Hoffen, dass die Justiz eines Tages siegen wird
Fijáte 285 vom 21. Mai 2003, Artikel 4, Seite 4
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Hoffen, dass die Justiz eines Tages siegen wird
Guatemala, 8. Mai. Die RichterInnen Willevaldo Contreras, Luis Felipe Hernández und Rosa María de León Cano des vierten Appellationsgerichts sprachen in zweiter Instanz den Oberst Juan Valencia Osorio frei, der im letzten Oktober zu 30 Jahren Gefängnis verurteilt wurde. Angeklagt und verurteilt worden war er wegen illegaler Geheimdiensttätigkeit, die zur Ermordung der Anthropologin Mirna Mack führte (siehe ¡Fijáte! 270 und 271). Ausserdem bestätigte das Gericht die Freisprüche von General Edgar Godoy Gaitán, ehemaliger Chef des Generalstabs des Präsidialamtes (EMP) und von Oberst Juan Guillermo Oliva Carrera. Die Klägerin, Helen Mack, hatte gegen diese Freisprüche Einspruch erhoben und für Godoy Gaitán und Oliva Carrera ebenfalls eine Gefängnisstrafe verlangt. Während im Prozess, der im Oktober 2002 zur Verurteilung der Angeklagten führte, die Klägerseite überzeugend die hierarchische Befehlskette und das illegale Vorgehen des EMP nachweisen konnte, glaubten die RichterInnen des Appellationsgerichts der Version von Valencia's Verteidigern, die einfach die Tatsachen umdrehen und Valencia zum Opfer machen: Dieser habe zwar die Ermordung von Mirna angeordnet, aber damit nur Befehle von "oben" weitergegeben, weshalb er unschuldig sei. Der Vertreter der Staatsanwaltschaft, welche ebenfalls als Klägerin auftritt, sagte, der Freispruch halte einer gesetzlichen Überprüfung nicht stand, sondern bevorteile die Angeklagten. Deshalb würde der Fall vor den Obersten Gerichtshof (CSJ) weitergezogen werden. Staatsanwalt Mynor Melgar bezichtigt das vierte Appellationsgericht ausserdem einer militärischen Tradition: Richterin Cano habe jahrelang Militärs verteidigt und Richter Hernández sei verwandt mit Oberst Clementino Castillo, ehemaliger Chef des Presseamtes der Armee unter der Regierung von Ríos Montt 1982. Allgemein zeigte man sich empört über den Freispruch: Helen Mack bezeichnete ihn als politischen Entscheid, der die Interessen des Militärs verteidige. Die BotschafterInnen verschiedener europäischer Länder veröffentlichten eine Presseerklärung, in der es hiess: "Wir bedauern, dass die Verantwortlichen dieses grässlichen Verbrechens nicht bestraft werden. Doch wir hoffen weiter, dass die Justiz eines Tages siegen wird". Nach oben |
"Jeder Tag, an dem dieses Verbrechen ungestraft bleibt, nährt die Idee, dass Gerechtigkeit in Guatemala unmöglich ist, und dass es Sektoren in der Gesellschaft gibt, die über dem Gesetz stehen. Kein Land, das von sich behauptet, ein Rechtsstaat zu sein, darf ein Verbrechen dieses Ausmasses ungestraft lassen", war die Meinung der UNO-Mission für Guatemala, MINUGUA. Etwas ,diplomatischer' äusserte sich der Sprecher des US-amerikanischen Aussenministeriums: "Die USA respektieren die Unabhängigkeit der guatemaltekischen Justiz, doch in diesem Fall müssten sich die Behörden etwas mehr darum bemühen, Gerechtigkeit walten zu lassen". Die Vereinigung der Militärveterane ihrerseits drückte ihre "grösste Befriedigung" über das Urteil aus und sieht in den Aktionen und Bemühungen, die von der KlägerInnenseite unternommen werden, den klaren Beweis dafür, dass "der Feind den Krieg mit anderen Mitteln zwar weiterführt". Als vorläufige Zwischenbilanz kann gesagt werden, dass das am 7. Mai gefällte Urteil ein schwerer Schlag für die Klägerin und Schwester der Ermordeten, Helen Mack und alle andern MenschenrechtsanwältInnen bedeutet, die seit Jahren unermüdlich und trotz Drohungen und juristischen Hindernissen für Gerechtigkeit kämpfen. Es ist aber auch ein Schlag für das guatemaltekische Rechtssystem, wurde doch das Urteil gegen die drei Militärs als der Beginn des Endes der Straflosigkeit gefeiert und als Beweis der Unabhängigkeit der Justiz. Diese Taktik der späteren Urteilsaufhebung in kontroversen Fällen scheint System zu haben: Bereits im Mordfall von Bischof Gerardi wurden unter Beifall der internationalen Gemeinschaft hohe Ex-Militärs zuerst verurteilt und Monate später, als die Aufmerksamkeit nachgelassen hatte, (von den selben RichterInnen wie im Fall Mack!), wieder freigesprochen (siehe ¡Fijáte! 279). |
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