Aparte staatliche Zwangs-Alfabetisierungs-Kampagne
Fijáte 230 vom 7. März 2001, Artikel 6, Seite 3
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Aparte staatliche Zwangs-Alfabetisierungs-Kampagne
Die Eltern der SchülerInnen der beiden Privatschulen Liceo Guatemalteco und Winbridge gaben dem Erziehungsminister Mario Torres klar zu verstehen, dass er sein Ziel, die AnalfabetInnenrate innerhalb seiner Amtszeit zu senken, ohne die Unterstützung ihrer Kinder erreichen müsse. Um diese Aussage zu unterstreichen, protestierten sie mit gelben Bändern entlang der Avenida Reforma und verbanden damit das Liceo Guatemalteco mit dem Erziehungsministerium. Die Elternvertretung erklärte, sie sei nicht grundsätzlich gegen den "Kampf gegen den Analfabetismus", jedoch müsse dieser ohne ihre Kinder geführt werden. Mit ihrer Aktion beziehen sich die Eltern auf die jüngste Kampagne des Erziehungsministers, die darin besteht, dass alle SchülerInnen während ihrem letzten Schuljahr fünf Personen alfabetisieren sollen. Die Ankündigung dieses Programms hat landesweite Proteste der Schüler- und Elternschaft hervorgerufen und der Presse eine Flut von LeserInnenbriefen beschert. "Unsere Kinder müssten abgelegene und arme Stadtbezirke besuchen, was für sie gefährlich werden kann", ist eines der Argumente der 'besorgten' Eltern. "Die zu alfabetisierenden Personen kommen in unsere Häuser und können auskundschaften, was wir besitzen und wann wer zuhause ist, um dann später bei uns einzubrechen", lautet ein anderes Argument. Es ginge nicht darum, unsolidarisch zu sein, immerhin machten ihre Kinder innerhalb ihrer Schulzeit ein Sozialpraktikum in einem Spital oder in einem Altenheim. Eine andere Mutter ging noch weiter: "Wer wisse, ob unsere Kinder mit Gewalttätern und Räubern zu tun bekommen oder ob sie gar entführt werden?" Der Gedanke vom Erziehungsminister, SchulabgängerInnen in eine Alfabetisierungskampagne zu integrieren, um ihnen so vielleicht die sozialen Probleme des Landes etwas näher zu bringen, ist grundsätzlich zu begrüßen. Sein Problem ist, dass er diesen Vorschlag zu einem ungünstigen Zeitpunkt getan hat und die Kampagne auf sehr unsensible Art und mit staatlichem Zwang angegangen ist. Kurz nach Anordnung der Kampagne wurde die Bilanz veröffentlicht über seinen letztjährigen Versuch, den Analfabetismus zu bekämpfen. Damals rief er eine groß angelegte, nationale Kampagne aus, mit der er das Blaue vom Himmel versprach. Die veröffentlichen Zahlen zeigen jedoch ein mageres Ergebnis: Relativ wenig Leute engagierten sich noch viel weniger Personen als erwartet wurden alfabetisiert. Nach oben |
Zurecht wird Torres auch dafür kritisiert, wie er auf die Proteste der zu 'AlfabetisiererInnen' verdonnerten SchülerInnen reagierte. Da die einzelnen Schulen unterschiedliche Argumente anführten, weshalb sie gegen die Kampagne seien, begann Torres, je separate Verhandlungen zu führen mit dem Ergebnis, dass nun SchülerInnen der einen Schule fünf Personen, die einer anderen hingegen nur eine Person alfabetisieren müssen. Dass es ihm vielmehr darum geht, sich kurzfristig durch eine hohe Anzahl 'alfabetisierter' BügerInnen zu profilieren als um einen wirklichen sozialen Fortschritt, beweißt auch die Kurzsichtigkeit, mit der er seine jüngste Kampagne plante: Die AusbilderInnen sollen in einer zweitägigen Schnellbleiche in die Grundlagen von Didaktik und Methodik eingeführt werden. Mit durchschnittlich zwei Lektionen "Alfabetisation" pro Woche, dauert es einige Monate, bis eine Person Lesen und Schreiben gelernt hat. Damit sie dies aber nicht alsbald wieder verlernt, braucht sie während längerer Zeit regelmäßige Übung. Da es sich aber bei den SchülerInnen um ihr letztes Schuljahr handelt und sich nachher wohl kaum jemand um die Weiterführung der Kleingruppen kümmert, wird in den meisten Fällen die Alfabetisierung in den Kinderschuhen stecken bleiben - für die Alfabetisierten ein Frust und für die Alfabetisierenden der Beweis dafür, dass sie mit ihren heutigen Protesten im Recht waren. |
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