Hijóle, die monatliche Kolumne von Fernando Suazo: Der Staat spielt in der gegnerischen Equipe
Fijáte 463 vom 23. Juni 2010, Artikel 5, Seite 6
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Hijóle, die monatliche Kolumne von Fernando Suazo: Der Staat spielt in der gegnerischen Equipe
Wir können zufrieden sein, denn zumindest haben wir verhindert, dass sich die Leute des organisierten Verbrechens einfach so in die Strukturen der Staatsanwaltschaft haben einschleusen können. Das ist doch fast so gut wie ein erfolgreicher Beginn der Fussballweltmeisterschaft … Aber so einfach ist es nicht, denn: wer kann genau die Trennlinie zwischen Staat und organisiertem Verbrechen definieren? Sind es nicht die höchsten staatlichen FunktionärInnen, die den neuen Staatsanwalt empfohlen haben? War es nicht das Torres-Colom-Gespann und die ihnen nahestehenden Abgeordneten, die sich trotz aller Warnungen der zivilgesellschaftlichen Organisationen und der CICIG darauf versteift haben, diesen Reyes in die Staatsanwaltschaft zu setzen? Habt Ihr gesehen, wie der Herr Präsident sofort die Messer gewetzt und die Institutionalität verteidigt hat, als Castresana darauf verwies, dass der Gewählte mit dem organisierten Verbrechen verbandelt ist? Also: Wen genau haben wir als Gegner, das organisierte Verbrechen oder den Staat, der es verteidigt? Ein paar Beispiele. Erstens: Am 20. Mai hat die Interamerikanische Menschenrechtskommission schützende Massnahmen zugunsten der BürgerInnen der 18 indigenen Gemeinden in San Miguel Ixtahuacán und Sipakapa empfohlen und den Staat aufgefordert, die Lizenz von Goldcorp/Montana zu suspendieren. Ebenso wurde vom Staat gefordert, effektive Massnahmen zu ergreifen, um die Verschmutzung der Umwelt zu verhindern, den betroffenen AnrainerInnen den Zugang zu sauberem Trinkwasser zu gewähren, ihre Gesundheitsprobleme zu behandeln und ihre physische Integrität zu garantieren. Ein Monat zuvor hat eine ExpertInnenkommission der Internationalen Arbeitsorganisation (ILO) ebenfalls gefordert, die Arbeiten in dieser Mine zu suspendieren. Selbst das guatemaltekische Verfassungsgericht hat verlangt, die Arbeiten solange zu stoppen, bis die Rechtmässigkeit der bisher 400 im ganzen Land durchgeführten Volksbefragungen geklärt ist. Es ist beschämend, dass internationale Instanzen intervenieren müssen, damit die guatemaltekische Regierung ihre BürgerInnen schützt. Aber noch tragischer ist, dass dem Herrn Präsidenten keine bessere Antwort einfällt als: "Man muss die Behauptungen der Interamerikanischen Kommission prüfen" und "momentan gibt es keine Grundlage, die Aktivitäten der Mine Marlin zu suspendieren". Was genau ist Ihre Hauptsorge, Herr Präsident? Zweitens: Eine Studie der Universität Michigan (USA) von August 2009 belegt, dass der Gehalt an giftigen Metallen im Urin der AnrainerInnen der Mine erhöht ist (Prensa Libre 19.5.2010). Wenige Tage später, am 24. Mai, veröffentlichte das Gesundheitsministerium einen Bericht über den Gesundheitszustand der Bevölkerung in dieser Region und kommt zum Schluss, dass die Hautirritationen, unter der die Leute leiden, völlig normale Krankheiten sind, die es im ganzen Land gibt. Am selben Tag veröffentlichte das Umwelt- und Minen-Ministerium die Resultate einer Untersuchung der Wasserquellen in den Gemeinden rund um die Mine und versicherte, das die vorgefundenen Mineralien (ohne sie zu spezifizieren) im tolerierten internationalen Rahmen liegen. Beide Deklarationen sind dermassen vage, dass der Kongressabgeordnete Héctor Nuila verlangte, dass sie ein Minimum an Beweisen für diese Behauptungen nachliefern müssten. Was genau ist Ihre Hauptsorge, Damen und Herren Kongressabgeordnete? Nach oben |
Drittens: Hierzulande sind Gesundheitspersonal und LehrerInnen gegen die Schweinegrippe geimpft worden, ohne dass sie vorher informiert wurden und ohne Garantie, dass diese umstrittene Impfung etwas bringt. Wer sich wirklich für die Gesundheit seiner Leute interessiert, versucht doch, die zahlreichen und begründeten Vorbehalte abzuklären - zum Beispiel jene des Präsidenten der europäischen Gesundheitskommission, des deutschen Wolfgang Wodarg (www.rebelion.org vom 14.1.2010). Gesundheitsprofis können auch die Worte des Medizin-Nobelpreisträgers 2009, Jack W. Szotack, nicht einfach so wegstecken der sagte, dass die multinationalen Unternehmen dann in Gesundheit investieren, wenn es darum geht, neue Medikamente zu entwickeln, aber nicht dann, wenn es darum geht, Krankheiten zu heilen: "Die Industrie versucht, Krankheiten chronisch werden zu lassen und nicht, sie zu heilen, denn damit wäre ihr Geschäft ruiniert, weil niemand mehr Medikamente konsumieren würde" (Jorge Rachid, Adital, 11.6.2010). Es ist deprimierend zu wissen, dass 96 bis 98% der Verbrechen ungestraft bleiben. Und es ist noch viel deprimierender zu wissen, dass dies bloss ein Viertel aller Verbrechen ist und der ganze Rest nicht einmal angezeigt wird. Guatemala, das Paradies für Verbrechen. Es sind nicht nur die Nachrichten über das Scheitern des Staates, die uns die Laune verderben, sondern auch jene über den Zerfall der Gesellschaft, in der wir aktiv zu sein versuchen. Erinnern Sie sich an die vier abgeschnittenen Köpfe, die uns die Medien präsentierten, just am Tag nachdem Generalstaatsanwalt Reyes abgesetzt wurde? Gescheiterter Staat? Ich bezweifle es. Denn dieser Staat scheitert überhaupt nicht bei seiner Unterstützung der multinationalen Diebe. Er scheitert auch nicht dabei, den Mafias der illegalen Adoptionen, des Menschen- oder des Drogenhandels Straffreiheit zu gewähren. In diesem Sinne funktioniert dieser Staat allerbestens. Er ist vorbildlich darin, BäuerInnenproteste zu unterdrücken. Vor zehn Tagen hat derselbe Staat, dessen Polizei nicht in der Lage ist, seine BürgerInnen vor bewaffneten Leuten zu schützen, wenn sie ihre Probleme mit der Anwesenheit eines Zementunternehmens publik machen, erfolgreich die entsprechenden Gemeinden mit einem Kontingent aufstandsbekämpfender PolizistInnen "befriedet" (UDEFEGUA, Juni 2010). Man kann auch nicht von "scheitern" sprechen, wenn die RichterInnen, die es nicht schaffen, die Verantwortlichen des Genozid zu verurteilen, in Minutenschnelle die Frauen von Sipakapa verurteilen, die sich gegen die Mine wehren. Dieser Staat ist nicht gescheitert. Er weiss genau, was seine Arbeit ist. Es ist entmutigend zu wissen, an wie vielen Fronten das Volk kämpft - gegen wen eigentlich: gegen das organisierte Verbrechen oder gegen den Staat? Dabei müssen wir uns im Klaren sein: dieser Staat ist nicht unser Staat. Er spielt nicht in unserer Equipe, er spielt mit den GegnerInnen. Und hier zeigt sich der Unterschied zwischen der partizipativen Demokratie, die in den ruralen Gemeinden verankert ist, und der repräsentativen Demokratie, die sie zwar Demokratie nennen, die aber nur dazu dient, den Staat zu legitimieren, der - in der gegnerischen Mannschaft spielt. |
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