Guatemaltekische Gewerkschaften: Raus zum 1. Mai!
Fijáte 284 vom 7. Mai 2003, Artikel 1, Seite 1
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Guatemaltekische Gewerkschaften: Raus zum 1. Mai!
Im Zusammenhang mit Guatemala vom 1. Mai zu sprechen bedeutet, von Kampf und Widerstand zu sprechen, von (meist nichterfüllten) Forderungen, von nicht bezahlten Löhnen. Es bedeutet, von Gewerkschaften zu sprechen, die trotz enormen politischen und ökonomischen Widrigkeiten nicht müde werden, weiterzukämpfen. Zugegeben, im Vergleich zu den 70er- und 80er- Jahren hat die guatemaltekische Gewerkschaftsbewegung in den letzten Jahren an Kraft verloren und ihre traditionellen 1. Mai-Demonstrationen waren oft nicht mehr als ein kümmerliches Grüppchen, das Parolen gegen die längst vollzogene Privatisierung skandierte. Doch ist in den letzten Monaten eine Bewegung gewachsen und erstarkt, die den klassischen ArbeiterInnenkampf etwas breiter fasst und sich im Protest gegen die Globalisierung organisiert und vernetzt, und in deren Sog auch die Gewerkschaften wieder Aufwind bekommen. Im Folgenden eine Zusammenfassung des 1. Mai-Kommuniqués, das in Zusammenarbeit von UGT (Guatemaltekische ArbeiterInnenunion), CNSP (Nationale Volks- und Gewerkschaftkoordination) und der UNSITURAGUA (Gewerkschaftseinheit der ArbeiterInnen Guatemalas) verfasst und von der guatemaltekischen Gewerkschaftsbewegung CGTG veröffentlicht wurde. Die heutige Arbeitssituation: Obwohl in Guatemala heute die Arbeitsrechte in der Verfassung, im Arbeitsgesetz und in ratifizierten internationalen Abkommen verankert sind, existieren sie in der Praxis nicht. LandarbeiterInnen auf den Fincas und MaquilaarbeiterInnen in den Städten werden entlassen, sobald sie sich gewerkschaftlich organisieren. Angestellte des öffentlichen Dienstes, vor allem in den Gemeindebehörden, sind von den Parteien abhängig und werden, falls sie sich nicht ducken, verfolgt, nicht ernst genommen, beschissen oder entlassen. Das unter der PAN-Regierung von Alvaro Arzú erlassene Anti-Streik-Gesetz verletzt die Abkommen der Internationalen Arbeitsorganisation ILO. Die FRG ihrerseits hat ein Gesetz erlassen, das es den öffentlichen Angestellten verbietet, Verhandlungen über Gehaltserhöhungen zu führen. Arbeitslosigkeit: Arbeitslosigkeit ist die Konsequenz einer fehlenden Beschäftigungspolitik der Regierung. Rund 76% der erwerbstätigen Bevölkerung arbeitet im informellen Sektor. Die Auswirkungen der Arbeitslosigkeit zwingen unsere Bevölkerung in die Knie: Verzweiflung und das Auseinanderreissen der Familie, die Abwanderung in die Städte oder die Migration in den Norden sind die Folgen davon. Arbeitslose Jugendliche schliessen sich den maras (kriminelle Jugendbanden) an und kommen in Kontakt mit Gewalt, Alkoholismus, Prostitution und Drogenkonsum. Zusammengefasst bedeutet das eine Verminderung der Lebensqualität in unserem Land. Löhne: Es gibt keine staatliche Politik, die die Kaufkraft unserer Löhne erhalten oder stärken würde. Die ausgehandelten Mindestlöhne werden in der Praxis zu Maximallöhnen, die in vielen Fällen in der Privatwirtschaft nicht ausbezahlt werden. Die staatlichen Kontrollmechanismen, um diese Abkommen zu überprüfen, funktionieren nicht. Land: Trotz Friedensabkommen und all der Propaganda, die um sie gemacht werden, ist kein Ausweg in Sicht, um das historische Landproblem zu lösen. Die Schaffung von "Kommissionen auf höchster Ebene" war nichts anderes als eine Verzögerungstaktik, die nichts bewirkt hat ausser Frustration und Demotivierung innerhalb der LandarbeiterInnenbewegung. Frau und Arbeit: Wir unterstützen die Bemühungen der Frauen, auf dem Arbeitsmarkt Gleichstellung zu erlangen. Wir alle, die an die Würde der Frau glauben, müssen diese Forderung mittragen. Wir sind gegen eine Politik, die zu einer Feminisierung der Armut beiträgt. Ebenso unterstützen wir die Arbeitskämpfe der Hausangestellten, der Maquilaarbeiterinnen und der Landarbeiterinnen. Kinderarbeit: Das Drama der guatemaltekischen Kinder zu überwinden, vor allem derer, die auf dem Land oder in marginalisierten Gegenden leben und arbeiten, die gezwungen sind, in Maquilas, auf der Strasse, als SteineklopferInnen, in Feuerwerkswerkstätten etc., zu arbeiten, ist eine der grössten Herausforderungen für den guatemaltekischen Staat.(siehe separater Artikel, die Red.) Arbeitsrechtliche Straflosigkeit: Die zunehmende Repression gegen die Gewerkschaftsbewegung ist beunruhigend. Ebenso die Schwierigkeit, Arbeitskonflikte juristisch auszutragen. In diesem Panorama gibt es keine Aussicht auf Verbesserung, im Gegenteil, Initiativen wie das neue Arbeitsgesetz u.a. gefährden die Prinzipien des Arbeitsrechts. Werden diese Initiativen angenommen, werden wir ArbeiterInnen unsere letzten Rechte verlieren, die bisher als unantastbar galten. Die Flexibilisierung der Arbeit, die heute schon Usus ist, wird durch Präzedenzfälle gesetzlich verankert werden und das geltende Gesetz unterwandert. Die Kriminalisierung von Arbeitskonflikten sind eine übliche Form der Repression und der Verfolgung. Die guatemaltekische Realität: Guatemala steckt in einer allgemeinen Krise, unter der die ArbeiterInnen und die Bevölkerung allgemein leidet. Nach oben |
Wir stellen ein Vakuum in der Regierungsführung fest; das Land ist vom organisierten Verbrechen beherrscht, Gewalt, Überfälle, Korruption, Straflosigkeit und Entführungen gestalten unseren Alltag. Es scheint, dass die zuständigen Institutionen wie die Staatsanwaltschaft, der Kongress, die Gerichte etc., Angst haben, sich diesen Übeln zu stellen und machen sich somit zu deren Komplizen. Demokratie: Die sog. Demokratie in unserem Land beschränkt sich darauf, Wahlen durchzuführen. In Guatemala sind diejenigen, die das Geld besitzen, die HerrscherInnen über die Demokratie. Die einzelnen KandidatInnen bei den Wahlen verkommen zu reiner Handelsware. Wer sein Image am besten verkauft, gewinnt einen Kongressitz. Die ArbeiterInnen und die Bevölkerung von Guatemala haben genug von dieser Art demokratischer Wahlen, denn was sie schaffen ist: Ausschluss, Armut, Misere, Zynismus, Mangel an Vertrauen und Glaubwürdigkeit, Frustration, etc. Lebenskosten: Für den Grossteil der Bevölkerung sind die ständigen Preiserhöhungen der Grundnahrungsmittel eine Katastrophe. Auch die Kosten für elementare Dienstleistungen wie Elektrizität, Transport, Telefon, Medikamente, Brennstoffe wie Gas, Benzin und Diesel sowie die Mieten werden systematisch in die Höhe getrieben. Für viele Menschen in unserem Land wird der Anstieg der Lebenskosten zu einer echten Lebensbedrohung. Friedensabkommen: Wir sind besorgt darüber, dass die Regierung die Friedensabkommen von ihrer Agenda gestrichen hat. Die Parteiinteressen und die bevorstehenden Wahlen haben diese Agenda in ein Instrument der Demagogie verwandelt. Wie z.B. die Idee, die Ex-PAC zu entschädigen oder die famosen Friedensanleihen, mit denen die Auslandschuld steigt. Der Preis dafür wird die Bevölkerung zu bezahlen haben, über erhöhte Steuern und niedrigere Löhne. Gesundheit, Erziehung und Sozialversicherung: Zusammen bilden sie das Defizit in der Sozialbilanz unseres Landes. Es ist alarmierend, dass die Mehrheit noch heute keinen Zugang zu diesen Dienstleitungen hat, vor allem die Kinder, die Frauen und die Alten. Diese Tendenz verschlimmert sich durch die drohende Privatisierung. Findet diese statt, ist es das Todesurteil für viele. Die weltweite Globalisierung: Die Entwicklung der Telekommunikation und der Informatik hat dazu geführt, dass die gesamte Menschheit eine nie gekannte Nähe und Vernetzung erreicht hat. Leider ist diese positive Entwicklung monopolisiert und nur wenige können von ihr profitieren. Die VorantreiberInnen dieses ausschliessenden und diskriminierenden Systems setzen ihren Willen durch mittels internationaler Organisationen wie die Weltbank, die Welthandelsorganisation, der Währungsfonds, die Entwicklungsbank, und zwar mit Massnahmen, die der Mehrheit nur schaden. Sie nehmen sich aber auch das Recht heraus, eine Nation zu qualifizieren bzw. zu disqualifizieren, je nach ihren Interessen. Sie entscheiden, mit wem sie Handel treiben wollen und mit wem nicht, und wen sie mit Sanktionen bestrafen, wenn ihre "Empfehlungen" nicht befolgt werden. In Guatemala wurden die Freihandelsabkommen Plan Puebla Panamá (PPP) und ALCA hinter dem Rücken der Bevölkerung ausgehandelt, mit dem Argument, dass es allen zu Gute komme. Dies ist aber nicht so, und hier zeigt sich das wahre Gesicht der Globalisierung. Sie wollen uns glauben machen, dass: a) Unser beschränktes Kapital zu gleichen Bedingungen mit dem Kapital der Transnationalen in Wettbewerb treten könne. b) Unsere Landwirtschaft mit der viel technologisierteren und zudem subventionierten Landwirtschaft der reichen Länder mithalten könne. c) Unsere Lebensqualität sich verbessern würde. d) Es Möglichkeiten für alle gäbe und e) Arbeitsplätze geschaffen würden. Die Erfahrung unserer Nachbarländer mit solchen Abkommen hat uns gelehrt, dass mehr Arbeitslosigkeit, mehr Armut und Ausschluss die Folge sind. Am schlimmsten trifft es immer die ArbeiterInnen, weil diese Abkommen in unserem Namen getroffen werden, ohne uns zu fragen und ohne uns in die Verhandlungen einzubeziehen. Die traurige Erfahrung der MaquilaarbeiterInnen lehrt uns, dass, auch wenn Verhaltenskodexe einge- führt werden, dies den Angestellten in keiner Weise nützt, sondern nur den Unternehmen, die damit im Ausland ihre Weste rein waschen. Das Freihandelsabkommen ALCA wird der grosse Supermarkt des Nordens werden. Er umfasst die Länder von Alaska bis Feuerland und wir lateinamerikanischen Länder werden von einer Werbeflut überrollt, die uns zum wilden Konsumieren anregen soll. Die Devise wird lauten: Produziere, kaufe und halte den Mund! Deshalb fordern wir: -Die guatemaltekische Regierung soll die nationale Agenda wieder aufnehmen, wie sie in den Friedenabkommen definiert ist. - Dialog, Verhandlung und Konsenssuche sollen als Konfliktbearbeitungsstrategie gewählt werden anstelle von Repression und Zwang. -Eine Beschäftigungspolitik, die das Arbeitsrecht achtet und die Grundbedürfnisse der Bevölkerung abdeckt. -Keine Privatisierung des Schulsystems. -Eine integrale Landreform, welche die Nahrungssicherheit garantiert. -Keine Unterzeichnung von Freihandelsabkommen, die die nationale Souveränität gefährden. Ein nationales Referendum, damit die Bevölkerung ihre Meinung zu diesen Abkommen ausdrücken kann. (...) Ein anderes Guatemala ist möglich! |
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