Von Opfern sexueller Gewalt zu Akteurinnen der Veränderung
Fijáte 335 vom 25. Mai 2005, Artikel 1, Seite 1
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Von Opfern sexueller Gewalt zu Akteurinnen der Veränderung
Die 36 Jahre Krieg haben in der guatemaltekischen Bevölkerung Tod, Schmerz und Verzweiflung hinterlassen. Die Friedensabkommen von 1996 eröffneten die Möglichkeit, neue Formen des Zusammenlebens auszuprobieren und auf die Schaffung einer Demokratie hinzuarbeiten. Doch es ist nicht möglich, eine Gegenwart zu denken oder zu konstruieren, ohne die Vergangenheit aufzuarbeiten. Die beiden Berichte zur Erinnerung der Vergangenheit, ,,Nunca más" der Katholischen Kirche (REMHI) und ,,Memoria del Silencio" der Kommission zur historischen Aufklärung (CEH) erkennen die Wichtigkeit an und zeigen die Bedeutung auf, die Vergangenheit aufzuarbeiten, die Erinnerung an das Geschehene zu bewahren und über die Wahrheit zu sprechen. Gemäss CEH wurden während des bewaffneten Konflikts mehr als 200´000 Personen umgebracht oder sie verschwanden, ohne dass man über ihr Schicksal etwas erfahren hätte. Ein Viertel davon sind Frauen. Von 31% dieser Frauen ist bekannt, dass sie vor ihrer Hinrichtung unter Todesdrohung sexuell missbraucht oder gefoltert wurden. Das REMHI seinerseits spricht davon, dass die direkten Opfer des Krieges vor allem Männer waren, dass aber die Frauen eine wichtige Rolle im Kampf um die Einhaltung der Menschenrechte einnahmen, zur Öffnung politischer und demokratischer Spielräume beitrugen und die direkten und indirekten Konsequenzen des Krieges zu spüren bekamen. Sowohl REMHI wie die Kommission zur historischen Aufklärung nahmen in ihren Berichten zur speziellen Situation der Frauen während des Krieges Stellung. Im Vergleich zu den anderen in den Berichten enthaltenen Kapiteln geben sie aber zu diesem keine Empfehlungen an die Regierung ab, bezüglich der Wiederherstellung der Würde der während des Krieges sexuell missbrauchten Frauen. Aufgrund dessen haben Feministinnen, die Frauenorganisation UNAMG und die auf psychosoziale Gesundheit spezialisierte Organisation ECAP ein Projekt erarbeitet, das aufzeigen soll, dass sexuelle Gewalt während des Konfliktes als eine gezielte Strategie gegen die Frauen angewandt wurde. Gleichzeitig sollen die Frauen, welche diese Gewalt erlebt haben, in Selbsthilfegruppen ihre psychosoziale Gesundheit wiedererlangen und einen Empowermentprozess durchlaufen, der sie von Opfern zu handelnden Akteurinnen im (auch juristischen) Kampf um Gerechtigkeit macht. Die Initiatorinnen des Projekts sind davon überzeugt, dass die heutige Gewaltsituation nicht von der Vergangenheit getrennt werden kann, und dass die Gründe, die zur sexuellen Gewalt während des Krieges geführt haben, die selben sind, die heute eine sexualisierte Gewalt gegen Frauen in allen Lebensbereichen ermöglicht. Im folgenden Interview erzählt die Feministin und Ethnologin Yolanda Aguilar, eine der Gründerinnen, über die Entstehung und die Ziele des Projekts ,,Von Opfern sexueller Gewalt zu Akteurinnen der Veränderung: Der Kampf der Frauen für Gerechtigkeit". Frage: Wie ist das Projekt entstanden? Yolanda Aguilar: Als ich selber mein ,,Testimonio" für das REMHI abgab, wurde ich gefragt, ob ich die Redaktion des Kapitels über Gewalt gegen Frauen während des bewaffneten Konflikts übernehmen wolle. In dieser Funktion, aber auch als selbst Überlebende dieser Gewalt wurde ich nach Japan eingeladen, um am Internationalen Tribunal gegen Kriegsverbrechen sexueller Art, ausgeübt vom japanischen Militär während des zweiten Weltkriegs an Frauen unterschiedlicher Nationalitäten teilzunehmen. Eigentlich wollte ich nicht dorthin gehen, um noch einmal meine Geschichte zu erzählen, habe es dann aber doch getan und bin zutiefst beeindruckt und mit der Idee, in Lateinamerika auch ein solches Tribunal durchzuführen, zurückgekommen. Als erstes wollten wir also unsere eigene Geschichte aufarbeiten. Die Diskussion über das Wie und mit welchem Ziel hat uns schliesslich zur Realisierung dieses Projekts geführt. In erster Linie geht es uns um den individuellen Heilungsprozess der Frauen, die sexuelle Gewalt erlebt haben. Dann geht es uns aber auf politischer Ebene auch darum, das Thema überhaupt an die Öffentlichkeit zu tragen und im besten Fall juristische Prozesse gegen die Vergewaltiger durchzuführen. Frage: Ihr arbeitet ausschliesslich am Thema Vergewaltigung während des bewaffneten Konflikts. Ist das nicht ein etwas zu enges Verständnis davon, was sexuelle oder sexualisierte Gewalt gegen Frauen ist? Y. A.: In unserem Projekt beschränken wir uns ausschliesslich auf die Vergewaltigungen, die Frauen im Zusammenhang mit dem bewaffneten Konflikt erlebt haben. Selbstverständlich haben wir ein breiteres Verständnis davon, was Gewalt gegen Frauen bedeutet. Wir glauben sogar, dass jegliche Form von Gewalt gegen Frauen eine sexuelle Komponente hat, aber diese Bereiche, z. B. innerfamiliäre Gewalt, strukturelle Gewalt oder die spezifische Gewalt, der indigene Frauen ausgesetzt sind, werden von anderen Organisationen genügend abgedeckt. Die Verge- waltigungen während des Krieges hingegen sind ein grosses Tabu und wir haben uns vorgenommen, uns speziell diesem Thema zu widmen. Das breitere Verständnis von Gewalt gegen Frauen haben wir dabei aber immer im Hinterkopf. Frage: Ihr seht eine klare Verbindung zwischen der sexuellen Gewalt, der Frauen während des bewaffneten Konflikts ausgesetzt waren und den Frauenmorden, die aktuell in Guatemala in erschreckendem Ausmass begangen werden. Worin genau siehst du den Zusammenhang? Y. A.: Damals waren die Vergewaltigungen Teil der Aufstandsbekämpfung, also Teil einer Strategie und sie fanden unter absoluter Straflosigkeit statt. Heute stehen wir vor dem Phänomen der Frauenmorde und in Anlehnung an die Feministin Marcela Lagarde, die ausgiebig zu diesem Thema gearbeitet hat, haben wir begonnen, zwischen ,,Femicidio" und Feminicidio" zu unterscheiden. Als Femicidio bezeichnen wir die Tatsache, dass der Staat rein gar nichts gegen die Frauenmorde unternimmt, sei dies mit dem Ziel, die Verbrechen in der Straflosigkeit zu belassen oder schlicht und einfach wegen Unterlassung, aus Zeit- oder Personalgründen oder weil sie das Thema nicht wichtig genug finden. Auf der anderen Seite benutzen wir den Begriff Feminicidio in Anlehnung an genocidio (Genozid) also die bewusste Liquidierung von Frauen. Die Strategie dahinter ist mir nicht ganz klar, vielleicht geht es darum, die Frauen, die in den letzten Jahren an Selbstbewusstsein und politischer Einflussnahme gewonnen haben, wieder an ihren Platz zu verweissen. Interessanterweise definiert der Begriff Genozid die strategische Ermordung oder Ausmerzung einer religiösen oder ethnischen Gruppe, schliesst aber Geschlecht als Kategorie aus. Deshalb haben wir den Begriff Feminicidio eingeführt. Wirklich zu beweisen, dass die heutigen Täter die selben sind wie früher, ist schwierig, da die Untersuchungen über die heute stattfindenden Frauenmorde sehr spärlich sind. Wir versuchen, anhand der Daten, die wir der Staatsanwaltschaft entlocken können, Vergleiche mit den Tätern von früher herzustellen. Frage: Wie stehen denn die Chancen, dass es zu Prozessen gegen die Vergewaltiger während des Krieges kommt? Y. A.: Schlecht. Einerseits sind wir mit den Frauen noch nicht soweit, dass sie wirklich bereit sind, juristische Prozesse durchzustehen. Am ehesten sehe ich die Möglichkeit bei den Frauen aus Rabinal, weil viele von ihnen bereits als Zeuginnen in den Prozess involviert sind, den das Menschenrechtszentrum CALDH gegen Ríos Montt und Lucas García anstrebt. Nach oben |
Die andere Schwierigkeit ist, das Thema überhaupt zu lancieren. Hier in Guatemala wird ein Prozess gegen Vergewaltiger während des bewaffneten Konflikts wohl ein Ding der Unmöglichkeit sein. Wenn schon, müssten wir an den Interamerikanischen Menschenrechtsgerichtshof gelangen. Frage: Oft waren dies ja Massenvergewaltigungen. Kennen denn die Frauen ihre Vergewaltiger überhaupt? Y. A.: Zum Teil schon, und zwar sehr gut. In einigen Fällen war es der Nachbar, der Zivilpatrouillist war und heute wieder der Nachbar ist. Das macht es für die Frauen natürlich sehr schwierig, eine Anklage zu erheben. Das andere Problem ist, dass viele Frauen ihren Ehemännern verschwiegen haben, dass sie vergewaltigt wurden. Dies jetzt, nach so vielen Jahren öffentlich zu sagen, würde neben allem anderen auch die Beziehung zu ihren Männern unter Umständen stark verändern. Der Vorteil des Interamerikanischen Menschenrechtsgerichtshofs gegenüber der nationalen Justiz ist, dass er auch Kollektivklagen akzeptiert. Zwar muss jede Frau ihre persönliche Zeuginnenaussage machen, aber verurteilt werden am Schluss nicht einzelne Personen, sondern der guatemaltekische Staat als oberste Instanz. Die einzelnen Täter bleiben im Schutz der Straflosigkeit anonym. Als politisches Ziel ist uns dennoch mehr an einer Verurteilung des Staates gelegen, während für den Heilungsprozess der Frauen unter Umständen die individuelle Verurteilung ihrer Vergewaltiger wichtiger ist. Aber, wie gesagt, bis zu möglichen Prozessen wird es noch eine Weile dauern. Frage: Ist die Kategorie ,,Opfer sexueller Gewalt" ein Kriterium, um vom Nationalen Entschädigungsprogramm (PNR) berücksichtigt zu werden? Y. A.: Ja, wir sind drin im PNR. Wobei es uns nicht so sehr um eine materielle Entschädigung geht, sondern vielmehr darum, dass Thema überhaupt einzubringen. Zu Beginn hatten wir grosse Bedenken, weil ja Rosalina Tuyuc die Koordinatorin des PNR ist und aus der Witwenorganisation CONAVIGUA kommt. Und ausgerechnet CONAVIGUA hat abgewinkt, als wir sie um eine Zusammenarbeit anfragten, mit der Begrün- dung, sie wollten sich nicht auf das Thema indigene Frau und Sexualität einlassen. Innerhalb des PNR haben wir eine Art Beraterinnenrolle eingenommen und damit erreicht, dass das Thema sexuelle Gewalt gegen Frauen während des bewaffneten Konflikts nicht irgendwo als Anhängsel herumschwirrt, sondern dass es als ein Querschnittsthema in allen Bereiche aufgenommen wurde. Frage: Wie tretet ihr in Kontakt mit eurer Zielgruppe, den Frauen, die während des Kriegs vergewaltigt wurden? Y. A.: Einerseits haben wir die Daten aus dem REMHI und der CEH. Zum anderen haben wir über die UNAMG und die ECAP Zugang zu den Frauen, mit denen diese beiden Organisationen arbeiten. Oft nehmen wir zuerst Kontakt auf mit lideresas, also mit Frauen, die in ihren Gemeinden oder Dörfern eine gewisse Autorität besitzen. Sie leiten uns dann an die Frauen weiter. Und es ist erstaunlich, ohne dass gross darüber gesprochen würde, wissen die Frauen sehr wohl, wer alles (noch) während des Krieges vergewaltigt wurde. Und so kommen wir von der einen zur anderen. Im Moment sind wir daran, die Selbsthilfegruppen zu gründen und sogenannte Multiplikatorinnen auszubilden, welche die Selbsthilfegruppen anleiten. Vorläufig schauen wir auch, dass an den Treffen auch eine Psychologin teilnimmt. Die Treffen sind jeweils recht kurz, eineinhalb oder zwei Stunden. Einerseits, um sanft an das Thema heranzugehen und andererseits, weil sich die Frauen so lange relativ problemlos von ihren Familien freimachen können, ohne viel erklären zu müssen. Du musst bedenken, wir bieten nichts an im Gegenzug zur Teilnahme an den Selbsthilfegruppen. Die Frauen kommen aus eigenem Antrieb und nicht, weil wir ihnen Baumaterialien oder Kochkurse anbieten. Frage: Du bist selber Ladina, die meisten der Frauen, mit denen ihr arbeitet sind Indígenas. Wie ist die Zusammenarbeit, wirst du als Ladina und Städterin akzeptiert? Reicht das gemeinsame Schicksal, Opfer gewesen zu sein, um ein Vertrauen oder eine gemeinsame Identität aufzubauen? Y. A.: Zuerst dachte ich das, doch es ist nicht so. Zwar teilen wir dieses Schicksal, aber ich, wohl nicht zuletzt, weil ich Städterin und Ladina bin, bin ich anders damit umgegangen als es in den Möglichkeiten vieler Indígenas liegt. Wir haben in unserem Team eine Frau indigener Herkunft. Und bereits mit ihr mussten und müssen wir immer wieder Konzepte und Ansichtsweisen diskutieren und aushandeln. Das ist nicht immer einfach, sie hat uns auch schon Rassismus und Pater- bzw. Maternalismus vorgeworfen, aber ich denke, wir müssen uns dieser Diskussion stellen, denn wenn wir es nicht schaffen, innerhalb der Gruppe eine Kohärenz herzustellen, müssen wir gar nicht erst damit beginnen, gegen aussen zu arbeiten. Frage: Und wie steht es um die Idee eines Tribunals, die ursprünglich dem Projekt voranging? Y. A.: An dieser Idee arbeiten wir nach wie vor. Es soll ein Tribunal auf lateinamerikanischer Ebene sein, an dem auch Frauen aus Peru, Kolumbien, El Salvador und Mexiko teilnehmen, die mit sexueller Gewalt in Kriegskontexten konfrontiert waren oder sind. Ich hoffe, dass ein solches Tribunal im Jahr 2007 oder 2008 Realität sein wird. Herzlichen Dank für das Gespräch! |
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