Das politische Projekt der Indígenas muss warten
Fijáte 286 vom 4. Juni 2003, Artikel 1, Seite 1
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Das politische Projekt der Indígenas muss warten
Juan León Alvarado ist Vertreter der Defensoría Maya, die sich für die Rechte der indigenen Bevölkerung stark macht und hat schon zweimal für die inzwischen aufgelöste Demokratische Front Neues Guatemala (FDNG) für die Wahlen kandidiert. In einem Interview mit der Tageszeitung Prensa Libre versicherte er, dass die Zeit in Guatemala noch nicht reif sei für einen Indígena als Präsidenten, aber dass dieses Ziel mit viel Arbeit und Engagement zu erreichen sei. Frage: Wie sieht das wahlpolitische Szenario für die Indígenas aus? Juan León Alvarado: So wie heute die Parteien daherkommen, die Auswahl ihrer KandidatInnen und der Inhalt ihrer politischen Programme, haben wir das Gefühl, in die Vergangenheit zurückgeworfen worden zu sein. 98% der KandidatInnen für die Präsident- und Vizepräsidentschaft sind NichtIndígenas. Von Gleichstellung kann also nicht die Rede sein. Die Indígenas selber beteiligen sich höchstens auf lokaler Ebene in Gemeinderatsgremien. Mehr nicht. Frage: Werden die Indígenas als WählerInnen verachtet? J. L.: Die PolitikerInnen haben eine Mentalität des Ausschlusses und der Verachtung gegenüber ihrer WählerInnenschaft. Sie benützen die Indígenas während der Wahlkampagne aber ausschliesslich für operative Zwecke. Sie schätzen uns, weil wir so viel Ausdauer haben, nicht müde werden beim Verteilen von Flugblättern und weite Strecken gehen, aber damit hat es sich auch schon. Frage: Wie viele Indígenas gehen wählen? J. L.: Rund 70% der guatemaltekischen Bevölkerung sind Indígenas. Umgerechnet in Wahlstimmen und angesichts der niedrigen Wahlbeteiligung machen sie etwa die Hälfte aller WählerInnen aus. Die Abgeschiedenheit ihrer Gemeinden ist oft ein Faktor, der sie vom Wählen abhält. Ein anderer ist der wirtschaftliche Aspekt. Viele Indígenas haben keinen Ausweis und sind nicht ins Wahlregister eingetragen. Auch wenn nun Computer in den Einkaufszentren aufgestellt werden, damit sich die Leute ins Wahlregister eintragen lassen können für sie ist es wichtiger, ihren Kindern etwas zu essen zu kaufen, als Geld für einen Ausweis auszugeben. Frage: Mit welchen Themen gewinnt man die Stimmen der Indígenas? J.L.: Ein wichtiges Thema ist der Wiederaufbau staatliJ. L.: Da wird etwas verwechselt. Wir Indígenas sind loyal. Wenn wir unser Wort geben, halten wir es. Diese Eigenschaft wird mit Manipulierbarkeit verwechselt. Die Wahlstimme der Indígenas ist manipulierbar, nicht weil wir dumm wären, sondern weil eine unserer Qualitäten ausgenutzt wird. Natürlich ist es schwierig, wenn den Leuten etwas angeboten wird, z. B. einer Gemeinde ein Projekt oder die Lieferung von Düngemittel versprochen wird. Es ist Teil unserer Arbeit, den Leuten das Bewusstsein zu vermitteln, ihre Stimme nicht gegen ein Geschenk zu verkaufen. Wir mussten auch immer wieder die Erfahrung machen, dass uns die PolitikerInnen während der Wahlkampagne etwas versprachen und danach nicht einhielten. Frage: Was halten Sie von der Kandidatur von Rigoberto Quemé Chay? J. L.: In meinen Kreisen ist er sehr akzeptiert. Seine Kandidatur wird positiv bewertet als der Beginn indigener Partizipation. Ich würde sagen, 90% der indigenen Organisationen stehen hinter ihm. Wie es mit der Bevölkerung an sich steht, kann ich nicht sagen. Rigoberto steht viel Arbeit bevor. Ich habe zweimal an Wahlprozessen teilgenommen und weiss, dass zwischen der Illusion und der politischen Realität ein breites Feld liegt. In unserem Land muss sich jemand bedauerlicherweise einer reichen Partei ,,verkaufen" oder viel Geld besitzen, um gegen die traditionellen Sektoren anzukomcher Institutionen. Die öffentliche Politik muss verändert werden, die Leute müssen wieder Vertrauen in ihre politischen VertreterInnen haben können. Zu sagen, eine Regierung könne alle Probleme lösen, ist pure Demagogie, weil die existierenden Institutionen diese Kapazität nicht haben. Es müssen Mechanismen geschaffen werden, welche die Beteiligung der Indígenas garantieren, ohne dabei in Apartheid zu verfallen. Wenn ich Kandidat wäre, wäre das der einzige Punkt in meinem Regierungsprogramm. Frage: Was hat es mit der vermeintlichen Manipulierbarkeit der indigenen WählerInnenstimmen auf sich? Nach oben |
men. Frage: Wann ist Guatemala reif für einen indigenen Präsidenten? J. L.: Wir sind mit unserer politischen Strategie noch nicht soweit, einen Präsidenten stellen zu können. Wir müssen uns eine breite Basis schaffen, die auch wirtschaftlich Stand hält. Wir wollen ein indigenes politisches Projekt aufbauen, in dem indigene UnternehmerInnen, HändlerInnen, ProduzentInnen vertreten sind, die das Bewusstsein eint, dass sie alle für dieselbe Sache arbeiten. Frage: Existiert ein solches Projekt schon? J. L.: Wir wollen eine solche Bewegung ins Leben rufen, doch ich glaube nicht, dass wir in vier Jahren, bei den nächsten Wahlen, schon soweit sind. Unser Ziel ist, das indigene Projekt mit dem ,,bathun" zu verwirklichen, im Jahre 2012. Im heiligen Buch der Mayas heisst es, dass sich im Jahr 2012 ein Kreis schliesst und ein neuer Zyklus für die Menschheit beginnt. In unserer Kosmovision bewegen sich die Prozesse in Zyklen: 500 gute Jahre und dann 500 schlechte Jahre. Im Jahr 2012 beginnen 500 gute Jahre. Bis dahin werden wir vorbereitet sein, viele Indígenas ,,technifizieren" sich, studieren an den Universitäten und das indigene Bewusstsein und unsere Identität wächst stetig. Frage: Was unterscheidet einen indigenen Kandidaten von einem Ladino? J. L.: Die Leute wählen nicht für je- manden, weil er oder sie Indígena ist. Sie schauen dich an und denken: Der ist ja genau wie wir, arm und diskriminiert, wohin will er unser Land führen? Die Indígenas haben Ansprüche an ihre indigenen VertreterInnen. Das Problem ist, wie wir unsere Werte ins alte System einfliessen lassen ohne uns von diesem System vereinnahmen lassen. Wir haben festgestellt, dass es oftmals nicht darauf ankommt, ob einE BürgermeisterIn Indígena oder Ladino ist, sie sind ebenso rassistisch und ausschliessend und folgen einfach ihrer Parteilinie. Frage: Das heisst, es ist eine Frage der Ideologie? J. L.: Es gibt indigene Werte, die etwas verändern können, aber wir sind nicht stark genug, diese spür- und fühlbar und für alle zugänglich zu machen. |
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