeinschaft um Unterstützung im Untersuchungsprozess wegen Völkermordes gegen sieben ehemalige Militärs und zwei zivile Funktionäre. Bis Februar 2009 hat Pedraz mehrfach ZeugInnen des Geschehens in der Botschaft wie auch diverser Massaker nach Madrid eingeladen. Zuletzt bezeugte der deutsche Völkerrechtler Christian Tomuschat, der die guatemaltekische Wahrheitskommisison (CEH) leitete, dass Guatemala sich nicht an der Aufarbeitung der Ereignisse beteiligt habe, und die Leiterin des US-Sicherheitsarchivs Katharine Doyle belegte, dass die US-Sicherheits- und Geheimdienstorgane in den 80er Jahren über die brutalen Militäroptionen und Massenmorden an der indigenen Bevölkerung Bescheid wusste. Fazit: Auch weiterhin ist kein Beschuldigter zu Rechenschaft gezogen worden. So zeigen sich zum 30. Jahrestag des Brandes in der Spanischen Botschaft Angehörige der Opfer wie der CUC-Aktivist Rafael González Yos in einer Stimmungslage zwischen frustriert und kämpferisch. González hofft auf den Einfluss von CICIG, um die guatemaltekische Justiz dazu zu bewegen, das Geschehen endlich juristisch aufzuarbeiten. Und der Menschenrechtsaktivist und Kolumnist Miguel Ángel Albizures beklagte in einem Internet-Blog am 27. Januar, dass die jungen Menschen heutzutage nichts über das Geschehen wüssten. "Man muss es ihnen erzählen, weil wir die Betroffenen nicht vergessen dürfen, nicht vergessen wollen. Weil ein Volk, das seine Geschichte vergisst, nicht in der Lage ist, seine Zukunft aufzubauen. Jede Zukunft wird nur besser, wenn die Fehler und die kriminellen Taten der Vergangenheit berücksichtigt werden, damit sie nicht wieder geschehen. Am kommenden Sonntag, dem 31. Januar, jährt sich zum 30. Mal das Massaker in der Spanischen Botschaft. Hat man in der Staatsanwaltschaft vergessen, die Untersuchungen fortzusetzen? Werden die Akten nach dem Tod von Lucas Garcia, Valiente Tellez und German Chupina in den Archiven versauern? Werden auch in den nächsten Jahren Donaldo Alvarez und Pedro Garcia Arredondo und andere nicht vor Gericht gebracht? Man muss die Untersuchungen weiterführen gegen die Korrupten von früher und von heute." |
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