Gegen Gewalt gegen Frauen: der 25. November
Fijáte 373 vom 29. November 2006, Artikel 2, Seite 3
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Gegen Gewalt gegen Frauen: der 25. November
Guatemala, 25. Nov. Die Zahlen schwanken, wie gewohnt. Zwischen 485 - Angabe der Frauenorganisationen, 511 - registrierte Fälle durch die Nationale Zivilpolizei (PNC) und "mehr als 580" schreibt die Presse. Gemeint ist die Anzahl der ermordeten Frauen und Mädchen während dieses Jahres. Im letzten Jahr waren es 665, zwischen 2000 und 2006 wurden 2´796 Morde an Frauen in Guatemala gezählt. Die Statistik 2006 berichtet zudem von 825 angezeigten Vergewaltigungen an Frauen und 10´084 bzw. laut Staatsanwaltschaft 10´790 Anzeigen wegen häuslicher Gewalt gegen Frauen, meist ausgeübt durch den Partner. Aufgeklärt und eine Verurteilung ausgesprochen wurde in den letzten sechs Jahren in insgesamt 20 Fällen, und somit in 0,7% der Morde. Diese Aneinanderreihung anonymer Zahlen weist auf ein komplexes Phänomen hin: Die Morde an Frauen und Mädchen - während auch in diesem Jahr die Zahl der Morde an Jungen und Männern ebenfalls dramatisch und unaufhaltsam ansteigt - gelangen allein numerisch in die guatemaltekische Öffentlichkeit. Die Medien berichten zwar jeden Tag vom Fund von soundsovielen Leichen im ganzen Land, nennen ohne Rücksicht auf den Datenschutz die Namen und Herkunft der Identifizierten, und am nächsten Tag sind schon wieder neue Tote gefunden. Fehlende Kapazitäten - personelle, fachliche, infrastrukturelle -, nicht selten fehlender Wille von Seiten der zuständigen Ermittlungsinstanzen und fehlende Koordination zwischen diesen sorgen für unterschiedlichen Angaben, nicht nur, was die Anzahl der Ermordeten angeht, sondern sogar die Todesart, Verletzungen und Personenbeschreibungen. Ermittlungen werden, wenn überhaupt, halbherzig aufgenommen, aber selten zu Ende geführt: Mit der Erklärung, der Mord der Frau sei auf das Konto der maras (Jugendbanden) zu schieben oder das Opfer angeblich eine Sexarbeiterin gewesen (weil sie lackierte Fingernägel oder ein Bauchpiercing hatte), ist der Fall abgeschlossen. Damit ist die Straflosigkeit der Täter, zu denen als aktive sowie verdeckende Verantwortliche der Morde in zahlreichen Fällen Staatsangestellte, v.a. die Polizei selbst gehören, gesichert. Und das in manchmal absurder Form. So ereignete sich am 9. November ein Autounfall, verursacht durch einen betrunkenen Fahrer, der in ein voll besetztes Fahrzeug fuhr. Eine der Insassen starb noch am Unfallort, ihre Schwester und eine Freundin wurden schwerverletzt ins Krankenhaus gebracht. ZeugInnen sagten aus, dass der den Unfall verursachende Fahrer, Asisclo Valladares Molina, so besoffen war, dass er noch nicht einmal gehen konnte. Dennoch schaffte er es, die Polizei von seiner Version des Vorfalls zu überzeugen, so dass er selbst laufen gelassen wurde: Der Fahrer des anderen Autos, Schwager der Verstorbenen, sei Schuld gewesen. Valladares ist nämlich nicht Irgendwer, sondern ehemaliger Präsidentschaftskandidat, ehemaliger Botschafter Guatemalas in Rom und 1992 hatte er das Amt des Generalprokuristen inne. Doch vornehmlich durch die beharrliche Arbeit der Frauenorganisationen und die durch diese provozierte internationale Aufmerksamkeit, werden zumindest seit wenigen Jahren auch in Guatemala Geschlechtergetrennte Statistiken geführt und die Gewalt an Frauen ist öffentlich verurteiltes Thema. Die Verbreitung der Information über die Rechte der Frauen und die Enttabuisierung der Leiden der Frauen in viel zu vielen Lebenslagen durch die ausgeübte Dominanz der Männer, ist Erklärung für den Anstieg der registrierten Anzeigen von Gewalttaten. Laut Lateinamerikaweiten Studien geben die Aggressoren als Motiv für ihre Gewalt gegen die Frau im eigenen Haushalt in anderen Worten ihre Angst an, in ihrer traditionellen Rolle als "Mann" und somit Herr über die Frau in Frage gestellt zu werden: sexuelle Verweigerung, Eifersucht, Untreue, sexuelle Befriedigung. Dabei weisen die oft als "Verbrechen aus Leidenschaft" benannten Gewalttaten in der Regel auf eine lange Vorgeschichte der alltäglichen brutalen Nötigung der Frau - oder des Mädchens - hin. Immer noch dominiert das Konzept, dass die Ehre des Mannes, die durch Ehebruch, Verlassenwerden oder einfach durch die Inanspruchnahme von Freiheit verletzt wird, mehr wert ist, als das Leben der Frau. Kulturelle und symbolische Stereotype und Vorurteile sichern dies nicht nur über die Alltagssprache ab. Nach oben |
Mit Unterstützung der Vereinten Nationen, der Europäischen Kommission und Isis International schlossen sich am 25. November die guatemaltekischen Frauen(rechts-)organisationen der Kampagne 16 Tage des Aktivismus an, mittels der die Gewalt gegen Frauen öffentlich thematisiert werden und Druck auf die verantwortlichen staatlichen Instanzen ausgeübt werden sollen, endlich effektive Massnahmen zum Schutz der Frauen zu ergreifen. Diese sechzehn Tage decken vier internationale Gedenktage ab: den 25. Nov.: Internationaler Tag gegen Gewalt gegen Frauen, der auf den Mord an den drei Mirabal-Schwestern zurückgeht, die 1960 in der Dominikanischen Republik wegen ihres politischen Widerstands gegen die Diktatur Trujillos umgebracht wurden, den 1. Dezember: Welt-AIDS-Tag, den 6. Dez.: Tag zum Gedenken des Massakers in Montreal, wo 1989 der Amokläufer Marc Lepin 14 Studentinnen der Ecole Polytechnique "aus Frauenhass" getötet hatte, und den 10. Dez.: Internationaler Tag der Menschenrechte. Aufgrund der Passivität des guatemaltekischen Justizsystems, hat die Interamerikanische Menschenrechtskommission (CIDH) nun angekündigt, den Mord an der damals 15jährigen María Isabel Veliz aufzunehmen und als Exempel zu statuieren, um mittels Empfehlungen die lokale Gerichtsbarkeit anzuhalten, sich diesem sowie allen anderen Morden an Frauen anzunehmen. Das Mädchen war am 18. Dezember 2001 mit Zeichen von Vergewaltigung, zertrümmertem Schädel, Würgemalen und Drahtfesseln um die Füsse gefunden worden. Die Mutter kämpft seitdem um die Aufklärung des Verbrechens. |
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