"Wir haben noch nicht geklärt, was wir eigentlich wollen und wofür wir kämpfen"
Fijáte 222 vom 8. Nov. 2000, Artikel 1, Seite 1
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"Wir haben noch nicht geklärt, was wir eigentlich wollen und wofür wir kämpfen"
Die 'internen Probleme' der URNG sind in letzter Zeit in aller Munde (und haben seit letzter Woche noch eine weitere Dimension erhalten, siehe Artikel in diesem Fijáte). Der Begriff 'interne Probleme' wurde von aussen definiert, die URNG selber hat lediglich dazu Stellung genommen. Einer, der erstaunlich offen darüber spricht, ist Jorge Soto (ehemals Pablo Monsanto, von den Fuerzas Armadas Rebeldes, FAR). Wir veröffentlichen ein Interview mit ihm, das am 22. Oktober in der Tageszeitung El Periódico erschienen ist. Frage: Was ist los innerhalb der URNG, weshalb herrscht so viel Unzufriedenheit unter Ihren Leuten? Pablo Monsanto: Die Partei URNG hat sich aus den vier Guerillaorganisationen zusammengeschlossen. Während des Krieges hat jede im nationalen Interesse gekämpft, aber jede aus eigenen Gründen und mit eigenen Zielen. Diese wurden gegenseitig nicht hinterfragt, der gemeinsame Nenner war der Kampf gegen den Gegner. Heute gibt es diesen gemeinsamen Gegner nicht mehr so wie früher, sondern wir müssen gegen politische GegenspielerInnen antreten. Und nun müssen wir auch die Probleme ansprechen, über die wir jahrelang nicht geredet haben und das schafft eine Stimmung des Unbehagens. Frage: Aber weshalb gerade jetzt, die Partei existiert doch immerhin seit bereits vier Jahren? Monsanto: Unser Kriterium war immer, dass sich die Probleme in der Praxis lösen sollten und nicht durch Debatten, die oft unendlich lang und unfruchtbar sind. Wir hatten immer Angst davor, in diese Art Diskussionen zu verfallen, da wir fürchteten, dass sie andere Aktionen blockieren würden, die wir als Partei unternehmen mussten. Frage: Ist es Unfähigkeit oder mangelnde Reife? Monsanto: Diese Form von Organisation, die von einigen unserer Leute immer noch praktiziert wird, entspricht eher dem Konzept einer Kriegssituation und nicht der neuen politischen Realität. Eines der Probleme ist die unterschiedliche Auffassung von Demokratie. Einige denken, dass 'Demokratie ausüben' einzig darin besteht, mehr Leute in Entscheidungspositionen zu haben. Wenn das alles wäre, würde es genügen, Leute zu ernennen, damit sie sich beteiligen. Für mich bedeutet aber Demokratie, dass diejenigen, die Entscheidungspositionen besetzen, gewählt werden und nicht einfach ernannt. Dies ist nur ein Beispiel von unterschiedlichen Auffassungen innerhalb der URNG, die es zu klären gibt. Frage: Was verstehen Sie unter gewählt? Gewählt von der Basis oder von der Parteiführung? Monsanto: Da sind wir schon beim nächsten Problem. Die legale Struktur unserer Partei erlaubt nicht die Teilnahme all jener, die früher Mitglieder der URNG waren. Es gibt eine grosse Anzahl von Compañeros und Compañeras, die Militante der URNG waren, jetzt aber ausgeschlossen sind, weil sie nicht einem unserer lokalen Parteibüros angeschlossen sind, keiner vom Exekutivkomitee (CEN) ernannten Struktur angehören und keinen Ort haben, wo sie ihre Vorschläge oder Ansichten deponieren können. Unsere interne Demokratie ist sehr bürokratisch. Wir müssen eine Lösung finden, wie wir alle Militanten unserer Partei teilnehmen lassen können. Mein Vorschlag ist, mehr als den einen, vom Wahlgesetz verlangten, Parteikongress durchzuführen. Damit wäre Zeit und Raum vorhanden, die politische und ideologische Linie unserer Partei zu diskutieren und zu definieren. Die Diskussion pragmatischer Fragen wird innerhalb der URNG vermieden. Oft wird die 'offizielle' Meinung der Partei in der Presse veröffentlicht, doch die Basis ist nicht damit einverstanden und akzeptiert sie nicht. Die Friedensabkommen können nicht das einzige Programm der URNG sein. Sie sollen der Entwicklung des ganzen Landes dienen, dürfen aber nicht von einer Partei als ihr Programm übernommen werden. Frage: Was ist denn das Programm der URNG? Monsanto: Das müssen wir erst definieren. Es muss auch das Programm der guatemaltekischen RevolutionärInnen definiert werden, ebenso die Frage, wie sie mit der Macht umgehen wollen. Auch in diesen Punkten sind wir uns nicht einig. Frage: Dann ist logischerweise auch die Ideologie noch nicht definiert...? Monsanto: Das ist sehr diffus. Es ist nicht klar definiert, welche Ideologie wir vertreten. Wenn man ein Mitglied der Parteiführung fragt, wie wir uns definieren, ist die Antwort nicht "Wir sind SozialistInnen" oder "Wir sind SozialdemokratInnen" oder einfach "Wir sind RevolutionärInnen", weil es eine solche Definition der URNG nicht gibt. Wenn wir es schaffen, ein Parteiprogramm zu definieren, glaube ich auch, dass wir viel konkreter zu den Problemen unseres Landes Stellung nehmen können. Bis jetzt hat die URNG zu den brisanten Fragen geschwiegen und keine Position bezogen. Wir haben oftmals zu Themen auch deshalb keine Stellung bezogen, weil wir tatsächlich keine ideologische und politische Position gegenüber dem Neoliberalismus haben. Ein weiteres Problem ist der wahlpolitische Kampf. Wie wollen wir in den nächsten Wahlkampf einsteigen, an die Macht kommen und unser (noch zu definierendes) Parteiprogramm durchsetzen? Auch in dieser Frage hat die URNG keine Strategie. Wir haben noch nicht geklärt, was wir eigentlich wollen und wofür wir kämpfen. Wir haben uns immer "RevolutionärInnen" genannt und es gibt viele unter uns, die sich fürchten, das Wort "Sozialismus" auszusprechen. Frage: Weshalb seid Ihr nicht weitergekommen? Aus Nachlässigkeit? Monsanto: Es ist nicht Nachlässigkeit, es geht um praktische, reale Probleme: Als wir mit dem Aufbau der Partei begonnen hatten, unterstützten uns etwa hundert professionelle Fachleute, heute haben wir nur noch Unterstützung von weniger als fünfzehn. Die einzigen, die eine Art Entgelt bekommen, denn einen Lohn kann man das nicht nennen, sind diejenigen, die in den Parteibüros arbeiten. Nach oben |
Der wichtigste Aspekt der Wiedereingliederung (auch eine Sache, die wir uns zuwenig überlegt haben) ist, dass es zum Überleben eine Arbeit braucht. Wer damit beschäftigt ist, hat keine Zeit mehr, sich der Parteiarbeit zu widmen, ausser vielleicht einmal an einem Wochenende. Die finanziellen Probleme werden zu einer wichtigen Einschränkung der politischen Arbeit. Es geht nicht um Nachlässigkeit, sondern es ist ein grundsätzliches, politisches Problem. Viele Fragen werden innerhalb der Partei nicht ausführlich behandelt, weil sie auch in den Köpfen der GenossInnen nicht klar sind. Frage: War die Parteiführung nicht in der Lage, diese Fragen zu klären...? Monsanto: Da die grundsätzlichen Probleme nicht geklärt sind, beschränkt sich die Parteiführung auf die Lösung der praktischen Probleme. Sie vermeidet es, grosse Brocken anzupacken. Was sich meiner Meinung nach baldmöglichst definieren muss, ist eine Position gegenüber der Regierungspolitik, gegenüber den andern politischen Parteien, gegenüber der Mainstream-Presse. Es geht dabei um eine Frage der Allianzen. Die Parteiführung hingegen beschränkt sich auf die Lösung der Alltagsprobleme und darauf, eine Vermittlerposition zwischen der Regierung und der Gesellschaft einzunehmen. Frage: Ist es nicht so, dass alle Probleme, die Sie erwähnen, im Grunde mit dem Sektierertum zu tun haben, das schon immer ein Merkmal der Guerillaorganisationen war? Monsanto: Sektierertum ist immer subjektiv und führt meist zur Isolation. Es ist etwas, dass sich immer in gewissen parteipolitischen Kreisen ergibt. Es gab immer schon konjunkturelle Positionen und strategische Positionen. Aber es geht darum, weder der einen noch der andern zu verfallen. Um Position in einer bestimmten Konjunktur zu beziehen, braucht es ein strategisches Ziel. Einer konjunkturellen Entwicklung nachzuhängen, ohne strategische Ziele zu verfolgen, kann der Untergang einer Partei sein. Frage: Vielleicht wiederhole ich mich, aber: Warum ist ein Mangel an interner Demokratie, an fehlender politischen Positionierung in Bezug auf die Probleme des Landes vorhanden? Monsanto: Es ist das Fehlen eines klaren Horizontes, eines definierten Weges. Manchmal sitzen wir (das Exekutivkomitee der URNG) in endlosen Sitzungen und diskutieren interne Parteiprobleme, während auf der Strasse die Bevölkerung am demonstrieren ist. Manchmal ist es unheimlich schwierig, eine Einigung zu finden, weil wir uns, wie schon gesagt, nicht einig sind, was der Begriff 'Demokratie' für unsere Partei bedeutet. Frage: All diese Probleme, die Sie hier erwähnen - weiss die Basis davon? Monsanto: Nein, denn es gibt keine funktionierenden Kommunikationswege. Ich treffe mich monatlich mit den Departementsverantwortlichen und informiere sie über die Themen, die auf nationaler Ebene diskutiert werden. Aber es hat sich klar gezeigt, dass diese monatlichen Treffen nicht ausreichen. Auch auf dieser Ebene wird nicht mit der uneingeschränkten Offenheit und Ehrlichkeit informiert. Dies, obwohl wir seit einem Jahr eine spezielle Kommission für organisatorische Angelegenheiten haben, die ein Kommunikationsystem zu den einzelnen SekretärInnen der Partei entwickelt hat. Leider hat diese Kommission bisher in ihrer Arbeit versagt. Frage: Aber das ist doch ein praktisches Problem: Wenn eine solche Kommission nicht funktioniert, kann sie nicht einfach ausgewechselt werden? Monsanto: Eine solche Struktur innerhalb der URNG auszuwechseln zieht politische Probleme nach sich, denn auch innerhalb der Kommissionen sind verschiedene politische Positionen anzutreffen. Auch da ginge es darum, solche Kommissionen auf einem demokratischen Weg zu wählen, und nicht von der Führungsspitze zu ernennen Frage: Wenn solche Fragen innerhalb der Parteispitze diskutiert werden, geht es da ehrlich und offen zu und her, oder sind die einzelnen VertreterInnen auch 'diplomatisch' in ihren Statements? Monsanto: Es wird versucht, aber es kann nicht gesagt werden, dass Offenheit herrscht in unseren Diskussionen. Dieses Misstrauen hat seine Wurzeln in der Geschichte der URNG. Und solange dieses Misstrauen herrscht, können alle andern Probleme nicht angegangen werden. Frage: Das Sektierertum habt ihr in den letzten dreissig Jahren nicht überwinden können, wie sollte dies in ein paar Monaten möglich sein? Monsanto: Es ginge ja nur darum, Normen und Regeln aufzustellen, an die wir uns parteiintern halten könnten. Frage: Um einen Prozess in Gang zu bringen, wie Sie sich ihn vorstellen, bräuchte es jemanden, der oder die ihn anführt. Haben Sie eine Idee, wer das sein könnte? Monsanto: Ich selber habe mich angeboten, diesen Prozess zu leiten. Dies bedeutet in erster Linie, mit vielen GenossInnen darüber zu diskutieren, was der Begriff 'Demokratie' für sie bedeutet. Frage: Um einen solchen Prozess zu leiten, braucht es einen engen Bezug zur Basis. In Ihrem Fall hat es viel Kritik gegeben, Sie würden die lokalen Parteibüros und die ehemaligen KämpferInnen im Stich lassen . Monsanto: Ich habe es bisher unterlassen, innerhalb der Partei meine eigene Kampagne zu lancieren, ausser, als es darum ging, die Position als Generalsekretär zu erlangen. Es ist unmöglich, eine Kampagne dieser Art zu starten, ohne von der einen oder anderen Seite angegriffen zu werden. Ich habe an Sitzungen in den verschiedenen Departementen teilgenommen, aber die Diskussionen, die dort geführt werden, sind sehr weit entfernt von den internen Problemen der Partei. Es lag mir dann auch jeweils fern, über diese Probleme zu sprechen. Ich habe es nicht gemacht, aber ich weiss, dass andere GenossInnen es gemacht haben. Würde ich beginnen, meine eigene Meinung kundzutun, distanzierte ich mich von der offiziellen Position der URNG. Dies würde politische Probleme nach sich ziehen. Wenn ich innerhalb der Partei gewisse Positionen vertreten habe, hiess es oft, "dies ist die Meinung des Generalsekretärs, nicht diejenige des Exekutivkomitees." Deshalb habe ich aufgehört, innerhalb der Partei meine eigene Meinung zu vertreten. Aber jetzt, wo die Probleme sowieso öffentlich geworden sind, habe ich mir vorgenommen, den Kampf um die Demokratisierung der Partei anzuführen. |
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