¡Híjole...! Die einmonatliche Kolumne von Fernando Suazo - Das Schweigen des Respekts
Fijáte 373 vom 29. November 2006, Artikel 7, Seite 6
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¡Híjole...! Die einmonatliche Kolumne von Fernando Suazo - Das Schweigen des Respekts
Für die Maya-Kultur besitzen alle Lebewesen ein Mysterium und dieses gleicht einem heiligen Raum, eigen und unzugänglich. Alle Wesen, nicht nur die Menschen, sind nach der Weltanschauung der Maya Subjekte. Sie sind nicht bloss verfügbare Objekte, sondern sie verbergen in sich eine Macht, denn das Heilige ist Macht. Das Popul Wuj, die Heilige Schrift der Maya, erzählt, wie die Mahlsteine, die Töpfe und die comales (flache Tonschalen, auf denen traditionell über offenem Feuer die Tortillas gebacken werden, die Red.) gegen die ersten Menschen, die aus Holz gemacht waren, rebellieren, denn diese respektierten die Utensilien nicht in angemessener Weise. Die Menschen, die diese Gegenstände benutzen, kontrollieren sie nur scheinbar, denn ihre geheime Dimension bleibt unzugänglich, und gerade darin verbirgt sich eine Macht, die respektiert werden muss. Deswegen müssen sich alle Verhaltensweisen an einem Gebot des Respekts orientieren. Die Beziehungen beruhen auf ganz bestimmten Umgangsformen der Gegenseitigkeit. Der Geist der Maya lebt in einem Universum, das von Wesen bevölkert wird, die mit einer je eigenen Subjektivität ausgestattet sind, soll heissen, sie verfügen über Intention und Macht. Ein Bild, ein Foto, eine Maske sind weniger Gegenstandsbilder denn Persönlichkeitsbilder. Es gibt beispielsweise ein komplexes Ritual, um am Vorabend bei den Masken zu wachen, die bei den traditionellen Tänzen getragen werden. Denn sie sind keine Gegenstände, sie sind Jemand. Just heute, um gar nicht so weit auszuschweifen, fragte mich eine Maya-Frau, als sie ein Foto sah, das auf meinem Schreibtisch steht, vertrauensvoll: "Und was wissen Sie darüber, wer dieser Herr auf dem Foto ist?" Ihre Worte beinhalteten den impliziten Rat, mich vor der dort abgebildeten Person zu schützen. Diese Beschaffenheit einer Subjektivität haftet allen Wesen der Natur an, den Menschen, den Geistern, den Vorfahren, aber auch den Gedanken, den Gefühlen, dem eigenen Körper, dem eigenen Geist. Alles, was existiert, besitzt Mysterium, Zauber, Bann. In der Maya-Sprache Achí sagt man: awasil. In einem magischen Universum zu leben bedeutet, dass der/die Maya alles im Leben anders versteht als die westliche Kultur: die Geburt und den Tod, die Freuden und Leiden, die Arbeit, die Wirtschaft, das Zusammenleben, die Konflikte, das Spiel, den Humor, das Wort, das Schweigen... und auch die Liebe. Das Geheimnisvolle ist nicht manipulierbar, es ist nicht aussprechbar, es ist kein Spielzeug; es ist da, um mit ihm in der richtigen Weise in Beziehung zu treten, ausgehend vom Respekt. Zum Beispiel müssen die Feldarbeit, das Holzhacken, das Tierschlachten, der Hausbau, die Aufnahme eines Geschäfts damit beginnen, um Erlaubnis für das geplante Unternehmen zu bitten. Respekt ist Schweigen. Sich vor die/den andereN stellen, mit den Händen auf dem Rücken, darauf verzichtend zu manipulieren und ordinär zu sein, die unschätzbare Dichte des Wesens anerkennend, das wir vor uns haben. Viele Ritualpraktiken, um Erlaubnis zu bitten, gehen mit der Zeit verloren; nichtsdestotrotz bleibt in ansehnlichem Mass das Maya-Schweigen bestehen. Das Schweigen des Respekts. Deswegen erweist sich das Eindringen von Lärm, den die Marketing-Gesellschaft in die Welt der Maya bringt, als so irritierend. Eine merkantilistische Invasion von Frivolität, Gewalt und demütigendem Sex, der massiv und totalitär verbreitet wird als das Lebensmodell der Globalisierung, das einzig mögliche, nach dem Ende der Geschichte. Nach oben |
Und so, während die Maya dem Mysterium ihres Körpers Ehre erweisen, Erfurcht üben, um die Verstorbenen oder die Mutter Erde um Erlaubnis zu bitten oder wie ein Juwel ihre Liebeserfahrungen verstecken, sehen sie sich von diesem degradierten Fortschritt überschwemmt, mit seinen Fernsehsendungen, in denen über alles geredet wird, mit ihren menschlichen Tötungsmaschinen, mit Tänzerinnen und sexy SängerInnen, die die Liebe wie eine Ware aus dem Supermarkt betatschen... Das Schweigen der Maya über die Liebe ist nicht mehr als das Schweigen angesichts des Mysteriums der Wirklichkeit. Seine Inspiration liegt in der Faszination vor dem Heiligen. Mit anderen Worten: das westliche Subjekt im Allgemeinen versteht sich selbst als Gott, auf dem Gipfel der Realität; demgegenüber versteht sich das Maya-Subjekt im Allgemeinen als einE weiterE EingeladeneR, um teilzunehmen und mitzuspielen im Konzert des Lebens, das in der Realität tönt. Vielleicht ist es deswegen, warum der Westen den Lärm einsetzt, um sich verständlich zu machen, während die Maya zum gleichen Zweck das Schweigen einfordern. Der guatemaltekische Dichter Humberto Ak'abal schreibt: "Es stimmt nicht, dass die Steine stumm sind, sie schweigen nur." Und, während sich diese globalisierende Verschmutzung verbreitet, leiden die wahren Maya und schweigen gleichzeitig; aber nicht, weil sie stumm sind - wie die RassistInnen behaupten -, sondern weil sie schweigen. Seit Jahrhunderten wissen sie, dass das in den bösen Zeiten angebracht ist. |
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