Lynchjustiz hat Hochkonjunktur
Fijáte 194 vom 22. Sept. 1999, Artikel 10, Seite 5
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Lynchjustiz hat Hochkonjunktur
Guatemala, 18. September. Fälle von Selbsjustiz haben in den letzten Wochen die Titel- und "Vermischte Meldungen"- Seiten der guatemaltekischen Zeitungen gefüllt. Die aktuellsten Fälle fanden in Zacualpa Quiché, Sayaxché Petén und in der Provinz Guatemala statt und verliefen immer nach ähnlichen Mustern: Eine aufgebrachte Menschenmenge bringt auf brutalste Weise eine oder mehrere Personen um, meist wegen relativ geringen Vergehen. Begründet werden diese Taten damit, dass die Bevölkerung lieber selber "zum Rechten" schaue, da die Polizei und die Gerichte sowieso nicht effizient arbeiten würden. Laut Claudia Perdomo, Sprecherin der Mission der Vereinten Nationen für Guatemala (MINUGUA) wurden im Laufe dieses Jahres 70 Personen Opfer der Lynchjustiz, offizielle Zahlen sprechen sogar von 125 Fällen. Am meisten Fälle seine im Departement Alta Verapaz registriet worden. Verschiedene Untersuchungen ergaben, dass die Bevölkerung zu diesem Mittel der Selbsjustiz greift, das sie kein Vertauen in die staatlichen Behörden hat. Eine Studie des Institutes für vergleichendes Strafrecht (IECCP) ergibt, dass die meisten dieser Morde in Anwesenheit der Polizei stattfanden, welche jedoch nicht eingegriffen habe. Oft sei auch eine Manipulation der Menschenmenge durch infiltrierte Gruppen ehemaliger Zivilpatrouillen- Mitglieder festgestellt worden. Der Innenminister Rodolfo Mendoza glaubt nicht, dass die Fälle von Lynchjustiz auf ein mangelndes oder schlechtes Justizsystem zurückzuführen sind. Zweifellos sei es ein soziales Problem, das man jedoch mit Hilfe der Polizei in den Griff zu bekommen versuche. Im Fall von Zacualpa sei dies sehr schwierig gewesen, die Polizei sei von der Menschenmenge schlichtweg überrollt worden und es seien sogar Polizisten als Geiseln genommen worden. Davis Son Turnil, Sekretär der Evangelischen Kirchenkonferenz Guatemalas (CIEDEG) hat noch eine andere Erklärung für das Phänomen. Einerseits ist er auch der Meinung, dass das Justizsystem zu wenig effizient ist, zum andern glaubt er, dass dem Gewohnheitsrecht der Mayas zuwenig Wichtigkeit beigemessen wird. Dieses sähe nämlich spezielle Mechanismen für Konfliktlösungen vor, welche in keiner Weise mit dem offiziellen Rechtssystem in Konkurrenz stehe. Probleme gäbe es erst, wenn diese zwei Systeme gegeneinader ausgespielt würden. Die Regierung müsse genug Vertrauen in die indigene Bevölkerung haben, Konflikte auf ihre Weise zu lösen, solange es sich um kleine Delikte innerhalb des Zivilrechtes handle. Das Gewohnheitsrecht der Mayas sehe nicht vor, über strafrechtliche Fälle wie z.B. Entführung oder Mord zu richten. Solche Fälle würden dem offiziellen Rechtssystem übergeben, meinte Son Turnil weiter. Unterschiedlich wird die anfangs September in Totonicapán verhängte Strafe von fünfzig Jahren unbedingt, gegen die Verantwortlichen eines Falles von Lynchjustiz, beurteilt. Nach oben |
Frank LaRue vom Aktionszentrum für Menschenrechte (CALDH) findet die Strafe gerechtfertigt, wenn jemand wirklich für das lynchen einer Person verantwortlich ist. Für die Gruppe gegenseitiger Hilfe (GAM) und die Angehörigengruppe Madres Angustiadas muss Lynchen auf jeden Fall bestraft werden. Im Vergleich jedoch mit Strafen, die gegen Entführer oder Militärs ausgesprochen würden, welche Menschenrechtsverletzungen begangen haben und oftmals freigesprochen würden, seien 50 Jahre eine hohe Strafe. Lynchjustiz passiere oft spontan und unkontrolliert, im Gegensatz zu Entführungen, welche von langer Hand geplant werden, jedoch niemals so hart bestraft würden, meinte Michelle de Leal von den Madres Angustiadas. Karen Fischer von der Allianz gegen Straffreiheit hofft, dass dieses Beispiel eine abschreckende Wirkung habe auf die Bevölkerung, solche Taten zu begehen. |
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