¡Híjole...! Die einmonatliche Kolumne von Fernando Suazo - Dieses Schweigen
Fijáte 370 vom 18. Oktober 2006, Artikel 8, Seite 6
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¡Híjole...! Die einmonatliche Kolumne von Fernando Suazo - Dieses Schweigen
Es ist nicht einfach, mit diesem Schweigen zu leben. Für jemanden, der in einer mediterranen Kultur aufgewachsen ist, ist es oftmals schwierig zu verstehen, was die Maya-Leute mit ihrem Schweigen sagen wollen. Der Rassismus vieler Ladinas/os(1) und Criollas/os(2) scheint aus der Steinzeit zu stammen. Sie beleidigen die Indígenas mit dem Vorwurf der "Stummen" und interpretieren ihre fehlende Ausdrucksstärke als Gefühllosigkeit oder Mangel an Intelligenz. Obwohl mich solche rassistischen Einstellungen immer angeekelt haben, erstaunt es mich selber immer wieder, dass ich bei der Beerdigung einer ermordeten Person oft dessen Ehefrau oder Mutter nicht von den anderen anwesenden Frauen unterscheiden kann, alle sind sie vermummt in die gleiche Strenge. Fühlen sie nichts angesichts des Verlustes ihrer geliebten Person? Unweigerlich vergleiche ich diese Bilder mit ähnlichen Szenen in meinem Land, wo in solchen Situationen geweint wird, geschrieen, wo nach Rache verlangt wird… Noch heute fällt es mir schwer zu verstehen, warum bei den Indígenas alles still bleibt, nachdem eine erschütternde Nachricht bekannt wird. Ich erinnere mich zum Beispiel an ein Erlebnis vor einigen Monaten, als im Radio von der Tragödie der aufgegriffenen afrikanischen Flüchtlinge berichtet wurde, die Europa per LKW in die Wüste zurückschickte, jeweils zu zweit in Handschellen. Ich schaute um mich in der Erwartung, dass jemand seine oder ihre Empörung zu der meinen gesellte, aber, wie schon öfter, musste ich meine Gefühle verstecken, weil sie allein waren. Ich erinnere mich an viele Gelegenheiten, wo Paternalismus, Demütigungen oder Beleidigungen anstelle von Beschwerden oder Auflehnung hervorzurufen, bloss ein verblüffendes Schweigen provozierten, wie wenn das Gegenüber nicht verstanden hätte, worum es ging. Ich beobachte auch immer wieder, wie Maya-Frauen und -Männer immer ihre Sprache verstecken wenn irgendeine Ladina oder ein Ladino gegenwärtig ist, währenddessen die Ladinas/os vor den Maya niemals vom Spanischen abkommen, auch z.B. ihren indigenen NachbarInnen gegenüber nicht. Die Maya selbst zwingen ihrer Sprache das Schweigen auf. An allen öffentlichen Orten ist dies eine Norm, die zwischen den Zeilen steht, ob es sich nun um den Staat handelt oder um zivile oder religiöse Institutionen: das Verschweigen ihrer Sprache in der Kommunikation, das Verschweigen ihrer Erinnerung in der Religion und im gesellschaftlichen Leben. Langsam verstehe ich etwas von diesem Maya-Schweigen. Es steht in Beziehung zu ihrer Erinnerung, die so schmerzhaft wie unterdrückt ist. Am Rande der Grube, beim Miterleben des Auftauchens der ersten menschlichen Überreste in vielen geheimen Massengräbern, hat mich immer wieder das dichte Schweigen des Ortes und der anwesenden Familienangehörigen beeindruckt: ein ohrenbetäubendes Schweigen, das in dem Masse anschwoll, in dem aus der Erde die stummen Schreie der gequälten Totenköpfe emporstiegen. Nach oben |
Eine erste Theorie, das Maya-Schweigen zu erklären, basiert auf der bestehenden militärischen, wirtschaftlichen und kulturellen Repression, die mit der Conquista hereinbrach; und darauf, dass unter diesen Bedingungen die Maya gelernt haben, dass die beste Überlebensstrategie das Schweigen ist. Das Verschweigen ihrer Gefühle, das Verschweigen ihrer Sprache, das Verschweigen ihrer Erinnerung. Offenbar ist ihnen allein der symbolische Raum der Bräuche geblieben, um ihre Emotionen und ihre Erinnerung mitzuteilen, weshalb dieser Raum so wichtig ist für sie. Aber es gibt noch andere Bekundungen des Maya-Schweigens, die weiterhin ohne Erklärung sind. Warum hütet die Maya-Kultur so viel Schweigen über die Erfahrung der Liebe? Wie oft, nach einer herzlichen Begegnung mit Maya-Personen, traf meine innige Umarmung auf eine leichte Berührung ihrer Hände auf meiner Schulter, oder mein inniger Händedruck wird von einer schlaffen Hand entgegengenommen. Die gleiche Nüchternheit gibt es im Inneren ihres Volkes: Die Eltern, die ihre vermissten Kinder wieder treffen, die Eheleute, die Leute, die sich gern haben, agieren mit einer "Ausdruckslosigkeit", die uns andere verwirrt: sie reden gerade einmal miteinander, ohne sich kaum zu berühren. Die westliche Kultur, von ihren Ursprüngen bis heute, hat sich intensiv und massiv über die Liebe ausgelassen, in ihrer Religion, ihrer Philosophie, ihrer Literatur, in ihren Gemälden, ihrer Musik, im Kino (jedoch nicht in ihrer Wirtschaft, die, genau betrachtet, jener Raum ist, der das gesellschaftliche Leben und die Politik bestimmt). Nichtsdestotrotz hüllt sich die Maya-Kultur, seit ihren Gründungsmythen bis heute, über die Liebe in Schweigen. Was soll man über dieses Schweigen denken? Ziehen wir aus ihm die rassistische Schlussfolgerung, dass sie nicht über die Liebe sprechen, weil sie sie nicht kennen? Ich verspreche, ich werde hier die zweite Theorie über das Maya-Schweigen niederschreiben, in Bezug auf das, was mit der Liebe zu tun hat. Fußnoten: 1 Ladinas/os als Bezeichnung für Personen die aus einer Mischehe zwischen Weissen und Indígenas stammen bzw. deren Nachfahren 2 Criollas/os als Bezeichnung für Personen die aus einer "rein spanischen = weissen" Beziehung stammen, jedoch nicht in Spanien sondern auf dem amerikanischen Kontinent geboren wurden. |
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