Movimiento Campesino: Die Forderungen sind nicht neu
Fijáte 221 vom 25. Okt. 2000, Artikel 1, Seite 1
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Movimiento Campesino: Die Forderungen sind nicht neu
Am vergangenen 10. Oktober hat eine der grössten Demonstrationen in der Geschichte der guatemaltekischen BäuerInnenbewegung stattgefunden (siehe Artikel Seite 3). Womit einmal mehr bewiesen ist: Guatemala ist ein ausgesprochenes Agrarland und die BäuerInnenbewegung nach wie vor eine der stärksten sozialen Bewegungen des Landes. Der folgende Artikel macht einen kurzen Rückblick auf die Geschichte der BäuerInnenbewegung und versucht, die aktuellen Diskussionen und Forderungen zur Landthematik zusammenzufassen. Schon im 17. und 18. Jahrhundert spielten die BäuerInnen eine wichtige Rolle bei den sozialen Zusammenstössen und den daraus resultierenden Unabhängigkeitsbewegungen in Lateinamerika im . In dieser Zeit konzentrierten sich die Forderungen der sozialen Bewegungen auf drei Hauptpunkte: Abschaffung der Tribute, Abschaffung des Handelsmonopols der Spanischen Krone und gerechte Verteilung des Landes. Und auch wenn schliesslich vor allem die Ladinos davon profitierten, öffnete der Kampf der indigenen BäuerInnen den Weg zur Konsolidierung der Nationalstaaten. Guatemala gehörte zur zentralamerikanischen Föderation, wo die Handels- und Agraroligarchie die administrative Kontrolle und somit die Geschicke der Nation fest in ihren Händen hielten. Bewaffnete BäuerInnenaufstände, deren Hauptforderung die gerechte Landverteilung war, brachten 1847 Rafael Carrera an die Macht. Dieser versteckte sich vorerst hinter den Forderungen der BäuerInnen, entpuppte sich jedoch als einer der grausamsten Diktatoren Lateinamerikas. Mit dem Tod Carreras 1865 begann eine Ära liberaler Regierungen. Nachdem seine Bewegung gesiegt und ihn an die Macht gebracht hatte, verpflichtete sich General Miguel García Granados zu einer Staatsreform. Einerseits war das Ziel, die Auswüchse individueller Macht zu beschneiden, andererseits dem Landbesitz der mächtigen Kaffeepflanzer eine gesetzliche Basis zu verschaffen. Auch sein Nachfolger, General Justo Rufino Barrios, trieb die liberalen Reformen voran, herrschte jedoch als Diktator. Diese Reformen verbanden technologische Fortschritte und neue militärische Konzepte - wie die Aufstellung einer Berufsarmee - mit der Unterdrückung des Rechtes auf Landbesitz für Gemeinden und Kirchen und führten die Zwangsarbeit ein. 1987 wurde die Verordnung über TaglöhnerInnen und ein Jahr später das Gesetz gegen Landstreicherei verabschiedet, das die indigenen BäuerInnen dazu zwang, 100 bis 150 Tage im Jahr auf den Kaffeeplantagen zu arbeiten. In diese Zeit fallen zahlreiche Aufstände der BäuerInnen gegen politische Anführer, Steuereintreiber und Plantagenbesitzer. Darunter sind besonders der Krieg der Indígenas von Momostenango 1876, der Aufstandsversuch der Quichés 1877 und die Rebellion von San Juan Iscoy im Jahre 1898 zu erwähnen. Alle diese Aufstände wurden von den Milizen der Ladinos erstickt, welche sich des Indígena-Landes bemächtigten. Erst während der Oktoberrevolution (1944-1954) erlaubte das politische Klima die Gründung von rund 500 BäuerInnen- und LandarbeiterInnengewerkschaften. Diese schlossen sich in den Lokalen Agrarkomitees (CAL) zusammen, um die Umsetzung und Einhaltung der von Präsident Jacobo Arbenz Gúzman angeordneten Landreform zu überwachen. Die von Castillo Armas mit Unterstützung der Vereinigten Staaten durchgeführte Konterrevolution zerschlug sämtliche Organisationserfolge der BäuerInnenbewegung und ihre AnführerInnen wurden verfolgt und umgebracht oder ins Exil getrieben. Erst durch das Aufkommen der Guerilla in den 60er Jahren, bekamen die Gewerkschafts- und BäuerInnenorganisationen wieder Aufwind und forderten öffentlich Land für die BäuerInnen, Organisationsfreiheit und höhere Löhne für FincaarbeiterInnen. Mitte der 60er Jahren existierten im Land insgesamt 164 Gewerkschaften, BäuerInnenvereinigungen oder -komitees und Kooperativen mit rund 30'000 Mitgliedern. Während der Regierungszeit César Méndez Montenegro's (1966-1970) wurden im Norden des Landes heftige Landkonflikte zwischen indigenen BäuerInnen und Grossgrundbesitzern ausgetragen, die sich bald aufs ganze Land ausdehnten. Unter dem Vorwand, die BäuerInnenbewegung sei die soziale Basis der Guerilla wurden die Aufstandsbekämpfungsmassnahmen auf breite Bevölkerungsgruppen angewandt. Mit der in den 80er Jahren unter dem Namen 'Verbrannte Erde' bekannt gewordenen Aufstandsbekämpfungsmethode zerstörten und ermordeten Efraín Ríos Montt und Oscar Mejía Víctores insgesamt 440 indigene BäuerInnengemeinden in verschiedenen Landesteilen. Trotzdem wurden in dieser Zeit wichtige, bis heute existierende ArbeiterInnen- und BäuerInnenorganisationen gegründet, z.B. die Nationale ArbeiterInnenzentrale (CNT) und das Komitee für BäuerInneneinheit (CUC). Auch in den 90er Jahren formierten sich eine ganze Reihe Indígena- und BäuerInnenorganisationen, nämlich all die ProtagonistInnen, die in den heutigen Landkämpfen aktiv sind: Die Nationale Koordination der kleinen und mittleren ProduzentInnen (CONAMPRO), in der 75 Gemeinden organisiert sind; die Nationale Indígena- und BäuerInnenkoordination (CONIC), eine Abspaltung der CUC, oder die Nationale Koordination der BäuerInnenorganisationen (CNOC). Und heute? Rein zahlenmässig hat sich nichts verändert. Noch immer gehören 70% des nutzbaren Bodens und 10% der Waldressourcen denjenigen 0.15% Grossgrundbesitzern, die kommerziell wirtschaften. Die rund 4% der LandwirtInnen, die einen Überschuss erwirtschaften, besitzen 10% des Landes. Und der grossen Mehrheit, nämlich 95% aller BäuerInnen die Landwirtschaft einzig zur Selbstversorgung betreiben, stehen 20% des landwirtschaftlich nutzbaren Bodens zur Verfügung. Immer noch sind Tausende von Familien gezwungen, sich als temporäre KaffeepflückerInnen an die guatemaltekische Südküste oder nach Mexiko zu verdingen, wo sie keine Verträge erhalten und ihnen die Möglichkeit verwehrt ist, sich gewerkschaftlich zu organisieren. Entsprechend sind denn auch die Forderungen der BäuerInnenbewegung die selben wie eh und je: Gerechte Verteilung des Landes, Anerkennung der Landtitel und Rückgabe der enteigneten Ländereien. Neu dazugekommen ist die Forderung, die Friedensabkommen einzuhalten, speziell das Abkommen über die sozioökonomische Situation und die Landproblematik, das die Grundlage definiert, um all diese Probleme zu lösen. Nach oben |
Am 28. September dieses Jahres haben die Fakultät für Agronomie der Universität San Carlos (USAC) und das Institut für politische, ökonomische und soziale Studien (IPES) ein Seminar organisiert mit dem Titel "Der Aufbau des Friedens hängt von der Definition der Agrarpolitik ab". Teilgenommen haben u.a. Daniel Pascual von der CNOC, Patricia Monge von der Landwirtschaftskammer, Juan Pablo Corlazzoli von der UNO-Mission für Guatemala (MINUGUA) und Leopoldo Sandoval, aktueller Landwirtschaftsminister. Die Stellungnahmen der ReferentInnen geben einen guten Überblick über die Position der einzelnen Sektoren und erklären auch, weshalb sich trotz Friedensabkommen keine Verbesserung für die Landproblematik abzeichnet. Für die BäuerInnenbewegung, am Seminar vertreten durch Daniel Pascual, gehört zur Lösung der Landfrage die Bearbeitung einer ganzen Reihe anderer Problematiken: Ernährungssicherheit, Erziehung, gesundheitliche Betreuung und Vorsorge, Zugang zu Krediten und das Mitspracherecht bei Entscheidungen, die direkte Auswirkungen auf die BäuerInnen haben. Damit gemeint sind internationale Verträge wie Freihandelsabkommen oder Patentrechte, durch die das kulturelle und geistige Erbe und die traditionelle Art zu denken und zu handeln der indigenen BäuerInnen verletzt werden. Weiter kritisieren die BäuerInnen, dass die staatlichen Institutionen wie CONTIERRA oder FONTIERRA überhaupt nichts zur Lösung der Landkonflikte beigetragen hätten. Der Staat, bei diesem Anlass vertreten durch Landwirtschaftsminister Leopoldo Sandoval, dessen kürzliche Ernennung von den BäuerInnen-Organisationen begrüsst wurde, verschanzt sich einmal mehr hinter Gesetzen und Paragraphen. Die Regierung und die zuständigen Institutionen und Ministerien würden sich an die Friedensabkommen halten und sich zu deren Umsetzung verpflichten, verkündete Sandoval. Bei genauerem Hinschauen stellt man aber fest, dass es oft bereits in der Auswahl des zuständigen Personals oder an den finanziellen Möglichkeiten liegt, dass diese Institutionen ineffizient sind. Eine Analyse verschiedener Dokumente ergibt, dass es sich bei den von der Regierung vorgeschlagenen Ansätzen um paternalistische Massnahmen gegenüber kleinen und mittleren ProduzentInnen handelt, die jeglicher umweltschützerischen Grundlage entbehren. Kurz, es geht nicht um eine integrale Strategie, sondern um einzelne, isolierte Massnahmen, die von einem politisch-ökonomischen Blickwinkel ausgehen, der ausschliesslich auf Stabilität und Wachstum setzt. Der private Sektor, zu dem die durch Patricia Monge vertretene Landwirtschaftskammer gehört, wäscht seine Hände in Unschuld. Sie würden seit Jahren zur landwirtschaftlichen Entwicklung beitragen. Ihr Rezept laute "Effizienz, Produktivität und Einhaltung der Menschenrechte" und dazu gehöre die entsprechende Infrastruktur, verriet Monge. Ausserdem sei es nicht die Aufgabe der Privatwirtschaft, auf dem Land für Gesundheitseinrichtungen, Schulen oder Infrastruktur für die Bevölkerung zu sorgen, obwohl sie das in einzelnen Fälle sogar machen würden. Diese Grundbedingungen müssten vom Staat garantiert werden, den Rest würde dann die Privatwirtschaft übernehmen. Juan Pablo Corlazzoli von MINUGUA gibt sich dezidiert kritisch. Er bezeichnete es als einen Fortschritt, dass immerhin eine öffentliche Debatte über die Landfrage stattfindet. Weiter erwähnte er eine Reihe von Punkten, die in der Ausarbeitung einer Politik zur Lösung der Landproblematik berücksichtigt werden müssen. Sie müsse integral sein, unter Beteiligung verschiedener Ministerien, partizipativ und legal abgestützt. All dies sei eigentlich in den Friedensabkommen berücksichtigt, schloss Corlazzoli. In ihrer Zwischenbilanz über die Umsetzung der Friedensabkommen 1997-1999 kommt die URNG zum Schluss: "Die Landfrage und die ländliche Entwicklungspolitik haben einen wichtigen Stellenwert innerhalb der gesamten Friedensabkommen. Trotzdem haben sich drei Jahre nach Unterzeichnung der Abkommen keine weitergehenden Veränderungen abgezeichnet, die man auch nur ansatzweise als Umsetzung der Verträge bezeichnen könnte. Es scheint, das einzige Ziel der Regierung war, den Krieg zu beenden und eine politische Öffnung zu erreichen, aber auf keinen Fall strukturelle Veränderungen herbeizuführen." (Quellen: REMHI-Bericht "Guatemala - nunca mas" und IPES, Reporte Diario) |
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