"Die Linke zu verteidigen, heisst nicht, zum Schweigen verurteilt zu sein"
Fijáte 189 vom 14. Juli 1999, Artikel 1, Seite 1
"Die Linke zu verteidigen, heisst nicht, zum Schweigen verurteilt zu sein"
Letzte Woche haben unabhängig voneinander, das erzbischöfliche Menschenrechtsbüro (ODHA) und das Menschenrechtsbüro CALDH gegen die Ex-Guerilla Klage erhoben wegen Exekutionen in den eigenen Reihen im Jahre 1982. Der von CALDH begleitete Fall ist der von Guisela und Carlos López und Marilú Castillo, welche von der Führung des Guerillaheeres der Armen (EGP) in Nicaragua umgebracht wurden. Im folgenden Interview rechtfertigt Frank LaRue (Direktor von CALDH) die Klagen und erzählt, wie es dazu gekommen ist. Das Interview ist am 2. Juli in der Zeitung "El Periódico" erschienen. Weshalb unterstützen Sie eine Klage, welche die ehemalige Guerilla angreift? Unsere Aufgabe ist es, die Politik des Staates in Sachen Menschenrechte zu modifizieren. Wir sind daran interessiert, dass sich der Staat demokratisiert, dass sich ein Rechtsstaat etabliert, in dem die Menschenrechte eingehalten werden. Deshalb haben wir bisher dem Führen von Fällen gegen Sicherheitskräfte des Staates Priorität eingeräumt. Und was hat Sie dazu bewegt, diesen speziellen Fall zu begleiten? Wir müssen den Schmerz dieser Mütter verstehen, welche erstjetzt, 18 Jahre später, eine Anzeige machen können. Damit wollen sie die Erinnerung an ihre Kinder und deren Würde wiedererlangen. Wir kennen die Mütter seit langem: Doña Antonia López war in den siebziger Jahren Gewerkschaftsaktivistin. Sie ist ein Beispiel für revolutionäre Konsequenz, ebenso wie Doña Marta López und ihre Familie. Alle ihre Kinder waren in der URNG. Als sie uns um Hilfe baten, sahen wir keinen gerechtfertigten Grund, ihnen diese Hilfe zu verwehren. Es soll nicht als Angriff aus dem rechten politischen Lager verstanden werden. Es ist eine Familie mit Ueberzeugung, deren Mitglieder MärtyrerInnen sind, die ihr Leben für die Veränderung Guatemalas geopfert haben. Und jetzt plötzlich entdecken sie, dass ihre Kinder von den eigenen Compañeros/as umgebracht wurden. Ihr Tun wurde von der Linken kritisiert. Wir wurden kritisiert, doch niemand kann uns sagen, dass das Aufarbeiten dieses Falles nicht gerechtfertigt wäre. Die Erinnerung kann nicht selektiv sein. Der Verteidigung der Linken zuliebe, kann man uns nicht zum Schweigen verurteilen, das wäre gegen den Aufbau der Demokratie. Hier wollen sich einfach alle irgendwie rechtfertigen. Der Präsident hat am 30. Juni zur Wiederversöhnung aufgerufen. Dazu besteht keine ausreichende Grundlage. Nicht einmal der Staat will die Tatsachen wahrhaben. Die URNG muss ihre Irrtümer einsehen, auch wenn dies eine Schwächung ihrer Position bedeutet. Bedeutet die jetzige Anklage, dass die Gespräche mit der URNG nicht fruchtbar waren? Als die Angehörigen uns um Unterstützung baten, haben wir ihnen in erster Linie geraten, das Gespräch mit der URNG, speziell mit der Führung des EGP, zu suchen. Letzten Dezember hiess es seitens der URNG, sie seien kurz davor, die Ueberreste der gesuchten Personen zu finden, doch aus Gründen, die wir nicht unbedingt der URNG anlasten, gab es eine Verzögerung von weiteren sechs Monaten. Die Mütter waren am Verzweifeln. Dazu kam die Herausgabe der Todeslisten mit den Namen von 182 vermisten/verschwundenen Personen. Zu diesem Zeitpunkt haben die Familien entschieden, die Verhandlungen mit der URNG als gescheitert zu betrachten. Sie baten uns, eine Pressekonferenz einzuberufen. Während der Verhandlungen bestand ein Schweigeabkommen, das sie nun durchbrechen wollen. Sie forderten eine sofortige Anwort von der URNG, ansonsten würden sie juristische Schritte einleiten, was ihr gutes Recht ist. Nach oben |
Ein Prozess hätte gewaltige politische Auswirkungen? Ja, und das ist natürlich zur Zeit der Wahlkampagne eine komplexe Angelegenheit. Ich habe jedoch der URNG gesagt, dass die Aktion der Mütter keinerlei wahlpolitische Absichten verfolgt. Sie sind einfach verzweifelt, weil sich das nun schon so lange hinzieht und wollen nicht mehr warten bis nach den Wahlen, denn dann interessiert sich ja sowieso niemand mehr für ihren Fall. Aber nebst der Absicht gibt es ja noch die Umstände... Wir haben den Müttern erklärt, dass im aktuellen wahlpolitischen Kontext, durch die internen Konflikte sowohl innerhalb der URNG sowie innerhalb des Militärs, eine solche Anklage unvorhersehbare politische Folgen haben kann. Unser Rat war, die Sache öffentlich zu machen, der URNG klarzumachen, dass sie (die Mütter), im Recht sind, dass sie Informationen haben und zwar sehr viele... jedoch in erster Linie darauf zu bestehen, dass sie die Ueberreste ihrer Verwandeten zurückerhalten wollen. Wie hat die URNG darauf reagiert? Die URNG hat versprochen, einen letzten Versuch zu machen, die Ueberreste in Nicaragua zu finden. Wir haben den Müttern geraten, diesen Vorschlag anzunehmen, da es im Moment der beste Weg ist. Was verhindert, dass die Ueberreste gefunden werden? Es ist sehr schwierig, mit den Leuten in Kontakt zu kommen, welche die Toten beerdigt haben. Es heisst, viele von ihnen seien bereits gestorben und so könne der genaue Ort nicht bestimmt werden. Jorge Soto von der URNG wehrt sich gegen die Anklage und sagt, es stünden politische Absichten dahinter. Und jetzt sind Sie ja auch bereit, noch einmal zu verhandeln. Ich verstehe manchmal die URNG nicht so recht. Die Verhandlung lief ja eigentlich recht gut. Es gab dieses Schweigeabkommen und wir haben die URNG immer über unsere Schritte informiert. Als Rolando Morán starb, gab es eine Verzögerung, doch die Mütter haben das begriffen. Vor zwei Jahren befanden wir uns noch nicht im Wahlkampf und die Anklage war gegen Mitglieder der Führung des Ex- EGP, die zu dieser Zeit in Managua waren. Dass dieselben Leute heute öffentliche PolitikerInnen sind, ist ein anderes Problem. In Regierungskreisen heisst es, die Anklage gefährde den Friedensprozess. Das stimmt, und das beunruhigt mich auch. Es ist eine der unerwünschten Konsequenzen. Deshalb ist es sehr wichtig, dass es gar nicht erst zu einem Prozess kommt, sondern die Suche nach den Ueberresten bald abgeschlossen wird. Von Rechts wegen müsste nun das Ministerio Público einschreiten. CALDH hat ihren Fall nicht beim Ministerio Público präsentiert. Die ODHA den ihren jedoch schon. Es handelt sich da um einen unglücklichen zeitlichen Zufall, denn die öffentliche Meinung vermischt die beiden Fälle. Dabei sind sie verschieden und werden nicht mit derselben Stategie angegangen. Ist es überhaupt möglich, in Guatemala ein Delikt zu verurteilen, das in einem andern Land begangen wurde? Es ist möglich, eine Anklage einzureichen und das Ministerio Público kann eine Untersuchung einleiten, der zuständige Richter wird dann entscheiden, ob eine Verurteilung in seiner Kompetenz liegt. Haben Sie schon andere Klagen gegen die URNG geführt? Nein, dies ist ein aussergewöhnlicher Fall. Es geht mir um die Anerkennung des revolutionären Bewusstseins der Mütter. |
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