"Sie behandelten uns wie die Tiere"
Fijáte 191 vom 11. August 1999, Artikel 1, Seite 1
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"Sie behandelten uns wie die Tiere"
Spätestens seit dem Krieg in Ex- Jugoslawien wissen wir, dass die Vergewaltigung von Frauen eine Kriegsstrategie ist. In Guatemala wurden während des Krieges rund 27% aller Frauen Opfer einer Vergewaltigung durch die Militärs. Der folgende Artikel ist die Zusammenfassung einer Analyse über die Situation der Frauen im Krieg. Die Analyse ist im REMHI- Bericht "Guatemala- nunca más/ Guatemala- nie wieder, enthalten. Der Artikel erschien in der Juliausgabe der Zeitschrift envio, welche von der Zentralamerikanischen Universität (UCA) in Managua herausgegeben wird. Rund 200'000 Tote und Verschwundene, eine Million Vertriebene, 200'000 Waisen und 40'000 Witwen. Das sind einige der furchterregenden Zahlen, die der 36 Jahre dauernde Krieg in Guatemala hervorgebracht hat. Was diese Zahlen nicht widerspiegeln, ist die Dunkelziffer Tausender vergewaltigter Frauen, die oft auch an den Folgen der Folterungen und den verschiedensten Schmähungen, welches das Militär und die staatlichen Sicherheitsleute an ihnen begingen, gestorben sind. Eine Annäherung an diese schwierige Analyse hat die Equipe des Projektes zur Wiedererlangung des Historischen Gedächtnisses (REMHI) der katholischen Kirche gemacht. Obwohl sich der REMHI- Bericht nicht zum Ziel gesetzt hatte, die spezifische Situation der Frauen während des Krieges zu untersuchen, ist diese Realität während der dreijährigen Arbeit und bei den Tausenden von Interviews klar zum Ausdruck gekommen. Laut Berichts sind 90% der Opfer des bewaffneten Konfliktes Männer. Die Hälfte der ZeugInnenaussagen im REMHI- Bericht stammen von Frauen. Die Frauen haben oft nicht über ihre spezifische Situation gesprochen, haben sich in ihren Erzählungen selber gar nicht als Opfer bezeichnet, sondern vor allem über Vorfälle gesprochen, welche ihre Familienange- hörigen betrafen. Um dieses Schweigen der Frauen zu durch-brechen,wurden gezielt Interviews mit einzelnen Frauen und Kollektivinterviews in der von der Repression stark betroffenen Gebieten geführt. Daraus ist innnerhalb des REMHI- Berichts das Kapitel "Gewalt gegen Frauen und deren Selbstbehauptung" entstanden, welches die Auswirkungen der Gewalt auf die Frauen beschreibt, deren Formen von Widerstand und ihre Strategien aufzeigt, um das soziale Gefüge aufrechtzuerhalten. Die Frauen teilten einerseits die Leiden ihrer Dörfer, Gruppen oder Familien, waren andererseits aber einer ganz spezifischen Form von Gewalt ausgesetzt. Sie reagierten auf die verschiedensten Arten, oft indem sie ihre Rolle als Frau neu definierten und eine protagonistische Funktion innerhalb der Familienstruktur übernahmen. Diesen Frauen, die das Leben ihrer Dörfer und Familien bewahrt haben, schulden wir unsere Anerkennung. Es waren auch die guatemaltekischen Frauen, die sich als Erste auf die Suche nach ihren Verschwundenen begeben haben, die Gewalttaten öffentlich anzeigten und Druck auf die Regierungen ausübten. Sie sind die Gründerinnen von Organisationen wie der Gruppe für gegenseitige Hilfe (GAM), der Witwenvereinigung (CONAVIGUA) oder der Angehörigen von Verschwundenen (FAMDEGUA). Horror, Tod, Folterungen und Schmähungen haben Männer, Frauen, Kinder und alte Leute gleichermassen getroffen. Und auch wenn am meisten Männer als Einzelopfer angegeben wurden, verändert sich das Verhältnis bei den Kollektiverlebnissen: 60% der Opfer von Massakern sind Frauen, in 40% der analysierten Massaker waren Kinder mitbetroffen. Deshalb kommt auch die aufgrund der Friedensabkommen eingesetzte Wahrheitskommission (CEH) in ihrem im Februar dieses Jahres veröffentlichten Bericht zum Schluss: "Zwischen 1981 und 1983 haben Agenten des guatemaltekischen Staates in verschiedenen Regionen Völkermord gegen Angehörige von Mayagruppen begangen. Ganze unbewaffnete Mayadörfer wurden ausgerottet, nachdem sie der Unterstützung der Guerilla beschuldigt wurden. Frauen, Kinder und alte Leute wurden auf Arten umgebracht, die im moralischen Bewusstsein einer zivilisierten Welt Horror auslösen." Eines der schlimmsten Druckmittel gegen die Frauen ist die Gewalt an ihren Kindern. Diese vor den Augen ihrer Mütter zu töten oder zu foltern ist eine Form psychologischen Terrors. Es sind auch Fälle von Folterung schwangerer Frauen bekannt. Von den gegen 422 im REMHI- Bericht dokumentierten Massakern haben sich viele direkt gegen Frauen gerichtet. Die Massaker waren oft nicht spontan, sondern minutiös geplant und ausgeführt. Sie liefen oft auf ähnliche Weise ab: Zuerst wurden die Männer getötet, die Frauen wurden abgesondert, die Militärs liessen sie zuerst für sich kochen, um sie nachher zu vergewaltigen und zu töten. Die Aussagen im REMHI- Bericht umfassen 185 Fälle von Vergewaltigung. Darunter sind Fälle von Vergewaltigungen mit Todesfolge, Vergewaltigung als Folter und als Form sexueller Versklavung. Die Erwähnung von Vergewaltigungen kommt viel häufiger vor, nämlich ein einer von sechs ZeugInnenaussagen, jedoch meist als "gewöhnliches" Verhalten der Soldaten oder der Zivilpatroullien. Wegen der Schuld- und Schamgefühle, die Vergewaltigungen bei Frauen wecken, werden sie im Verhältnis zu anderen Gewalttaten, z.B. Folterungen und Morde, weniger häufig angezeigt. Nach Gewaltstudien in westlichen Ländern wird nur jede fünfte Vergewaltigung angezeigt. Wir können davon ausgehen, dass diese Dunkelziffer bei den guatemaltekischen (Maya-) Frauen noch wesentlich höher liegt. Die Frauen wurden Teil der Kriegsstrategie und die Vergewaltigungen ein Mittel zur Machtdemonstration, ein Ausdruck von Sieg und eine Form, die Verlierer zu erniedrigen. Viele Militärs sahen in der Vergewaltigung der Frauen auch eine Form, die "Mütter der künftigen Guerilleros" zu erniedrigen. In den Interviews werden die Gewalthandlungen gegen die Frauen beschrieben, es finden sich jedoch sehr wenig Hinweise darauf, wie die Frauen selbst diese Gewalt erlebt haben und wie sie damit umgegangen sind. Dies kann auf die Stigmatisierung zurückgeführt werden und auf die Schwierigkeit, über das Erlebte zu sprechen. Die traumatischen Auswirkungen - sowohl psychisch wie physisch - sind keine Einzelfälle. Neben der persönlichen Erniedrigung, die eine Vergewaltigung für eine Frau bedeutet, und die mögliche familiäre Isolierung, die eine solche mit sich ziehen kann, fühlen sich auch oft die Ehemänner, Väter oder Brüder schuldig, weil sie die Tat nicht verhindern konnten. Auch die kulturellen und religiösen Vorstellungen von "Reinheit" und Sexualität mögen dazu beitragen, dass die betroffenen Frauen oder ihre Angehörigen durch die Vergewaltigungeserfahrung noch empfindlicher getroffen werden. Während Männer und Frauen, die getötet oder verletzt wurden, als Helden und Heldinnen gelten, gibt es keinen solchen Status für vergewaltigte Frauen. Es sind ähnliche Fälle wie die der "Verschwundenen": Das Leiden der Familien endet nicht damit, dass die Vergewaltigung anerkannt wird. Nach oben |
Nebst der enormen persönlichen und gefühlsmässigen Belastung, welcher die Frauen ausgesetzt waren, mussten sie auch noch Änderungen in ihrem alltäglichen Leben und in ihrer sozialen Rolle vollziehen. Es waren die Frauen, die sich als Erste mobilisierten, um ihre Verschwundenen zu suchen und Druck auszuüben. Gleichzeitig mussten sie sich um ihr eigenes Überleben und das ihrer Familien kümmern. All das summiert sich zu den emotionalen Verletzungen, die das Erlebte mit sich bringt: Einsamkeit, Belastung und ein angeschlagenen Selbstvertrauen. Während des Krieges haben die Frauen ihre traditionellen Rollen beiseite gelassen und wurden zum Rückgrat der familiären und sozialen Strukturen. Nebst der Kindererziehung, der Pflege von Alten und Kranken, waren sie oftmals gleichzeitig auf der Flucht in die Berge oder ins mexikanische Exil. Viele von ihnen wurden zu Witwen oder "alleinstehenden Frauen" und mussten sich ums Überleben der Familie kümmern, ohne auf die emotionale oder finanzielle Hilfe ihrer Männer zählen zu können. Gemäss REMHI- Bericht sind die Witwen auch heute noch eine der bedürftigsten Bevölkerungsgruppe. Diese harten Lebensumstände haben dazu geführt, dass Frauen selbstbewusster öffentliche und soziale Aufgaben übernommen haben, die ihnen bislang verwehrt waren. Viele tradionellen Konzepte über die Rolle der Frau wurden als Folge des Krieges und der Gewalt durchbrochen. Das soziale Netz wurde durch den Krieg zerstört und damit oft auch die Art und Weise, wie Frauen über ihre Abhängigkeit dachten. Die enormen Schwierigkeiten, denen die Frauen ausgesetzt waren, haben ihr Selbstbewusstsein gestärkt. Gewaltsituationen ausgesetzt zu sein und den Konsequenzen davon gegenübertreten zu müssen, hat vielen Frauen das soziale Bewusstsein gestärkt, und sie haben begonnen, für ihre Würde zu kämpfen. Die Suche nach den "Verschwundenen" wurde zu einem von Angst beladenen Kampf und war eine schlimme Folge der politischen Repression. Der ewige Zweifel, was geschehen war, über den Ort, wo die Angehörigen wohl sind, die Ungewissheit, ob sie noch leben oder tot sind, ob es möglich sein wird, sie zu finden, waren die unendlichen Fragen all derjenigen, die auf der Suche nach ihren Nächsten Tag für Tag alle Wege abliefen in der Hoffnung, ihre Liebsten zu finden. Bei ihrem unermüdlichen Kampf scheuten die Frauen weder Kosten noch Opfer. Als sie sich bewusst wurden, dass sie nichts mehr zu verlieren hatten, stürzten sie sich in diesen Kampf. Die Kraft dafür schöpften sie aus der Bedeutung, die die Verschwundenen für sie hatten. In diesen Extremsituationen bewiesen die Frauen eine enorme Fähigkeit, sich über die Verzweiflung hinwegzusetzen, sich über den Schmerz zu vergessen und neue Projekte anzugehen. Die Suche nach den Verschwundenen wurde zur einzigen Alternative, dem Militär gegenüberzutreten und dem Terror zu begegnen und wurde zum unerschütterlichen Ausdruck der Verteidigung der Menschenrechte während der schlimmsten Jahre des bewaffneten Konflikts. Die Mütter, Ehefrauen, Töchter und Schwestern der Verschwundenen waren die Ersten, die sich trauten, der institutionalisierten Gewalt entgegenzutreten, in der das Land lebte. Nie zuvor wurden die Frauen als wichtig für das politische Leben erachtet. Jetzt aber lieferten sie zahllose Beispiele ihres Mutes, ihrer Standhaftigkeit und ihrer Hoffnung. Die "Verschwundenen" zu suchen, wurde zum zentralen Ziel einer sozialen Bewegung, die zu Beginn der 70-er Jahre entstand. Die ersten Komitees wurden von Frauen und Familienangehörigen gegründet, die Untersuchungen starteten, Anzeigen machten, sowohl auf nationaler wie internationaler Ebene. Ab 1984, mit der Gründung der Gruppe für gegenseitige Hilfe (GAM), war die Suche nach den Verschwundenen der Hauptausdruck des organisierten Menschenrechtkampfes. Die guatemaltekische Gesellschaft, nach wir vor unter den Eindrücken der Repression stehend, erlangte ihre Stimme in den Stimmen der Frauen wieder, die auf der Strasse protestierten und ihre Familienangehörigen zurückforderten. Mit der Veränderung der politischen Situation entstanden weitere Gruppen, die mit verschiedenen Mitteln für die Einhaltung der Menschenrechte kämpfte. Auch die Vorgehensweisen änderten sich: Von den Anzeigen und der gegenseitigen Unterstützung gingen sie über zu den Untersuchungen der Massaker, der Begleitung von Ausgrabungungen, der Forderung nach Gerechtigkeit und Wiedergutmachung. Einige Frauen wurden zu Führerinnen der Menschenrechtsbewegung und ihre Stimme wurde international laut. Sie kämpften und kämpfen gegen die Straffreiheit und für die Menschenrechte aller: Rigoberta Menchú, Hellen Mack, Rosalina Tuyuc sind einige von ihnen. Andere Gruppen wie z.B. die Witwenvereinigung CONAVIGUA, konzentrierten sich auf die Problematik der Witwen, eines der grössten durch die Gewalt betroffenen Sektors. Ihre Forderungen gehen über die Suche ihrer Angehörigen hinaus: Der Kampf gegen die Militarisierung der ruralen Gebiete bzw. der Kampf gegen die Zwangsrektrutierung. Auch die Flüchtlingsfrauen haben sich organisiert und analysieren ihre spezifische Situation. Das Engagement der Frauen in unterschiedlichen sozialen Bewegungen und die der Angehörigengruppen förderten das Wiederbeleben vieler Gruppen und trug zu einer grösseren gesellschaftlichen Anerkennung ihrer Forderungen bei. Auf ihrem schmerzaften Weg, den die guatemaltekischen Frauen aufgenommen haben, die so lange in der Gesellschaft unsichtbar waren, müssen sie unterstützt und als Protagonistinnen einer Veränderung wahrgenommen werden. Es ist an der Zeit, dass ihre Beiträge respektiert und als Beispiele von Würde, die unersetzbar für die Verteidigung des Lebens ist, anerkannt werden. |
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