Geschichtsaufarbeitung aus Guerilla-Perspektive
Fijáte 334 vom 11. Mai 2005, Artikel 6, Seite 6
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Geschichtsaufarbeitung aus Guerilla-Perspektive
Quetzaltenango, 5. Mai. "Der Krieg in Guatemala. Bilder und ZeugInnenberichte aus einer rebellischen Perspektive", lautet der Titel einer ca. 60-seitigen Broschüre, die in Quetzaltenango einem Publikum, das vor allem aus ehemaligen KämpferInnen der Nationalen Revolutionären Einheit Guatemalas (URNG) bestand, vorgestellt wurde. Mit Fotos aus den Guerillalagern und Utensilien wie Rucksäcke, Funkgeräte, Uniformen oder Hängematten wurde versucht, das Publikum in die damalige Zeit zurückzuversetzen. Einzig die Waffen fehlten, um das Ambiente zu vervollständigen und dies mit Absicht, wie die Moderatorin des Anlasses erklärte, denn es gehe bei dieser Initiative der Geschichtsaufarbeitung nicht in erster Linie um eine Glorifizierung des bewaffneten Kampfes, sondern um die Geschichten und Erlebnisse, die Freuden und Sorgen der daran beteiligten Männer und Frauen und um ihre Visionen von einer gerechten Welt. In einem ersten Teil der Veranstaltung berichteten die beiden Autoren von den Schwierigkeiten, mit denen sie konfrontiert waren, um überhaupt die Interviews zu führen. Einerseits gab (und gibt) es in den eigenen Reihen Personen, die nicht damit einverstanden sind, dass diese Geschichten erzählt werden bzw. die nicht wollen, dass auch eine gewisse Selbstkritik am eigenen Handeln geübt wird. Es sei ihnen "von höchster Stelle" seitens der URNG verboten worden, an diesem Projekt zu arbeiten, was sie gezwungen habe, einmal mehr klandestine Methoden anzuwenden, wie sie schmunzelnd erzählten. Nicht zuletzt deswegen hätten sie die Broschüre unter Pseudonymen herausgegeben. Auf der anderen Seite stellten die Autoren der Broschüre fest, dass es für viele der Interviewten das erste Mal war, über ihre Geschichte zu sprechen, was bei einigen der GesprächspartnerInnen Depressionen und grosse Trauer auslöste, mit der umzugehen für das Autorenkollektiv sehr schwierig war, weil es darauf nicht vorbereitet war. Ein grosser Vorteil war für sie hingegen, dass sie selber Mitglieder der Guerilla gewesen waren und die interviewten Compañeras und Compañeros ihnen deshalb ein spezielles Vertrauen entgegenbrachten. Im zweiten Teil der Veranstaltung hatte das Publikum die Gelegenheit, die Broschüre zu kommentieren. Die Freude und Emotion darüber, dass aus den eigenen Reihen die Anstrengung unternommen wird, die Geschichte zu dokumentieren und die ProtagonistInnen zu Wort kommen zu lassen, war offensichtlich. Einer der Anwesenden regte jedoch an, nicht nur die Erlebnisse der KämpferInnen festzuhalten, sondern auch andere Leute zu Wort kommen zu lassen wie z. B. die Flüchtlinge, die Leute, die sich in Widerstandsdörfer zusammenschlossen oder Personen, die auf zivile Weise die Guerilla unterstützten. Nach oben |
Ein anderer, selber Ex-Kämpfer und heute Gemeinderat für die URNG, schlug vor, nicht nur über die Vergangenheit zu sprechen sondern auch über die Art und Weise, wie aktuell an einem besseren Guatemala gearbeitet wird. Ein Mädchen, Tochter von ehemaligen KämpferInnen, wünschte sich, dass solche Broschüren Teil des obligatorischen Schulstoffes sein sollten. In ihren Schulbüchern würde nur die offizielle, sprich staatliche Version des Krieges dargestellt. Allgemein wurde die Bedeutung solcher Initiativen wie diese Broschüre oder die Möglichkeit von Zusammenkünften wie die Präsentation derselben betont und das Autorenkollektiv wurde in seinem Plan bestärkt, weitere Publikationen zu veröffentlichen. Ein spezielles Verdienst dieses Autorenteams ist, dass es zusammengesetzt ist aus Mitgliedern der verschiedenen Guerilla-Kader, die die URNG bilden. Das Ziel ist entsprechend, nicht nur die Geschichte einer der Gruppierungen aufzuzeigen, sondern auch die Schwierigkeiten innerhalb der URNG und zwischen den verschiedenen Gruppierungen nicht zu verschweigen, die es immer gab und die bis heute andauern bzw. sich in einigen Bereichen und mit der Spaltung der Partei URNG sowie dem politischen Seitenwechsel ehemaliger Guerillamitglieder, verschärft haben. Dies führe zwar zu heftigen und teilweise schmerzhaften Diskussionen innerhalb des Teams, sei aber notwendig und ein wichtiger Teil der eigenen Geschichtsaufarbeitung, wie die beiden anwesenden Autoren betonten. |
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