Rechnungsbegleichung oder neue Drogenbüchse der Pandora?
Fijáte 407 vom 09. April 2008, Artikel 2, Seite 3
Original-PDF 407 --- Voriges Fijáte --- Artikel Nr. 1 - 2 - 3 - 4 - 5 - 6 - 7 --- Nächstes Fijáte
Rechnungsbegleichung oder neue Drogenbüchse der Pandora?
Guatemala, 04. April. Die Minister des Inneren und der Verteidigung waren am 25. März gerade dabei, die Schaffung einer Lufteingreiftruppe gegen Drogen und Terrorismus zu beschliessen, die von US-amerikanischen Fachleuten ausgebildet, mit US-Geldern ko-finanziert und mit vier US-Hubschraubern des Typs Huey II ausgestattet, der auch im Antidrogen-Plan Colombia eingesetzt wird, als der Anruf kam: Im touristischen Erlebnisbadezentrum "La Laguna", Río Hondo, im Departement Zacapa, hat es ein Blutbad unter "narcos" gegeben. Unter den 11 Toten wurden zwei Mexikaner und 9 Guatemalteken identifiziert, die neben drei Verletzten im Umkreis von 40 Metern um den Barbereich verstreut gefunden wurden. Eingesetzt worden waren offenbar Waffen schwersten Kalibers und mindestens eine Splittergranate, zwei Autos waren in Brand gesetzt, fünf weitere beschädigt. Direkt am Tatort wurden gleich mindestens 460 Patronenhülsen und 68 leere Magazine, aber keine Spur von Drogen gefunden. Innerhalb der nächsten Stunde wurden auf der Landstrasse von der Anlage weg drei verdächtige Guatemalteken und drei Mexikaner festgenommen, die schwere Waffen bei sich hatten. Einer von ihnen ist ehemaliger Polizist und Ex-Agent der ehemaligen Staatsanwältin Karen Fischer. Alle sechs, so stellte sich heraus, waren Bodyguards des als "Juancho" bekannten Drogenbosses José León Ardón, mutmasslicher Kopf des guatemaltekischen Drogenkartells im Osten des Landes, das die Region Golf/ Sayaxché, Zacapa, Izabal und Petén umfasst. Juancho wurde als einer der Toten identifiziert, die anderen Leichen als weitere seiner Bodyguards. Vermutet wird, dass der Mexikaner Joaquín "El Chapo" Guzmán hinter der Tat steckt und womöglich sich auch am Tatort aufgehalten hat. Er steht als einer der gesuchtesten Drogenbosse sowohl auf der roten Liste von Mexiko als auch den USA, ist aber seit 2001 flüchtig. Die ersten Ermittlungen, in die sich auch die US-amerikanische Anti-Drogeneinheit DEA und das mexikanische Generalprokurat eingeschaltet haben, haben zwar bereits einige Fahrzeuge lokalisiert und bei Durchsuchungen von Wohnungen und Häusern, die offenbar seit kurzem von Mexikanern angemietet worden sind, Gegenstände und Dokumente gefunden, die mit der Tat in Verbindung zu stehen scheinen, doch über die Hintergründe des Verbrechens sind bislang nur Hypothesen verlautbart worden. So kann es beispielsweise sein, dass es einen Drogendeal zwischen dem Kartell von El Chapo und Juancho gab, letzterer jedoch unsaubere Ware geliefert hat und dafür bezahlen musste. Oder aber es ging um die Neuverhandlung der Territorien der Kartelle. Der Mord an Juancho scheint zumindest relativ sicher mehr als einen Monat im Voraus geplant gewesen zu sein. Und unter dem Druck, den der unterlegene ehemalige Präsidentschaftskandidat Otto Pérez Molina mit seiner lakonischen Bemerkung auf die Regierung ausübt, das Gemetzel und das freie Agieren der Drogenmafia im Land sei Folge von Coloms schwacher und unklaren Regierungsführung, gab der amtierende Präsident Rafael Espada einige Resultate der laufenden Geheimdienstermittlungen bekannt. Diesem liegt nicht nur ein recht detailliertes Organigramm der drei im Osten Guatemalas operierenden Drogenkartelle, ihrer Verbindungen und Hierarchien untereinander sowie zu den grossen Kartellen Mexikos und Kolumbiens vor. Dem Chef des geheimdienstlichen Sekretariats für strategische Analysen (SAE), Gustavo Solano, ist zudem die Situation der Drogenhändler in der Region klar, dass diese nämlich aufgrund des Drucks der mexikanischen Regierung, die ihnen zudem diverse traditionelle Routen abgeschnitten hat, dazu gezwungen sind, sowohl neue Transportwege zu organisieren und als auch sich neue Gebiete ihrer Zuständigkeit zu sichern, um die Lieferquoten und somit ihre Einnahmen zu halten. Nach oben |
Nach den sechs gefassten und derzeit in Untersuchungshaft sitzenden und des Mordes, versuchten Mordes, Raubes und Waffenbesitzes angeklagten Bodyguards, wurde wenige Tage später in Zacapa ein Kaibil, Angehöriger der "Elite"-Einheit der guatemaltekischen Streitkräfte, die besonders fürs Morden bekannt ist, festgenommen, der 2006 noch mit der UN-Friedensmission in der Demokratischen Republik Kongo war. Er hielt sich in einem Haus auf, in dem einiges Beweismaterial zusammengetragen wurde, und war nach eigenen Aussagen von ihm Unbekannten zu dessen Hüten angestellt. Er selbst ist wegen Schwerstwaffenbesitz und illegaler Vereinigung verhaftet worden. Die NachbarInnen hatten in der letzten Zeit vornehmlich in den Abend- und Nachtstunden Luxusautos vor- und wegfahren sehen und deren Insassen, die ab und zu eine lokale Kneipe aufsuchten, an ihrem Akzent als Mexikaner identifiziert. Dass vor allem im Departement Petén Polizeibeamte in den Drogenhandel verwickelt sind, ist den Autoritäten bekannt, für die Verhaftung derjenigen fehlt es der Kriminalpolizei jedoch an Personal und Geldern. Dass aber möglicherweise auch das Militär in das Drogengeschäft involviert sein könnte, liess Espada noch einmal hilfloser erscheinen. Gleichzeitig ist es ein offenes Geheimnis, dass der Drogenhandel nicht nur die BäuerInnen zum Beispiel in den grenznahen Departements Petén und San Marcos für den Anbau von Mohn und Hanf besser bezahlt, als es die traditionelle Landwirtschaft könnte. Ausserdem ist die lokale Bevölkerung oftmals zuständig für das Laden und Entladen der Flugzeuge, die im Petén auf den klandestinen Landepisten zwischenlanden, von wo aus die Droge umgeladen oder aber auf dem Landweg über die Grenze geschafft wird. 70% der Drogen werden jedoch über das Meer und nur 30% über Land transportiert. Dass die von den Autoritäten als hochgefährlich eingestuften Drogenbosse bei der lokalen Bevölkerung durchaus als Gönner und vor allem ihre Versprechen haltende Unterstützer der Gemeindeentwicklung gelten, mag die Tatsache belegen, dass zu Juanchos Beerdigung mehr als 1´000 Trauergäste erschienen. Die guatemaltekische Regierung ist angesichts der Drogenmafia und dem organisierten Verbrechen generell nicht nur bekennend schlecht ausgerüstet, der Umgang mit diesem ist offenbar wieder einmal deutlich von persönlichen Interessen geleitet. So behauptet Francisco Cuevas, Journalist des mexikanischen Fernsehkanals Televisa in einem Kommentar in der Tageszeitung Siglo XXI, dass in ganz Zentralamerika die Präsenz der mexikanischen "narco"-Szene - allen voran das Kartell Juárez - bekannt und publik gemacht ist. Auch die guatemaltekische Regierung, speziell die unter Ex-Präsident Óscar Berger habe dies gewusst, jedoch dafür gesorgt, dass diese Tatsache nicht an die grosse Glocke gehängt werde, da Leute im engsten Umkreis von Berger ihre Finger mit im Geschäft hatten, deswegen kein Aufheben darum gemacht werden sollte. Der ehemalige Chef der SAE, Edgar Gutiérrez vom Zentrum für strategische Studien zur BürgerInnensicherheit (CEESC), beschreibt die Situation aus anderer Perspektive: Sechs Jahr habe in Guatemala eine relative Ruhe in Sachen Drogenkonfrontationen geherrscht. Es hat viele kleine Kartelle nebeneinander gegeben, die alle ihr Auskommen hatten und von dem friedlichen Nebeneinander profitierten, so lange alle gewisse Regeln einhielten. Da sie keine Konflikte untereinander hatten und die öffentliche Aufmerksamkeit erregten, sah die Regierung keine Notwendigkeit, die Verfolgung aufzunehmen, es kam zu eher wenigen Festnahmen und Drogenkonfiszierungen, die wenn dann vornehmlich auf die Forderungen der USA zurückgingen. Die jetzige Auseinandersetzung von bis zu drei Drogenkartellen in Zacapa könnte zweierlei bedeuten, so Gutiérrez: Entweder handelt es sich um eine vereinzelte Konfrontation zur Rechnungsbegleichung am Rande, da selbst die narcos keinen deklarierten Krieg wollten, wie er in einigen Bundesstaaten Mexikos herrscht, oder aber der unausgesprochene Waffenstillstand hat nun auch in Guatemala ein Ende und der Krieg zwischen den mexikanischen Kartellen streckt sich Richtung Süden aus. Dass die Tat Vergeltungsakte nach sich ziehen kann, wird jedenfalls nicht ausgeschlossen. Unter anderem aufgrund der Forderung der Kongressabgeordneten nach einer verstärkten Militärpräsenz im Petén, wurde nun auch eine kombinierte Einheit aus guatemaltekischer und mexikanischer Armee an der gemeinsamen Grenze stationiert. |
Original-PDF 407 --- Voriges Fijáte --- Artikel Nr. 1 - 2 - 3 - 4 - 5 - 6 - 7 --- Nächstes Fijáte