Staatlich verordnete Mehrsprachigkeit
Fijáte 286 vom 4. Juni 2003, Artikel 5, Seite 4
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Staatlich verordnete Mehrsprachigkeit
Guatemala, 8. Mai. Der guatemaltekische Kongress verabschiedete mit Unterstützung aller Parteien ausser den Unionistas das Gesetz über die Anerkennung der Maya-Sprachen als Nationalsprachen. Das Gesetz schreibt vor, dass es in Gemeinden, in denen eine Mehrheit der Bevölkerung eine der 23 Maya-Sprachen spricht, die öffentlichen und administrativen Dienste sowohl in Spanisch als auch in der jeweiligen Maya-Sprache angeboten werden müssen. Auf der Gemeindebehörde, im Zivilstandesamt, in der Schule, im Gesundheitszentrum und in den lokalen Gerichten soll künftig Personal vorhanden sein, das die Bevölkerung in ihrer eigenen Sprache bedienen und beraten kann. In der Praxis heisst das, dass alle im Kongress verabschiedeten Gesetze und auch die im Ausland unterzeichneten internationalen Abkommen übersetzt werden müssen. Die Akademie der MayaSprachen (ALMG) wird damit beauftragt, diese Übersetzungsarbeit zu leisten sowie die Angestellten auszubilden, die in einer zweisprachigen Region arbeiten, jedoch nicht schon beide Sprachen beherrschen. VertreterInnen von Maya-Organisationen begrüssen diesen Schritt, weisen aber gleichzeitig darauf hin, dass es mit der Annahme eines Gesetzes allein noch nicht getan ist. Pablo Puac von der Vereinigung der Maya-StudentInnen fordert von der Regierung die Bereitstellung der entsprechenden finanziellen Mittel, um das Gesetz in die Praxis umzusetzen. Er glaubt auch, dass das Einschwenken der Regierung in dieser Frage auf nationalen und internationalen Druck zurückzuführen sei. Schliesslich sei die Mehrsprachigkeit einer der zentralen Punkte der Friedensabkommen. Etwas verdächtig sei deshalb die Tatsache, dass das Gesetz ausgerechnet eine Woche vor dem Treffen der Konsultivgruppe angenommen wurde, bei dem die Umsetzung der Friedensabkommen evaluiert wurde, erklärt Puac. Auch die ALMG selbst ist nicht ganz glücklich über das neue Gesetz und bedauert, dass ihr Vorschlag über die Schaffung einer gemeinsamen Hochsprache, die eine Verbindung zwischen den verschiedenen Sprachgemeinden geschaffen hätte, nicht angenommen wurde. Die ALMG schlug das Quiché als diese gemeinsame Sprache vor, da Quiché nach Spanisch die am weitesten verbreitete Sprache im Land ist. Eine weitere Kritik von LinguistikexpertInnen an dem neuen Sprachgesetz ist, dass es Sprachen retten wolle, die quasi verschwunden seien (wie z.B. das Xinca, das nur noch von wenigen Personen gesprochen wird). Wissenschaftlich sei es nicht möglich, Sprachen aufrechtzuerhalten, die niemand mehr spreche. Die Existenz einer Sprache hinge davon ab, dass sie gesprochen würde. Rosario Pu von der BäuerInnenorganisation CUC, sieht in diesem Gesetz ein wichtiges Werkzeug, um den Prozess der Multikulturalität und der Demokratisierung des Landes voranzutreiben. Nach oben |
Ob es zur Zufriedenheit aller umgesetzt wird, hinge laut Pu in erster Linie vom politischen Willen der Regierung ab sowie vom Engagement der Institutionen, die mit der Umsetzung betraut würden. Bereits seit 1983 gibt es die Generaldirektion für zweisprachige Erziehung (DIGEBI). VerteidigerInnen des neuen Gesetzes sehen in dieser zum einen den Beweis, dass es möglich ist, zweisprachig zu unterrichten und zum anderen die Garantie, dass das Gesetz angewendet und umgesetzt werden kann. ZweiflerInnen weisen darauf hin, dass nur 23% der insgesamt 900'000 Kinder indigener Herkunft in den Genuss des Angebots des DIGEBI kämen, doch der Schulunterricht der restlichen 77% auf Spanisch erteilt würde. Nicht zuletzt wird von beiden Seiten BefürworterInnen und GegnerInnen das Argument der Identität herbeigezogen. Wer in einer anerkannten Sprache sprechen dürfe, fühle sich ,,mehr Guatemalteke", heisst es auf der einen Seite. Auf der anderen wird eine Spaltung der Gesellschaft befürchtet, weil nach dem neuen Gesetz z.B. auch traditionelle Flur- und Strassennamen oder Fincas etc. je nach linguistischer Gemeinde in eine MayaSprache, Garífuna oder Xinca umbenannt werden müssen. |
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