Entscheidende Woche für die Zukunft des Landes
Fijáte 285 vom 21. Mai 2003, Artikel 1, Seite 1
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Entscheidende Woche für die Zukunft des Landes
Die Presse im Land kündigte eine entscheidende Woche für Guatemala an. Am Montag, 12. Mai, startete die vierte Verhandlungsrunde des Freihandelsabkommens CAFTA (Central American Free Trade Agreement) zwischen Zentralamerika und den Vereinigten Staaten mit Veranstaltungsort in Guatemala. Zudem war für die darauffolgenden Tage der Aufruf zum offiziellen Präsidentschaftswahlkampf im November vorgesehen. Und last but not least standen am 13. und 14. Mai die Beurteilung und Revision der im letzten Jahr in Washington D.C., USA, der Regierung auferlegten Hausaufgaben durch die Spenderländer an, deren Ergebnisse Mitte der Woche beim Treffen der Konsultivgruppe die Art und Weise ihrer zukünftigen Kooperation und Unterstützung Guatemalas entscheiden werden. Wir übernehmen im folgenden einen Artikel von Erwin Pérez, der am 12. Mai von der Nachrichtenagentur Incidencia Democrática veröffentlicht wurde. In Bezug auf die Wirtschaftsverhandlungen fordert die Zivilgesellschaft mehr Informationen darüber, was und wie die Regierung verhandelt und es wurden Demonstrationen gegen das Freihandelsabkommen CAFTA angekündigt. Währenddessen gibt das Höchste Wahlgericht (TSE) diversen Details den letzten Schliff, um den Wahlkampf amtsgemäss zu eröffnen, der im Grunde genommen schon seit Monaten über das nationale Territorium zieht, wobei die Optionen der BürgerInnen noch gar nicht klar definiert sind. Hinsichtlich der Konsultivgruppe lohnt es sich, daran zu erinnern, dass bei dieser Gelegenheit die Delegierten sowohl der Internationalen Gemeinschaft als auch der Regierung jeweils ihre Sicht der Dinge bezüglich der im letzten Jahr in Washington aufgestellten neun Abkommen darlegen werden. Die letzten Vorbereitungen sind nur noch Formsache, die Diskussionsinhalte wurden bereits festgelegt. Dennoch stellt dieser kosmetische Teil die beste Waffe für die Regierung dar. Die VertreterInnen der Regierungspartei FRG (Republikanische Front Guatemalas) putzen sich heraus, um in buntem Geschenkpapier die kleinen Aktionen zu präsentieren, die zur Rechtfertigung der erlangten Vereinbarungen realisiert wurden. Die Tatsache, dass lediglich die neun Punkte von Washington in die Tagesordnung mit aufgenommen wurden, stellt einen Vorteil für die Regierung dar, bedeutet jedoch gleichzeitig eine Schwäche für den Prozess als Ganzes, denn die Diskussion wird sich auf diese Themen fokussieren und andere wichtige aussen vorlassen. Es ist also voraussehbar, dass die Regierungsmitglieder sich bemühen werden, ein höchst positives Panorama aufzuweisen, währenddessen die Gewerkschaftsbewegung CNSP eine massive Mobilisierung für den 14. Mai ankündigt. Die Abgeordneten der Regierung werden nicht an Mühen geizen, ein Land fern der Krise vorzuführen, obwohl sie den Rückstand eingestehen, die einige Punkte einbüssen. Aber diesbezüglich beschuldigen sie die Opposition, das Vorankommen der von der Regierungspartei eingereichten Vorschläge zu lähmen. Und dies besonders in der Legislativ-Agenda, der gegenüber eine allgemein negative Einstellung von fast allen Oppositionsparteien zu erkennen ist. Diese lehnen beinahe systematisch jegliche Initiative ab, die von der FRG ausgeht,, und zwar mit Haltungen, die ihre parteilichen Interessen noch vor den nationalen garantieren, was von jedem Standpunkt aus kritisierbar ist. Dennoch und trotz allen Schmuckes, den die Regierung dem Land und dem Friedensprozess anlegen will, ergeben sich weiterhin in der Realität Guatemalas keinerlei Anzeichen für die Lösung der Probleme, die Anlass für den Krieg gaben. Einmal abgesehen von der (nicht zu Unrecht) pessimistischen Einschätzung, die die Regierung ihren VerleumderInnen vorwirft, ist es tatsächlich so, dass die signifikanten Erfolge der Friedensabkommen in den ersten Jahren nach ihrer Unterzeichnung 1996 zu verzeichnen waren. Wir GuatemaltekInnen sind nicht mehr im Krieg, aber dieser ist ersetzt worden durch die undifferenzierte und in alarmierender Weise stattfindende Gewalt. Die Verfolgungen und Amtseinschüchterungen von staatlichen Behörden haben sich verändert. Aber in den letzten fünfzehn Monaten sind die Ermordungen, Hausfriedensbrüche, aussergerichtlichen Hinrichtungen und Einschüchterungsversuche gegen Justizangestellte, BäuerInnenführerInnen und JournalistInnen zur täglichen Nachricht geworden. So sehr man positive Elemente finden möchte, immer stolpert man über Hindernisse, die konkrete Fortschritte behindern. Folgendes Beispiel: Die Exekutive ergriff die Initiative, um mittels eines Regierungsabkommens den Sicherheitsrat zu gründen, was im Prinzip positiv zu bewerten ist; zudem erfüllt die FRG damit die Friedensverträge. Doch bleibt sie dabei auf halber Strecke stecken, denn die Erwartungen der Zivilgesellschaft waren jene, dass die Schaffung dieses Sicherheitsrates auf einem Legislativabkommen basiere, wobei das Anforderungsprofil und die Funktionen der Mitglieder klar umrissen wären. (Für das Inkrafttreten eines Regierungsabkommens reicht es aus, dass der Präsident es unterschreibt und es im Regierungsorgan publiziert wird, wobei es durch ein erneutes präsidiales Dekret wieder ausser Kraft gesetzt werden kann. Ein Legislativabkommen muss indes vom Kongress akzeptiert werden, die Red.) In Anbetracht der sich nähernden Präsidentschaftswahlen bestehen gewisse Vorbehalte, an diesem Sicherheitsrat teilzunehmen, da er nicht über die notwendigen Voraussetzungen für ein angemessenes Nach oben |
Funktionieren verfügt. Ein weiterer Grund der Empörung stellte die Tatsache dar, dass am selben Tag, an dem der Beschluss zur Entschädigung der Opfer des bewaffneten Konflikts veröffentlicht worden war, ein Gesetz publiziert wurde, in dem die Bezahlung der ehemaligen Zivilpatrouillen (ExPAC) festgehalten ist. Während für die Opfer weder ein finanzieller Etat zur Verfügung gestellt noch eine Struktur geschaffen wird, um die Entschädigung zu erfüllen, werden den Ex-PAC jegliche Bedingungen geschaffen, ihre Bezahlung auch ja zu sichern. Die Angebote der Regierung von Alfonso Portillo sind viele, aber in keinem der Fälle lässt sich eine vollständige Erfüllung erkennen. Dies wird bedeuten, vor der Konsultivgruppe lediglich halbe Wahrheiten zu präsentieren. Dies weiss sowohl die Gesellschaft als auch die Internationale Gemeinschaft; und das ist noch nicht alles: MINUGUA, die UN-Mission für Guatemala, stellte letzte Woche einen Bericht vor, in dem sie hervorhebt, wie enttäuschend die Resultate der letzten fünfzehn Monate sind. Die Mission legte eine alarmierende Sicht auf die Situation vor, die alle beunruhigte ausser die Regierung. MINUGUA fasst die Friedensverträge als ein integrales Programm der Nation auf, das mit einem weiten Akzeptanzrahmen ausgestattet ist, um die grossen Hindernisse für die Entwicklung Guatemalas zu überwinden; eine Ansicht, die wir teilen. Deswegen ist es unverständlich, dass die nationale Begleitkommission der Friedensverträge auf das Beibehalten einer in jeglicher Hinsicht wirkungslosen Struktur beharrt. Die Begleitkommission schlug kürzlich Modifikationen für die Institutionalisierung des Friedens vor und folgte damit der Logik der Pflästerchenpolitik, eine Politik, von der die Gesellschaft genug hat. In dem Vorschlag stellte die vermeintlich grossartige Veränderung die Aufnahme von zwei weiteren politischen Parteien in die Kommission dar; die Zahl der EhrenbürgerInnen oder HonoratorInnen sei zu erweitern ohne ihre Repräsentation zu stärken, ein Mechanismus der Konsultation sei zu schaffen, an dem Institutionen der Zivilgesellschaft beteiligt wären, obwohl es diesen Mechanismus in Form der paritätischen und nichtparitätischen Kommissionen und den departamentalen Rundtischen schon längst gibt. Doch unsere grösste Sorge ist, dass die Kommission im Konsens eine zweite Anpassung des Zeitplans von 2004 bis 2008 beschliessen könnte, was die absolute Niederlage dessen wäre, was im Jahr 2000 entschieden wurde. (Damals wurde der Zeitplan für die Umsetzung der Friedensabkommen modifiziert und bis 2004 verlängert, die Red.) Nach unseren Kriterien weist der Fortschritt der Friedensverträge auf die Grenzen der mechanisch definierten Zeit hin. Es brächte gar nichts oder nur wenig, den Zeitrahmen der Verträge zu erweitern, wenn weiterhin nach den selben vergriffenen und überholten Mechanismen gearbeitet würde. Was indes gebraucht wird, ist ein Wechsel in der Logik der Prioritätensetzung und eine stärkere Beteiligung der Gesellschaft, sowohl auf qualitativer als auch quantitativer Ebene. Um damit anzufangen, müssten die Friedensverträge überhaupt erst einmal im ganzen Land bekannt gemacht werden; dies ist eine so kleine Verpflichtung im Vergleich zum Rest, der jedoch weder von der vorherigen noch von der aktuellen Regierung erfüllt worden ist. Bei dem Treffen der Konsultivgruppe, das morgen (13. Mai, die Red.) beginnt, werden der Zivilgesellschaft etwas mehr als zehn Minuten zur Verfügung stehen, um ihre Sicht auf die Verträge darzulegen. Es wird dabei weder Zeit sein, dagegen zu argumentieren noch neue Aktionsformen vorzuschlagen, die den Friedensprozess beleben könnten, obwohl eine vorbereitende Sitzung am Tag zuvor einberufen wurde. Angesichts dessen haben sich die zivilen Organisationen für die Option des Strassenkampfes entschlossen und kündigten bereits Demonstrationen an, damit ihre Forderungen gehört werden. Am Ende der Woche werden wir GuatemaltekInnen wahrscheinlich mehr Verpflichtungen mit der Internationalen Gemeinschaft haben; man wird uns eingetaucht haben in ein Handelsabkommen, das von allen Seiten besehen ungleich und ausschliessend ist; und die PräsidentschaftskanditatInnen werden grünes Licht vom Höchsten Wahlgericht bekommen haben, um die Stadt mit ihrer demagogischen Werbung zu tapezieren. |
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