Guatemala erlesen
Fijáte 285 vom 21. Mai 2003, Artikel 9, Seite 6
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Guatemala erlesen
Im Verlauf der letzten Monate sind zwei Bücher erschienen, in denen sich Mitglieder der österreichischen Guatemalasolidarität mit der Geschichte und Politik Guatemalas sowie ihrer eigenen Einstellung und Liebe zu diesem Land auseinandersetzen. Einen eher persönlichen Ansatz verfolgen dabei Mary Kreutzer und Thomas Schmidinger in ihrem Buch "Niederlagen des Friedens". Als ein Rückblick auf über 20 Jahre Solidaritätsarbeit kann dasjenige von Renate Sova, Manfred Bürstmayr und Corinna Milborn gelesen und verstanden werden. Peter Schneider hat die Bücher gelesen und für den ¡Fijáte! kommentiert. Etwas Guatemala, etwas Österreich "Politik, Land und Entwicklung, Ethnische Vielfalt": Bereits die Unterteilung des Inhaltsverzeichnisses erinnert ein wenig an die Gliederung des einleitenden Teils eines Reiseführers. Sie unterstreicht die Absicht der HerausgeberInnen, "ein Buch für Menschen, die mehr über Guatemala wissen oder es bereisen wollen" zusammenzustellen. Als politisches Reisebuch, als sinnvolle Ergänzung zu einem der vielen Reiseführer ist das neue Buch Guatemala ein Land auf der Suche nach Frieden durchaus empfehlenswert. Gerade angehende Reisende mögen auch die einzige knappe Auseinandersetzung mit dem Tourismus "Wem gehört Tikal?" von Susanne Kummer gegen Schluss des Buches nicht übersehen. Wer keine Guatemalareise plant, ist gut beraten, das Werk trotzdem wie ein Reisehandbuch zu benutzen. Also keinesfalls sich der Reihe nach durch die über 250 Seiten quälen, sondern dort einsteigen, wo ein Titel Interesse weckt um. Falls Wiederholungen für Langeweile sorgen, kann man wieder aufhören und die Lektüre beim nächsten spannenden Stichwort oder beim zuvor übersprungenen Kapitel fortsetzen. Zentrale Themen sind die mangelnde Umsetzung der Friedensverträge, die Vergangenheitsbewältigung, der Kampf um die Landverteilung und mehrere Beiträge über die Situation der indigenen Frauen Guatemalas, unter anderem von Barbara Kühhas, Autorin eines ebenfalls bei Brandes & Apsel erschienenen Buches zu diesem Thema. Das lockere Konzept des Sammelbandes lässt Raum für eine grosse Vielfalt an kürzesten und längeren Texten. Das Spektrum reicht von der interessanten, aber recht schwerfälligen Schilderung der Geschichte und der Krise der guatemaltekischen Linken durch Raúl Molina Mejía, ein Autor der diese bestens von innen kennt, bis zum Gedichtlein "auf den ruinen tikals", einer Umgebung, die gewiss nicht nur Bernadette Schiefer zum Träumen und zum Dichten anregte. Von den insgesamt 38 Beiträgen verdiente mancher eine eingehende Würdigung oder auch Kritik. Doch der Eindruck einer gewissen Zufälligkeit dieses Sammelsuriums will sich nicht zerstreuen lassen. ¡Fijáte!-LeserInnen können sich freuen, sogar einen kurzen Abriss der Geschichte dieses Mediums vorzufinden und der guatemaltekische Künstler Carlos Toledo darf mit seiner Schulzeit an der Österreichischen Schule in Guatemala abrechnen. Solche Einschübe verleihen dem Buch auch eine gewisse Lebendigkeit. Die Texte über die Guatemala Solidarität Österreich oder gar über einzelne Aktionen der Solidaritätsbewegung in Wien dagegen lassen sich wohl nur damit erklären, dass die HerausgeberInnen und fast alle AutorInnen diesem Umfeld zuzuordnen sind und ihre Arbeit wichtig finden. Trotz aller Offenheit des Konzeptes und obwohl der erste Teil des Buches mit "Politik und Solidarität" überschrieben ist, bleiben sie ein Fremdkörper. Seit der Unterzeichnung der Friedensverträge ist im deutschsprachigen Raum keine derartig umfassende themenübergreifende Auseinandersetzung mit der Situation in Guatemala mehr erschienen. Nach oben |
Da solch einem Manko nicht zwingend eine Marktlücke entspricht, verdienen die HerausgeberInnen Anerkennung für ihre Risikobereitschaft und alle Beteiligten für die geleistete Arbeit. Das Füllen der erwähnten Lücke macht diesen "zweiten Blick" auf "ein Land voller Widersprüche" unersetzlich. Gerade darum hätte es noch etwas besser ausfallen dürfen. Guatemala Ein Land auf der Suche nach Frieden Politik Geschichte Kultur Begegnungen. Markus Stumpf/ Renate Sova/Manfred Bürstmayr/Corinna Milborn (Hrsg), Brandes & Apsel/Südwind, 2003. Erfrischendes Guatemalapalaver mit Wermutstropfen "Wenn einer eine Reise tut, so kann er was erzählen" dichtete Matthias Claudius bereits vor über 200 Jahren. Wenn AktivistInnen aus der Soliszene für mehre Monate nach Guatemala aufbrechen, ist mit dem Erlebten locker ein Buch zu füllen. Mary und Thomas, alias Schmidi, erzählen also von ihren Reiseerlebnissen und geben ihre zahlreichen Gespräche mit AktivistInnen aus BauernIndígena- und Menschenrechtsorganisationen, mit ehemaligen BasisaktivistInnen der URNG und mit heutigen ParteivertreterInnen wieder. Ein Stück weit hilft die Auflistung im Anhang auch jenen durch den Dschungel der bekanntlich unzähligen Abkürzungen, denen diese nicht geläufig oder nicht mehr präsent sind. Wer den einen Ort oder die andere Organisation schon selbst besuchte, wird hin und wieder schmunzeln oder auch den Kopf schütteln und gewiss die eigenen Erinnerungen aufleben lassen. Braucht es mehr für ein Buch? Ob Autor und Autorin über die Befriedigung ihres Erzähldranges hinaus ein bestimmtes Ziel damit verfolgten, oder welchen Anspruch sie selbst an ihr Werk stellen, will nicht recht klar werden. Für Menschen, die sich noch nie mit Guatemala beschäftigt haben, wurden, laut Vorwort, die verschiedenen Zahlen- und Faktentabellen eingefügt. Ob das Buch allerdings besonders geeignet ist, nicht landeskundigen LeserInnen ein Bild der aktuellen Situation in Guatemala zu vermitteln, darf bezweifelt werden. Einzelne Texte stehen im Zeichen der Terroranschläge vom 11. September. Der Zufall, dass unsere Reisenden gerade zu jener Zeit in Guatemala weilten, wäre aber vielleicht besser zu verwerten gewesen. Wo in der Kritik an gewissen antiamerikanischen Äusserungen oder bei der Darstellung der Krise der politischen Linken und der URNG im Besonderen eine politische Kommentierung versucht wird, ist diese eher misslungen: Immer dann, wenn Aussagen guatemaltekischer AktivistInnen an den eigenen Masstäben einer korrekten linken Ideologie gemessen werden, wird es richtig ärgerlich. Und im Verlauf der Lektüre beginnen sich diese Ärgernisse zu häufen. Doch wechseln sie immer wieder ab mit der schlichten Beschreibung einer Szene auf dem Dorfe, einer Begegnung mit Kindern. Hier, wo einem jeder überflüssige Kommentar erspart bleibt und die schlichten Worte der Erzählung für sich selbst sprechen dürfen, tritt ein Stück Authentizität zu Tage, das sehr vieles wieder gut macht. Mary Kreutzer und Thomas Schmidinger: Niederlagen des Friedens. Edition Wahler, Grafenau, 2002. |
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