Die politische Partizipation guatemaltekischer Frauen
Fijáte 229 vom 21. Feb. 2001, Artikel 1, Seite 1
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Die politische Partizipation guatemaltekischer Frauen
Diese thematische Nummer beschäftigt sich mit der Geschichte der politischen Partizipation der guatemaltekischen Frauen. Historisch ausgegrenzt und diskriminiert hat sich die guatemaltekische Frauenbewegung später entwickeln können als in andern Ländern Lateinamerikas, Europas oder den USA. Der Text basiert auf einer Analyse, die Ana Silvia Monzón im April 2000 in Zusammenarbeit mit dem Frauennetzwerk für den Aufbau des Friedens erarbeitet hat. Monzón ist feministische Soziologin und arbeitet zum Schwerpunkt Frauen und Kinder. Weiter ist sie Koordinatorin des Radioprogrammes 'Voces de Mujeres'. EinführungZiel des vorliegenden Essays ist das Sichtbarmachen der politischen Beteiligung der Frauen in der guatemaltekischen Gesellschaft, speziell in den Bereichen BürgerInnenrechten, politische Parteien und Frauenorganisationen. Es wird aufgezeigt, wie die Politik die Frauen ausgeschlossen hat, wie ihre Bedürfnisse und Interessen übergangen wurden. Dieser Ausschluss ist historisch und erst vor ein paar hundert Jahren haben die Frauen begonnen, sich für ihre Rechte einzusetzen. Dieser Weg war schwierig und von Rückschlägen geprägt. Doch heute, im Angesicht eines neuen Jahrhunderts haben die Frauen im sozialen Gefüge einen wichtigen Platz eingenommen, der noch weiter verankert werden muss. In Guatemala hat die Modernisierung mit der Revolution von 1944 begonnen. In dieser Zeit wurde den Frauen das Wahlrecht zugestanden. Sie bekamen das Recht, die Schule zu besuchen, eine bezahlte Arbeit auszuführen und es wurden ihnen Bürgerinnenrechte zugestanden. Mit der Konterrevolution von 1954 wurde diese Entwicklung wieder rückgängig gemacht. Die weltweite Entwicklung der Frauenbewegung hatte in den siebziger Jahren auch Einfluss auf Guatemala. Die Situation und Lebensbedingung guatemaltekischer Frauen wurden einer Analyse der Vereinten Nationen (UNO) unterzogen. In dieser Zeit hat aber in Guatemala die Repression, die Zuspitzung des bewaffneten Konfliktes, der in den sechziger Jahren begonnen hatte, die Organisierung der Frauen erschwert. Erst Mitte der achtziger Jahre entstanden die ersten Gruppierungen mit einer klar feministischen Ausrichtung. Seither ist die Frauenbewegung gewachsen, sowohl qualitativ wie auch quantitativ. Obwohl vereinzelt ein Mangel an politischer Definition, an Autonomie und an Kommunikation zwischen den einzelnen Organisationen besteht, hat die guatemaltekische Frauenbewegung eine beachtliche Präsenz in der Öffentlichkeit erreicht. Das Essay widmet sich nebst der grundsätzlichen Frage 'Was ist Politik' auch den Bereichen 'Frauen und bewaffneter Konflikt', 'Soziale Bewegung der Frauen' und 'Frauen und Friedensprozess' und fragt zum Schluss nach der Perspektive der Frauenbewegung im neuen Millenium. Da es eine kurze Analyse ist, ist es nicht möglich, alle Daten, Gruppierungen und Personen, die zur Entwicklung der Frauenbewegung beigetragen haben, zu nennen. Wir befinden uns erst am Beginn einer Geschichte, die immer noch geschrieben wird. Was ist Politik?In den bekannten politischen Systemen wird die aktive Rolle dem Mann zugeschrieben. Die 'öffentliche Stimme', die im Namen einer Gruppe oder Gemeinde spricht, ist meisten die Stimme des 'freien Bürgers', des Mannes. Den Männern wurde der 'öffentliche' Raum zugestanden, während die Frauen in den 'privaten' Raum verbannt wurden. Um dies zu begründen, wurde ein Diskurs herbeigezogen, der die Frau als unterlegen und schwach darstellt: "Die Frau will keine Macht, sie braucht das nicht. Eine Frau in einer Machtposition fühlt sich schlecht" (Valcárcel 1994:15). Die Parole 'Gleichheit, Freiheit und Brüderlichkeit' der französischen Revolution blieb für die Frauen leere Worte. Olympe de Gouges (1748 - 1793) wurde zum Tod durch Guillotine verurteilt, da sie "'konspirativ und über die Tugenden ihres Geschlechtes hinausgegangen ist" (Roig 1981:9). Sie hatte den Mut, ein Manifest zu schreiben, in dem sie die Gleichberechtigung von Frau und Mann forderte. Solche Geschichten haben sich in allen Gesellschaften wiederholt: Die Frauen stecken ihre Fähigkeiten und Energien in die Verteidigung der Sache der Unterdrückten und Marginalisierten und sobald diese Bewegungen eine gewisse Stärke erreichten, werden sie kaltgestellt mit der Begründung, "es sei nicht der richtige Zeitpunkt, man müsse noch auf bessere Bedingungen warten". Als Antwort darauf haben die Frauen begonnen, sich zu organisieren um ihre spezifischen Interessen zu verteidigen: Im 18. und 19. Jahrhundert forderten sie den Zugang zur Bildung, zur bezahlten Arbeit und das Wahlrecht. Im 20. Jahrhundert forderten sie Präsenz im öffentlichen Raum und den Zugang zu Entscheidungsgremien: politische Parteien, Parlamente, Ministerien, Internationale Gremien etc. Auch wurde am Selbstverständnis zu rütteln begonnen, das männliche als Norm und Richtlinie anzuschauen. Theoretisch könnte man sagen, dass auf gesetzlicher Ebene heute die meisten Länder die Gleichberechtigung von Frau und Mann festgelegt haben. Fast überall auf der Welt haben die Frauen das Recht zu wählen oder sich wählen zu lassen, sie haben das Recht auf Bildung und Arbeit. In der Realität sieht es jedoch ganz anders aus: wirtschaftliche, politische und soziale Umstände verhindern die Gleichberechtigung und den Zugang von Frauen zum öffentlichen Leben. Nach wie vor wird den Frauen weniger Autorität zugestanden als den Männern, wenn es darum geht, einen öffentlichen Posten zu besetzen. Ein Hindernis für die öffentliche Beteiligung der Frauen ist sicher der Analphabetismus, der unter Frauen weiter verbreitet ist als unter Männern, speziell unter Indígenafrauen und Frauen auf dem Land. Der Zugang zur Arbeit ist ihnen mangels Qualifikation oder wegen ihren Familienverpflichtungen (Kindererziehung und Haushalt), oder wegen beidem, verhindert. Wie haben Frauen sich politisch betätigt?Im Verlauf der Geschichte haben sich viele Frauen politisch engagiert, doch ihr Beitrag wurde nicht wahrgenommen. Erst in den letzten Jahrzehnten wurde begonnen, eine 'Frauengeschichte' aufzuarbeiten, um aufzuzeigen, was Frauen für die Gesellschaften geleistet haben. Dank diesen Forschungen wissen wir heute, dass Ende des 18. Jahrhunderts zwei Schriften verfasst wurden, die für den Frauenrechtskampf, für die soziale Anerkennung und die politische Beteiligung der Frauen wegweisend waren: Die 'Deklaration der Frauen- und Bürgerinnenrechte' (1791) von Olympe de Gouges und die 'Verteidigung der Frauenrechte' (1792) von Mary Woostonecraft. Während des 19. Jahrhunderts stützten sich die Forderungen vor allem der gebildeten Frauen auf diese Schriften. Andererseits begannen die Arbeiterinnen, ihr Recht auf Arbeit und bessere Arbeitsbedingungen einzufordern, befand man sich doch in der Zeit der Industrialisierung und der kapitalistischen Expansion, deren Entwicklung stark auf der Frauen- und Kinderarbeit beruhte. 1893 gewährte Neuseeland als erstes Land den Frauen das Wahlrecht. In Lateinamerika kämpften die Frauen erst in den Jahren 1930 - 1950 um dieses Recht. Politische Partizipation der Frauen in GuatemalaIn Guatemala wurde Frauen, die lesen und schreiben konnten, 1945 das Wahlrecht gewährt. Zwanzig Jahre später wurde das Wahlrecht als universelles Recht anerkannt. Die Oktoberrevolution von 1944 war eine wichtige Zeit für die soziale, politische und wirtschaftliche Entwicklung der Frauen. Es waren jedoch vor allem die Frauen der städtischen Mittelklasse, deren Möglichkeiten in Bezug auf Bildung und Arbeit sich verbesserten. Vor 1944 durften verheiratete Frauen z. B. nicht als Lehrerinnen arbeiten, da sie im Falle einer Schwangerschaft ein 'schlechtes Vorbild' für die SchülerInnen abgeben würden. Doch in der Zeit von 1944-54 war es trotz organisatorischer Anstrengung der Frauen nicht möglich, die herrschenden Rollenzuschreibungen von Frau und Mann zu durchbrechen. Zehn Jahre waren zu kurz, um die während Jahrzehnten durch autoritäre und diskriminierende Diktaturen geprägte Gesellschaft zu verändern. 1951 wurde die Guatemaltekische Frauenallianz gegründet. Zu den Gründerinnen gehörten Concepción Castro, María Saucedo, Dolores Montenegro, Dora Franco, Leonor Paz y Paz, Irma Chávez, Esther de Urrutia und Laura Pineda. Die Frauen begannen auch, in politischen Parteien, vor allem der Freiheitlichen Volksfront (FPL), aktiv zu werden (María Luisa Silva Falla, Zoila Luz Méndez, Martha Delfina Vásquez, Victoria Moraga, Julia Meléndez und Ara de Déleon). In der Partei Nationale Erneuerung engagierte sich Julia Urrutia. 1950 wurde die Koordinierende Allianz der Frauenvereine (ACAF) gegründet, die sich für die Bürgerinnen- und Frauenrechte einsetzt. Diese Organisation besteht heute noch, sie hat sich jedoch aus der politischen Arbeit zurückgezogen und engagiert sich in sozialer Dienstleistung. Zwischen 1944-54 wurden auch die Gewerkschaft der Näherinnen, die Gewerkschaft der Kaffeearbeiterinnen (1) und die Gewerkschaft der LehrerInnen (STEG) gegründet. Die zehn Jahre der Revolution schafften die Voraussetzungen, dass sich Frauen ins soziale und öffentliche Leben integrierten. Zweifellos muss unterschieden werden zwischen Stadt und Land, müssen ethnische und Klassenunterschiede berücksichtigt werden. Mit der Konterrevolution von 1954 begann für die guatemaltekische Gesellschaft eine soziopolitisch harte Phase. Auch in dieser Zeit spielten die Frauen eine wichtige Rolle: Viele mussten ins Exil, andere verliessen ihre traditionellen Rollen und organisierten sich, um die Leben ihrer Söhne und Töchter, ihrer Brüder und Schwestern, ihrer Väter und Mütter und ihrer Männer zu verteidigen. Viele engagierten sich für eine menschenwürdige Behandlung der politischen Gefangenen. Viele Frauen wurden aber auch von der konterrevolutionären sog. 'Befreiungsbewegung' mobilisiert. Vor allem städtische Marktfrauen sympathisierten mit dem Nationalen Komitee gegen den Kommunismus. Lorena Carrillo vermerkte dazu, dass "die revolutionsfeindlichen Kräfte den in der Gesellschaft und speziell unter den Frauen verbreitete Konservatismus zu nutzen wussten. (....) Später belohnte die Regierung von Castillo Armas die (reale oder vermeintliche) konservative Einstellung der Frauen damit, dass sie das Frauenwahlrecht 1956 als obligatorisch in die Verfassung aufnahm und dem Männerwahlrecht gleichstellte. (Dies galt jedoch nur für Frauen, die Lesen und Schreiben konnten.) 1955 war Rosa de Mora die erste (konservative) Kongressabgeordnete in Guatemala. Immer mehr verschafften sich die Frauen Zugang zur bezahlten Arbeit und zu (auch höherer) Bildung (2). Die Organisierung der Frauen zur Verteidigung ihrer spezifischen Interessen und Rechte begann jedoch erst später. Zwischen 1955 und 1985 besetzten insgesamt bloss fünf Frauen einen Sitz im guatemaltekischen Kongress. Nur wenige Frauen besetzten öffentliche Posten, und wenn, dann meist im sozialen oder kulturellen Bereich. Mit dem Beginn des demokratischen Prozesses 1986, wurden mehr Frauen in staatliche Positionen erhoben: Catalina Soberanis wurde 1991 erstmals Kongresspräsidentin, Ana María Perera Kulturministerin, Ana Molina Finanzministerin, Ana María Vargas Richterin am Obersten Gerichtshof. Die Tatsache, dass einige wenige Frauen öffentliche Ämter bekleideten, änderte nichts grundsätzliches an der Lebenssituation der Mehrheit der Guatemaltekinnen. Die Frauen und der interne bewaffnete KonfliktDie politische Geschichte des Landes war zwischen 1954 und dem Ende des bewaffneten Konflikts 1996 geprägt von der starken Einflussnahme des Militärs auf die staatlichen Strukturen. Bis zu den siebziger Jahren war das nationale und internationale politische Szenario vom kalten Krieg geprägt. Im nationalen Spektrum bedeutete dies, dass der Raum, der sich die sozialen Bewegungen während der Revolution von 1944 erkämpft hatten, von heute auf morgen geschlossen wurde. Organisationen und Vereinigungen wurden aufgelöst, unter anderem die Guatemaltekische Frauenallianz. Diese Einschränkung der politischen Beteiligung der sozialen Sektoren betrafen vor allem städtische Organisationen: StudentInnen, ProfessorInnen, etc. Andererseits förderte die Repression aber auch die Radikalisierung des politischen Denkens und Handelns. Ebenfalls beeinflusst wurde dieses durch die erfolgreiche Revolution in Kuba 1959. Auch in dieser Bewegung nahmen die Frauen teil. Leider gibt es sehr wenige Daten, die über ihre qualitative und quantitative Beteiligung berichten. Zwei Frauen, die aus dieser Zeit in Erinnerung geblieben sind, sind Nora Paiz und Rogelia Cruz. Beide wurden gefoltert und ermordet wegen ihrer Sympathie für oder Teilnahme an linken Strukturen. Von den beiden ist Rogelia Cruz die bekanntere (sie war auch Miss Guatemala). Und auch wenn Mary Treacy in einem kürzlich veröffentlichten Artikel schreibt, Rogelia sei bloss ein Symbol für die gestrafte Jugend und die zerstörte Zukunft, ist doch interessant anzumerken, dass zwei Frauenorganisationen ihren Namen aufgegriffen haben: Die Nationale Frauenunion Guatemalas (UNAMG) und die Studentinnenbewegung 'Rogelia Cruz'. Die Geschichte über die Beteiligung der Frauen in den verschiedenen Guerillaorganisationen ist noch nicht zu Ende geschrieben. In den letzten Jahren wurden jedoch Namen und Beteiligungsformen von Frauen bekannt, aus denen sich schliessen lässt, dass Frauen aus der Mittel- und Oberschicht, Studentinnen und im letzten Jahrzehnt auch Indígena- und arme Ladinafrauen unter den Kämpfenden zu finden waren. Leider baute auch diese Beteiligung auf der traditionellen Identität der Frauen auf, die Rollenverteilung wurde zu wenig hinterfragt, sondern vielmehr aufrechterhalten. Als der Krieg in den Jahren 1978 - 1984 an Intensität zunahm, waren vor allem die indigenen Frauen in den ländlichen Gebieten gezwungen, ihre Familien und ihr Land zu verteidigen. Sie litten ganz speziell unter dem Krieg und stellten auch die Mehrheit der vertriebenen Bevölkerung und der Flüchtlinge. Paradoxerweise haben Flucht und Exil Bedingungen geschaffen, die der Organisierung der Frauen dienlich waren. Gruppierungen wie Mama Maquín, Madre Tierra, und Mujeres en Resistencia organisierten vor allem indigene Frauen im mexikanischen Exil. Nach Guatemala zurückgekehrt, wurden diese Organisationen, speziell Mama Maquín, offen bekämpft. Ihren Mitgliedern wurde das Recht auf Landbesitz verwehrt und im Ixcán, Quiché, wurde das Lokal von Mama Maquín niedergebrannt. Als der bewaffnete Konflikt offiziell beendet und die Friedensabkommen 1996 unterzeichnet wurden, begannen die Frauen, die sich in die Guerillaorganisationen integriert hatten, über ihre Situation nachzudenken und entwickelten eine eigenständige Position innerhalb des Integrationsprozesses. Ein weiteres Aktionsfeld, das sich den Frauen durch die politische Repression eröffnet hatte, ist die Verteidigung der Menschenrechte. Die ersten Organisationen wurden Mitte der achtziger Jahre gegründet, als die Möglichkeiten politischer Beteiligung für Frauen, nach einer Zeit ausgeprägter Repression, fast nicht auszumachen waren. Unter diesen 'Pionierinnen' sind drei Organisationen zu erwähnen, in denen fast ausschliesslich Frauen aktiv waren. Auch wenn aus einem traditionellen Rollenverständnis heraus, hatten die Organisationen eine einmalige soziale Position, die sowohl das individuelle Bewusstsein der einzelnen Frauen wie auch die Organisation als Gesamtes, gestärkt hat: Die Gruppe gegenseitiger Hilfe (GAM), mitgegründet von der heutigen Kongressabgeordneten Nineth Montenegro, die Nationale Witwenkoordination (CONAVIGUA), deren bekannteste Vertreterin, die Kaqchikel-Indígena Rosalina Tuyuc, ebenfalls Kongressabgeordnete war und die Familienangehörigen von Entführten und Verschwundenen (FAMDEGUA). Die soziale FrauenbewegungDie zweite Hälfte der siebziger Jahre war geprägt von den Erfolgen der internationalen Frauenbewegung. 1975 wurde als 'Internationales Jahr der Frau' deklariert und zum ersten Mal organisierte die UNO eine internationale Frauenkonferenz, um weltweit die Situation und Lebensbedingungen der Frauen zu analysieren. Die Jahre 1975 - 1985 wurden als 'Dekade für den Fortschritt der Frauen' erklärt. Nach oben |
1979 wurde die Konvention gegen alle Formen von Gewalt gegen Frauen ratifiziert (3), in der die Bestrebungen der Frauen für Gleichberechtigung, Fortschritt und Frieden zusammengefasst sind. Ziel der Konvention ist, die historischen Gräben zwischen Männer und Frauen zu schliessen. Der Zeitpunkt war nicht zufällig: Auf internationaler Ebene war die Frauenbewegung der Vereinigten Staaten sehr stark, die StudentInnenbewegungen in Mexiko und Frankreich hinterliessen ihre Spuren, die Friedens- und Umweltschutzbewegungen befanden sich auf einem politischen Höhepunkt. Drei wichtige Faktoren kamen zusammen: - Die Politik der Entspannung und des pazifistischen Zusammenlebens erreichte mit dem Ende des kalten Krieges ihren Höhepunkt. - Die weltweite sozioökonomische Krise liess die Frage nach dem Beitrag der traditionell ausgeschlossenen Sektoren am Fortschritt (zum Beispiel der Frauen) aufkommen, im Verhältnis zu den Vorteilen, die ihnen dieser bringt. - Die Infragestellung der Demokratie als Philosophie und Praxis und die staatsbürgerliche Beteiligung neuer sozialer Bewegungeng: Frauen, Junge, Indígenas, UmweltschützerInnen, etc. Während sich weltweit die Situation entspannte, spitzte sich in der guatemaltekischen Gesellschaft der bewaffnete interne Konflikt und die Repression zu und verunmöglichte jegliche politische Beteiligung der Frauen. Spezifische Interessen der Frauen, oder ein feministisches Politikverständnis, das die Geschlechterhierarchien in Frage stellte, kamen erst Mitte der achtziger Jahre erstmals zum Ausdruck. Und auch dann vor allem in den Städten, unter berufstätigen Ladinafrauen der Mittelschicht. Während all dieser Zeit unterordnete sich das Denken und Handeln der Linken, die sich theoretisch mit dem Feminismus identifizierte, dem Klassenkampf und überging sämtliche anderen Forderungen, inkl. die feministischen und ethnischen. Seit Beginn der achtziger Jahre erreichten die Frauen Lateinamerikas im allgemeinen und etwas später auch die Frauen Zentralamerikas im speziellen, wichtige Fortschritte in ihren organisatorischen Anstrengungen, in ihren theoretischen Debatten und in ihren konkreten Forderungen. Vor allem auf juristischer Ebene wurde vieles erreicht. Dies war der Hintergrund, auf dem Mitte der achtziger Jahre das, was wir heute 'guatemaltekische Frauenbewegung' nennen, ihren Ursprung hatte (4). 1986 wurde die Frauengruppe für die Verbesserung der Familien (GRUFEPROMEFAM) gegründet. Obwohl sie sich nicht als feministisch definierte, konzentrierte sich die Organisation in ihrer Arbeit auf "die Aufklärung über die Situation des Landes und die Bekämpfung der Diskriminierung von Gewerkschafterinnen". Diese Gruppe existiert heute noch und konzentriert sich auf die Arbeit mit den Arbeiterinnen in den Maquilas und den Slumbewohnerinnen, speziell in den Bereichen Frauenrechte, Gesundheit und Gewaltprävention. Zwischen 1988 und 1989 entstanden die ersten Gruppen mit einem feministischen Selbstverständnis, die den Frauen das "Bewusstsein als menschliches Wesen vermitteln wollten, das die Fähigkeit besitzt, eine wichtige Rolle in gesellschaftlichen Prozessen einzunehmen". Zu diesen Gruppen gehört Tierra Viva, die ihren Arbeitsschwerpunkt in den Bereichen sexuelle Rechte und Reproduktion, Gewalt gegen Frauen und politische Einflussnahme setzt. Ebenfalls eine wichtige Rolle spielt die Guatemaltekische Frauengruppe (GGM), die Frauen mit Gewalterfahrung psychologische Hilfe anbietet und das erste feministisch motivierte Frauenhaus Guatemalas eröffnete. Die drei erwähnten Organisationen schlossen sich 1989 zur Koordination guatemaltekischer Frauengruppen (COAMUGUA) zusammen. Vier Jahre später, 1991, entstand aus diesem Zusammenschluss das Netzwerk gegen Gewalt gegen Frauen, das es auch heute noch gibt. Eine andere Organisation, die zu dieser Zeit (1990) entstand, ist das Zentrum zur Unterstützung von Hausangestellten (CENTRACAP). Ihr Ziel war die "Ausbildung von Hausangestellten über ihre Arbeitsrechte und die Wertschätzung ihrer Arbeit". 1999 reichte CENTRACAP einen diesbezüglichen Gesetzesvorschlag ein. Auf akademischer Ebene wurden in diesen Jahren an der Universität von San Carlos spezielle Analysen über die soziale Realität und die prekären Lebensbedingungen der Frau durchgeführt. Daraus wurde 1990 mit Unterstützung des zentralamerikanischen Programms für Frauenstudien (CSUCA) die Kommission für Frauenstudien gegründet. Seither hat, wenn auch langsam, die feministische Perspektive das universitäre Denken beeinflusst, speziell in den Bereichen Sozialarbeit und Geschichte. 1994 wurde erstmals ein Programm für Gender-Studien durchgeführt und es wurde eine universitäre Frauenkommission gegründet. Obwohl es dieser Kommission an Geld mangelt, hat sie sich in den letzten sechs Jahren für die Schaffung eines Fraueninstituts an der Universität San Carlos eingesetzt. 1993 wurde von institutioneller Seite das Kollektiv Stimmen der Frauen gegründet, das seither wöchentliche Programme über Radio Univeridad ausstrahlt. Auch in andern akademischen Kreisen hat das Thema Gender Einzug gehalten: Die Universität Rafael Landívar führte ein Diplom für Genderstudien ein, die Lateinamerikanische Fakultät für Sozialwissenschaften (FLACSO) und die Vereinigung für den Fortschritt der Sozialwissenschaften (AVANSCO) begannen, spezielle Studien zu Frauenfragen zu veröffentlichen. Wichtig für die Entwicklung der Frauenbewegung in Guatemala waren 1992 der zentralamerikanische Frauenkongress in Nicaragua und 1994 das VI. feministische Treffen Lateinamerikas und der Karibik in El Salvador. Die guatemaltekischen Frauen, die an diesen Treffen teilnahmen, konnten internationale Beziehungen knüpfen und ihre eigene Perspektive erweitern, was wiederum Einfluss hatte auf die Arbeit in Guatemala (5). Ebenfalls in diese Zeit fiel die erstmalige Beteiligung indigener Frauen an feministischen Diskussionen und der Beitritt indigener Frauen in die bestehenden Organisationen. Das Jahr 1994 wurde aus verschiedenen Gründen ausschlaggebend für die politische Beteiligung der guatemaltekischen Frauen: - Zum ersten Mal gab es eine öffentliche Demonstration zum internationalen Tag der Frau am 8. März. Verschiedene Frauengruppen, Ladinas und Indígenas, formulierten ihre spezifischen Forderungen. Die Koordinationsgruppe 8. März wurde gegründet, die heute noch existiert. - Innerhalb der Versammlung der Zivilgesellschaft (ASC) wurde der Frauensektor gebildet. Darin nahmen VertreterInnen von Organisationen aber auch Einzelfrauen teil und formulierten ihre konkreten Bedürfnisse. Der Frauensektor hatte Einfluss sowohl auf die interne Debatte der ASC wie auch auf die Friedensverhandlungen und den Inhalt der Friedensabkommen. - Guatemaltekische Frauen nahmen an der internationalen Konferenz über Bevölkerung und Entwicklung teil. Über die Themen wurde bereits 1993 eine öffentliche Diskussion geführt und ein entsprechender Gesetzesvorschlag eingereicht, der jedoch abgelehnt wurde. - Als Vorbereitungen für die von der UNO organisierte IV. Frauenkonferenz in Beijing wurden in Guatemala Workshops und Seminare durchgeführt und Berichte verfasst. Diese Aktivitäten stärkten die Zusammenarbeit der Frauengruppen und trugen zur Vernetzung innerhalb und ausserhalb des Landes bei. In der zweiten Hälfte der neunziger Jahre konzentrierte sich die Arbeit der Frauenorganisationen in erster Linie auf das Erlangen der Bürgerinnnenrechte und auf die Menschenrechte der Frauen. Die Frage nach der politischen Einflussnahme und der aktiven Beteiligung von Frauen in der Politik standen im Zentrum. Infolgedessen stellten sich in dieser Zeit auch mehr Kandidatinnen für öffentliche Ämter zur Wahl. Die Beteiligung von Frauen in der öffentlichen Politik ist nach wie vor sehr schwach. 1997 waren bloss 19.6% der Entscheidungspositionen in der Exekutive von Frauen besetzt. In der Judikative waren es sogar nur 15.4% und in der Legislative 13.7%. Im Jahr 2000 waren es sogar noch weniger. In der Legislative (im Kongress) hatte es nur 8 Frauen von insgesamt 113 Abgeordneten. Auf lokaler Ebene sieht es noch schlimmer aus: für die 330 BürgermeisterInnenämter kandidierten 1999 nur 14 Frauen. Die Wahlbeteiligung der Frauen hingegen betrug im Jahre 1999 laut vorsichtigen Schätzungen 48%. Auch auf institutioneller Ebene wurden Fortschritte erreicht. 1981 wurde dem Arbeitsministerium das Nationale Frauenbüro (ONAM) angegliedert, dessen Aufgabe die Frauenförderung ist. Grundsätzlich ist jedoch das institutionelle Interesse an Frauenförderung sehr gering und was bisher erreicht wurde, war nur möglich dank der Unterstützung der internationalen Entwicklungszusammenarbeit, der Nichtregierungsorganisationen und der Frauenorganisationen. So konnten verschiedene (Weiter-)Bildungsprogramme im staatsbürgerlichen Bereich durchgeführt und Gesetzesreformen verfasst werden. Zu dieser Zeit wurde auch der Gesetzesvorschlag für die Bildung eines Nationalen Fraueninstituts (INAM) eingereicht werden. Die ONAM engagierte sich vor allem im Bereich der öffentlichen Politik. 1996 erarbeitete sie in Zusammenarbeit mit dem Sekretariat für Soziale Werke, das unter der Leitung der Präsidentengattin steht, und mit Unterstützung verschiedener Institutionen und Gruppen, die 'Politik der Förderung und integralen Entwicklung der Frau' und den Plan 'Gleichheit 2000'. Auf institutioneller Ebene wurde 1986 die Frauenkommission des Kongresses gebildet und 1993 wurde innerhalb der Ombudsstelle für Menschenrechte eine Fachstelle für Frauenrechte eingerichtet. In Zusammenhang mit den Aktionen rund um den Kampf um das Erlangen der Bürgerinnenrechte der Frauen müssen weiter erwähnt werden: - Das Gesetz gegen innerfamiliäre Gewalt (1997) - Die Abschaffung des Ehebruchs von Frauen als Delikt - Die Ausarbeitung eines Wahl- und Parteigesetzes, das auf einem Quotensystem für Frauen beruht (unterdessen hat der Kongress diesen Teil des Gesetzes abgelehnt, die Red.) - Das Gesetz zur Respektierung und für eine integrale Entwicklung der Frau (1999) Zusammenfassend kann gesagt werden, dass die Frauenorganisationen, -gruppen und -institutionen in den vergangenen Jahren ihren Spielraum behaupten und vergrössern konnten und dass sie es geschafft haben, ihre Themen in die nationale Agenda einzubringen. Durch die Teilnahme an internationalen Kongressen konnten sie ihre Perspektive erweitern und die interne Koordination stärken. Die Frauen und der FriedensprozessEines der wichtigsten Ereignisse der jüngsten Geschichte Guatemalas ist sicher die Unterzeichnung der Friedensabkommen. Damit wurde dem bewaffneten internen Konflikt ein Ende gesetzt. Dieser Prozess begann Mitte der achtziger Jahre und endete am 26. Dezember 1996. Wie bereits erwähnt, nahmen die guatemaltekischen Frauen in verschiedenen Formen an diesem Konflikt teil, seit Ende der achtziger Jahre mit einem stärkeren Frauenbewusstsein. Mit dieser Perspektive nahmen sie über den Frauensektor der ASC an den Diskussionen über die verschiedenen Themen der Friedensabkommen teil: Menschenrechte, Rechte der indigenen Völker, Wirtschaft, Landfrage, soziale Rechte, Demobilisierung. Die Vorschläge der Frauen, die in die Friedensabkommen aufgenommen wurden, bedingen politische Änderungen, um das Ungleichgewicht zwischen Frauen und Männer im Interesse der Frauen zu verbessern. Einer der Erfolge der Friedensabkommen, der den Frauen eine gewisse Präsenz innerhalb der nationalen Politik garantiert, ist die Gründung des Nationalen Frauenforums. Bereits seine Schaffung war ein interessanter Prozess, in dem die verschiedenen Frauenorganisationen und Frauengruppen gezwungen waren, einen Konsens auszuhandeln. Im Frauenforum sind Vertreterinnen aller linguistischen Gemeinschaften und aller soziokultureller Gruppen, sowohl aus ländlichen wie aus städtischen Gebieten, vereint. Es handelt sich um ein wichtiges soziales Übungsfeld, in dem über kulturelle Unterschiede und Verschiedenheiten diskutiert wird und das langsam die Legitimation und die Anerkennung der Frauenbewegung findet. Während dreier Jahre entwickelte das Frauenforum eine organisatorische Aktivität, die sich von der Gemeinde- und Departementsebene auf die regionale und nationale Ebene ausbreitete. Insgesamt wurden die Meinungen zu drei Hauptfragen von rund 25'000 Frauen im ganzen Land eingeholt. 1999 wurde dem Präsident ein Dokument mit den wichtigsten Ergebnissen dieser Umfrage überreicht, die später ins bereits erwähnte Gesetz zur Respektierung und integralen Entwicklung der Frau aufgenommen wurde. Die Perspektive der Frauenbewegung im neuen JahrtausendDie Mitte der achtziger Jahre entstandene Frauenbewegung hat sich zweifellos entwickelt, und auch wenn sie zum Teil noch aus Einzelinitiativen besteht, hat sie doch eine wichtige Rolle im nationalen Leben eingenommen. Der Neoliberalismus und die Globalisierung haben nicht nur die Bresche zwischen den Ländern des Südens und den Ländern des Nordens vergrössert. Auch die vielen kleinen Fortschritte der Frauen in Bezug auf die Verbesserung ihrer Lebensqualität werden zunichte gemacht. Dazu kommt, dass die ideologische Offensive der konservativen Kräfte, die die Frauen wieder unter patriarchale Herrschaft stellen will, an Boden gewinnt. Diesen Diskurs hat sich zum Beispiel auch die stärkste Kraft innerhalb des aktuellen Kongresses angeeignet, der sich weigert, die Vorschläge der Frauen zur Verbesserung ihrer politischen Stellung weiterhin zu verfolgen. Es muss aber auch gesagt werden, dass der multikulturelle, mehrsprachige und multiethnische Charakter der guatemaltekischen Gesellschaft, der von Rassismus und autoritären Systemen geprägt ist, auch seitens der Frauen eine ehrliche und ernsthafte Analyse fordert, um gleichberechtigte Beziehungen aufzubauen und die Verschiedenheit zu akzeptieren. Anmerkungen:(1) Die Arbeiterinnen auf der Kaffeefinca 'La Moderna' (in deutschem Besitz) führten 1925 ein "für die liberale Periode der zentralamerikanischen Geschichte einmalige kollektive Aktion durch". Mehr als hundert Frauen nahmen an einem Streik teil und forderten eine tägliche Arbeitszeit von acht Stunden, die Abschaffung von Strafen und eine Lohnerhöhung. (Acuña, 1993: 305) (2) Zwischen 1970 und Ende der neunziger Jahre nahm der Eintritt von Frauen in die Universität zu. Heute machen sie einen Drittel der StudentInnen aus. (3) Guatemala ratifizierte diese Konvention 1982, paradoxerweise unter dem Regime von General Efraín Ríos Montt. Seither wurde jedoch staatlicherseits wenig unternommen, um die Konvention umzusetzen. (4) An dieser Stelle muss erwähnt werden, dass es bereits in den sechziger Jahren die Frauenvereinigung 'Dolores' und 1980 die Union guatemaltekischer Frauen gab, die sich beide der Linken zuordneten. (5) Es ist wichtig zu erwähnen, dass bereits 1987 einzelne Frauen, speziell auch aus den Flüchtlingslagern in Mexiko, am IV. Feministischen Treffen Lateinamerikas und der Karibik (Taxco, Mexiko) teilnahmen. Dieser Austausch hat das Denken der Frauen in den Flüchtlingslagern beeinflusst und sie brachten bei ihrer Rückkehr neue Perspektiven nach Guatemala. |
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