Hoffnung für das Justizsystem
Fijáte 409 vom 07. Mai 2008, Artikel 2, Seite 2
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Hoffnung für das Justizsystem
Die internationale Menschenrechtsbegleitorganisation ACOGUATE hat Juana Méndez und die MitarbeiterInnen des ICCPG während des Prozesses begleitet. Annie Pelletier von ACOGUATE hatte die Gelegenheit, Claudia Paz y Paz, Direktorin des ICCPG zu interviewen. Frage: Was bedeutet für das ICCPG der "Fall Juana Méndez"? Claudia Paz y Paz: Er ist sehr wichtig. Wir haben die Gelegenheit, eine Frau zu begleiten, die aus verschiedenen Gründen den Mut und den Willen hatte, ihre Vergewaltigung anzuzeigen. Dies ist ein Präzedenzfall und hat hoffentlich abschreckende Wirkung auf staatliche Angestellte, ihre Macht zu missbrauchen. Im Fall von Juana Méndez handelten die Polizisten vor den Augen ihren Kollegen und niemand griff ein. Für uns als Institut ist es der erste Fall, bei dem wir selber Anklage erhoben haben. Wir waren bisher eine eher akademische Institution, spezialisiert auf Recherchen, haben Gesetzesvorschläge erarbeitet, juristische Weiterbildungen angeboten, aber keine Fälle geführt. Wir haben uns bisher einzig dafür eingesetzt, dass in einigen Fällen die Todesstrafe nicht vollstreckt, sondern in Haft umgewandelt wurde. Diese Fälle haben wir gewonnen, aber dies waren Verteidigungsfälle gewesen, welche vor dem Interamerikanischen Gerichtshof ausgetragen worden sind. Im aktuellen Fall klagten wir an, und zwar vor den nationalen Gerichten. Wir haben dabei sehr viel gelernt, und es motiviert uns, weiterhin für die Rechte der Frauen zu kämpfen. Frage: Es ist das erste Mal, dass der Fall einer Frau vor Gericht kam, die in Haft vergewaltigt wurde. Was brauchte es, um diesen Moment zu erreichen? CPP: Wir haben uns auf Untersuchungen gestützt, die zwei unserer Mitarbeiterinnen in den Gefängnissen gemacht haben. Mit diesen Informationen führten wir verschiedentlich Sensibilisierungskurse über die Situation von Häftlingen für Angestellte des Justizwesens durch. Danach kontaktierten wir die Frauenorganisationen, was dazu führte, dass der "Fall Juana Méndez" nicht ihr privater Fall oder der Fall des ICCPG wurde, sondern der Fall von vielen Frauen, die sich damit solidarisieren. Wichtig bei diesem Prozess war auch, dass er aufgrund von Gutachten von Sachverständigen geführt wurde. Wir lernten, was wir richtig und was wir falsch gemacht haben und wie Expertisen im Fall von Vergewaltigungen gemacht werden müssen, damit sie vor Gericht bestehen. In Mexiko und Costa Rica werden schon seit längerem geschlechtsspezifische Gutachten gemacht, speziell auch in Fällen, wo Frauen in Haft sind, weil sie ihren Vergewaltiger umgebracht haben. Durch solche Untersuchungen kann dann beispielsweise bewiesen werden, dass der Tat über längere Zeit häusliche Gewalt vorangegangen war und die Frau aus Notwehr handelte. Für Guatemala sind solche Untersuchungen neu. Frage: Aber die Tatsache, dass Frauen in Haft vergewaltigt werden, ist nichts Neues für Guatemala? CPP: Das stimmt. Der Fall von Doña Juana ist insofern paradigmatisch, weil er qualitativ das beweist, was unsere Untersuchungen quantitativ dokumentierten. Dass es nämlich ein Muster von sexualisierter Gewalt gibt, dem Frauen in der Haft ausgesetzt sind. Das heisst, dass jede von uns, die eine Nacht in Polizeigewahrsam verbringen muss, diesem Risiko ausgesetzt ist. Mit diesem Fall und allem, was dazu dokumentiert und denunziert wurde, hoffen wir, dieses Risiko etwas zu vermindern. Frage: Eine Anzeige ist ein erster Schritt. Wie reagiert das Justizsystem auf Anzeigen, bei denen es um Amtsmissbrauch durch Gefängnispersonal geht? CPP: Zwischen 96% und 98% der Fälle bleiben straflos. Und wir sprechen nur von den Fällen, die überhaupt angezeigt werden. Viele Übergriffe werden gar nicht erst angezeigt, weil die Frauen wissen, dass es nichts bringt und man am Ende ihnen die Schuld zuschiebt. Wird durch eine Anzeige öffentlich, dass sie vergewaltigt wurden, müssen sie damit rechnen, von ihrer Familie oder ihrer Gemeinde verstossen zu werden. Nach oben |
Bei Juana Méndez handelt es sich um eine Quiché-Frau, die keine Möglichkeit zur Schulbildung hatte und die auf der Polizeistation im abgelegenen Nebaj vergewaltigt wurde. Die Tatsache, dass es in einem solchen Fall zu einer Verurteilung kommt, gleicht einem Wunder! Inhaftierte Frauen sind sehr verletzbar. In Guatemala sind die Gefängnisse Niemandsland. Was dort geschieht, interessiert niemanden, niemand stört sich daran. Unter den eh schon verletzbaren inhaftierten Frauen bilden die Mayafrauen eine absolute Minderheit. Sie werden von ihren Mithäftlingen diskriminiert, vom Gefängnispersonal sowieso, oftmals stellt man ihnen auch keine ÜbersetzerInnen zur Verfügung. Frage: Häufig wird dieses mangelhafte Justizsystem mit fehlenden Budgets entschuldigt. Was halten Sie davon? CPP: Zweifellos ist der guatemaltekische Staat arm, und das Justizsystem hat zuwenig Geld, vor allem angesichts der hohen Zahl an Straftaten. Vergleichen wir es mit den Niederlanden, einem Land mit 16 Mio. EinwohnerInnen und jährlich 254 Morden: In Guatemala sind wir 12 Mio. EinwohnerInnen und haben rund 6000 Morde jährlich. Eine solche Situation bringt jedes Justizsystem zum Kollabieren. Es gibt keine Prävention, es gibt keine Kontrolle über den Waffenbesitz, es gibt keine Ermittlungen, es fehlt an allem und an jeder Ecke. Und die knappen Ressourcen werden oft falsch eingesetzt. Wir haben herausgefunden, dass es in jenen Departements zu den meisten Vergewaltigungen und gewaltsamen Tötungen von Frauen kommt, wo es am wenigsten Polizei, StaatsanwältInnen und ErmittlungsbeamtInnen gibt. Frage: Kann man in einem solchen Kontext sagen, dass der Fall von Juana Méndez die Möglichkeit auf eine Veränderung in sich birgt und eine Hoffnung für den Kampf der Frauen für ihre Rechte ist? CPP: Ja, auch wenn der Prozess alles andere als einfach war. Es gab sehr schwierige Momente für uns. Ihr von ACOGUATE, die uns begleitet habt, wisst das. In solchen Momenten war es Doña Juana, die uns immer wieder Mut machte, weil sie selber nie aufgab. Was uns ebenfalls motivierte, war die Unterstützung von immer mehr Frauenorganisationen. Es ist auch wohltuend zu merken, dass es Justizbeamte gibt, die ihre Arbeit gut machen. Es gibt die Hoffnung, dass unser System noch nicht ganz verloren ist! Vielen Dank für das Gespräch! |
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