Ein historisches Urteil
Fijáte 409 vom 07. Mai 2008, Artikel 1, Seite 1
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Ein historisches Urteil
Am 16. April 2008 verurteilte das Strafgericht des Departements Quiché den ehemaligen Polizeiagenten Antonio Rutilio Matías López zu 20 Jahren Gefängnis ohne Bewährung. Angeklagt war er wegen Vergewaltigung und Amtsmissbrauch. Dies ist ein historisches Urteil in der Geschichte der guatemaltekischen Rechtsprechung: Es ist das erste Mal, dass ein Sicherheitsbeamter des Staates wegen Vergewaltigung einer sich in Polizeigewahrsam befindenden Frau verurteilt wurde. Das zuständige Gericht sah es als erwiesen, dass zwei Polizisten die Untersuchungsgefangene Juana Méndez Rodríguez, eine Indígena, in der Polizeistation von Nebaj sexuell missbrauchten. Der zweite Täter, Neri Osberto Aldana, ist flüchtig. Eine Untersuchung des Instituts für vergleichende Strafwissenschaften in Guatemala (ICCPG) kommt zu dem Schluss, dass der Fall Juana Méndez kein Einzelfall ist, sondern dass sexueller Missbrauch von weiblichen Häftlingen durch Polizei- und Sicherheitskräfte ein häufiges Vorkommnis ist. Im Jahr 2005 sind gemäss ICCPG rund 75% der Frauen in Haft Opfer von sexuellen Übergriffen und Vergewaltigung durch Staatsangestellte geworden. Obwohl 43% der betroffenen Frauen eine Anzeige erstatteten, ist der Fall von Juana Méndez der erste, der bis vor Gericht gelangte. Entsprechend ist dieses Urteil als Präzedenzfall zu sehen und lässt hoffen, dass solche Fälle, die normalerweise straflos bleiben, in Zukunft häufiger verfolgt und bestraft werden. Während des mehrere Wochen dauernden Prozesses wurde Méndez auf Ersuchen vom ICCPG, von dem sie juristisch beraten wurde, von internationalen MenschenrechtsbeobachterInnen begleitet, da sowohl sie wie auch MitarbeiterInnen des ICCPG mehrmals Drohungen erhielten. Das ICCPG ist erstmals als Nebenklägerin in einen Fall involviert, bei dem Mitglieder der Polizei wegen Amtsmissbrauch, Folter und Vergewaltigung angeklagt sind. Die 44jährige Juana Méndez, Analphabetin und nur Quiché sprechend, Mutter von 11 Kindern und in ärmlichen Verhältnissen lebend, wurde am 17. Januar 2005 nach einem Monat Haft in Chimaltenango ins Gefängnis von Nebaj gebracht, wo sie darauf warten musste, einem Richter vorgeführt zu werden. Beschuldigt wurde sie der Aussaat, der Lagerung und des Handels von Mohn zur Herstellung von Drogen, eine Anschuldigung, die sich später als falsch erwies. Da es in Nebaj kein Frauengefängnis gibt, wurde Méndez mit einer Matratze im Korridor des Männergefängnisses einquartiert. Dort wurde sie in der Nacht mehrmals von den betrunkenen wachhabenden Polizisten vergewaltigt und anschliessend gezwungen, sich nackt vor den Augen und unter den Spöttereien der männlichen Gefangenen zu waschen. Am nächsten Morgen, als sie dem Richter vorgeführt wurde, denunzierte sie die Vergewaltigung und reichte Anzeige gegen die beiden Polizisten ein. Nach oben |
Am Tag des Prozesses gegen die beiden Polizisten fanden sich Hunderte von solidarischen Frauen in Santa Cruz de Quiché ein, die mit einer Demonstration durch die Stadt die Verurteilung der Täter forderten. "Doña Juana - ihre Wahrheit ist meine Wahrheit", stand auf einem Transparent, auf einem andern "Wenn sie eine von uns vergewaltigen, vergewaltigen sie uns alle". Die Frauenorganisationen forderten einen transparenten und gerechten Prozess und ein Ende der Straflosigkeit für diese Art von "Kavaliersdelikten". Der Fall erregte bereits im Mai 2006 Aufsehen, als das zuständige Gericht die beiden Angeklagten vom Dienst suspendieren liess und den Tatbestand der Vergewaltigung als eine Form der Folter anerkannte. Hilfreich in dem Prozess war sicher auch die Aussage eines Arbeitskollegen der beiden Polizisten - gegen sie. Der Angeklagte Antonio Rutilio Matías López stritt nämlich ab, dass er an besagtem Tag überhaupt auf der Polizeiwache war, weil er - unerlaubterweise - dem Dienst fern geblieben sei, um seinen kranken Sohn ins Spital zu bringen. An einem der ersten Prozesstage sagte ein ehemaliger Polizist und Arbeitskollege von Matías López, der in der Tatnacht auch auf der Polizeistation war, aus, er habe mit angesehen, wie der Angeklagte die Frau vergewaltigt habe. Der Zeuge machte seine Aussage, obwohl auch er mehrmals Drohungen erhielt. Er musste Nebaj verlassen und steht heute unter Schutz der Staatsanwaltschaft. "Ich will Gerechtigkeit. Es soll keiner Frau passieren, was mir widerfahren ist, denn das ist nicht gerecht." - Die Erfüllung dieses Wunsches von Juana Méndez ist mit der Verurteilung ihres Peinigers ein Stück näher gerückt. |
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