Demokratie als lukratives Geschäft
Fijáte 299 vom 17. Dez. 2003, Artikel 1, Seite 1
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Demokratie als lukratives Geschäft
Mehr als die Hälfte der BürgermeisterInnen, die bei den Wahlen am 9. November für eine Wiederwahl kandidierten, haben ihr Ziel erreicht, was als Zeichen der Anerkennung ihrer geleisteten Arbeit gewertet werden kann. Gleichzeitig hat es aber in über 30 Gemeinden nach den Wahlen gewalttätige Ausschreitungen, Proteste und Drohungen gegeben. Im Grunde haben diese beiden ,,Expressionen der Demokratie" dieselbe Ursache: Das erhöhte Gemeindebudget. Der folgende Artikel erschien in Inforpress Centroamérica vom 21. November 2003. Guatemala AG? Bei den Wahlen von 1999 gelang 36% der BürgermeisterInnen, die sich zum erneuten Mal nominieren liessen, die Wiederwahl. Bei den Wahlen von diesem Jahr stellten sich 205 BürgermeisterInnen ein wiederholtes Mal der Gunst der WählerInnen. 105 (51%) gelang die Wiederwahl. Am 15. Januar 2004 wird also rund jedeR dritte BürgermeisterIn die (mindestens) zweite Legislaturperiode antreten. Diese Daten sind als ein Erfolg zu werten, zieht man in Betracht, dass es auf nationaler Ebene keinem Präsidenten je gelungen ist, eine Wiederwahl zu erlangen. Wenn man davon ausgeht, dass der Hauptgrund für diese Nicht-Wiederwahl die Unfähigkeit der Präsidenten war, das Land zu regieren, kann man daraus schliessen, dass die steigende Anzahl wiedergewählter BürgermeisterInnen mit der Zufriedenheit der WählerInnen mit deren Arbeit zu tun hat. Zweifellos haben sich die vergangenen Wahlen auch durch eine steigende Zahl von Konflikten ausgezeichnet. In mehr als 30 Gemeinden also in jeder zehnten - haben die BürgerInnen und die KandidatInnen der ,,Verliererparteien" die Wahlergebnisse nicht akzeptiert. In einigen Fällen bekamen die Sieger Todesdrohungen. In verschiedenen Gemeinden wurden die Wahlurnen verbrannt, und an vier Orten müssen die Wahlen wiederholt werden. Diese zwei Begebenheiten die Zunahme wiedergewählter BürgermeisterInnen und die Zunahme von gewalttätigen Auseinandersetzungen nach den Wahlen - scheinen gemeinsame Wurzeln zu haben: Die Gemeinderegierungen bekommen mehr öffentliche Gelder zugeteilt. Dies bedeutet, dass einE ehrlicheR BürgermeisterIn mehr Mittel zur Verfügung hat, um die Bedürfnisse der Bevölkerung zu befriedigen, was eine Wiederwahl begünstigt. Mehr finanzielle Mittel zur Verfügung zu haben, bedeutet aber auch, mehr Möglichkeiten zur Korruption zur Verfügung zu haben. KandidatInnen, die in der Gemeindeverwaltung eine Chance sahen, Geld in die eigene Tasche zu wirtschaften, investierten viel Geld in ihre Wahlkampagne mit der Idee, dies nach der Wiederwahl wieder ,,zurückzuerhalten". Ein Gemeindeangstellter aus Izabal erklärte gegenüber Inforpress, dass eine erfolgreiche Kampagne mindestens 150'000 Quetzales (ca. US$ 18´750) kostet. Mit einem monatlichen Gehalt von 3´000 Quetzales (ca. US$ 375), muss einE BürgermeisterIn vier Jahre arbeiten, um dieses Geld zusammenzusparen. Das Zurückerlangen der in die Wahlkampagne investierten Gelder ist deshalb in vielen Gemeinden eine wichtige Ursache der Korruption. Dies betrifft aber nicht nur die BürgermeisterInnen, sondern auch die Kongressabgeordneten. Dieses ,,unternehmerische" Verständnis von Demokratie macht es für eineN KandidatIn schwierig, seine/ihre Wahlniederlage und somit den Verlust des in die Kampagne investierten Geldes zu akzeptieren. In Zunilito, Suchitepéquez, sagte ein Bürger gegenüber Inforpress: ,,Bei uns gewinnt nie ein Kandidat die Wiederwahl, denn bei uns heisst es: ,,Der hat schon gegessen, jetzt soll ein anderer die Gelegenheit zum Essen haben"". Trotzdem ist der aktuelle Bürgermeister von Zunilito, Rudy Edelman Cop, mit überwältigenden 66% wiedergewählt worden. Zusammenstösse zweier Märkte Zwei Aspekte begünstigen die Korruption: Das Fehlen einer Kontrolle, einer Begleitung und aktiven Teilnahme seitens der Bevölkerung an den Geschäften der Gemeinde, ein Charakteristikum, das von einigen Analysten ,,Aufstandsbekämpfungsdemokratie" genannt wird und der quasi unverhüllte Aufruf der zentralen Regierung und des privaten Sektors an die BürgermeisterInnen zur Korruption. Der Analyst Boaventura de Sousa Santos nennt die Demokratie ,,ein Spannungsfeld zwischen dem wirtschaftlichen und dem politischen Markt". Auf der einen Seite ist der Markt, auf dem Ideen, Werte und Prinzipien gehandelt werden und wo die Bevölkerung den/die besteN Kandidaten/in auswählt. Auf der anderen Seite ist der Markt, auf dem die verschiedenen Interessensgruppen, um die öffentliche Macht konkurrieren um sich Aufträge zu sichern, ihren Familienangehörigen eine Stelle zu beschaffen oder um Gelder abzuzweigen. Im Moment ist der ,,Ideenmarkt" in der Krise: Die KandidatInnen wechseln ihre Parteien, die Parteien ihre KandidatInnen. Was zählt, ist einzig die Chance, Stimmen zu gewinnen und die Kampagne zu finanzieren. Die Parteien werden nur unmittelbar vor den Wahlen aktiv, es gibt Nach oben |
keine längerfristige politische Bildung und keine Begleitung der BürgermeisterInnen, wenn diese einmal ihren Posten erworben haben. Diese Seite der Demokratie ist sehr schwach gegenüber der anderen. Seit den 80er-Jahren hat der Markt der Wirtschaft den politischen Markt kontaminiert, meint de Sousa Santos. ,,Der politische Markt ist heute wirtschaftlicher, die Ideologien sind verschwunden, die Stimmen und politischen Positionen der Parteien haben ihren Preis, und dieser Preis ist die Korruption..." Jährlich werden Aufträge im Wert von 13 Milliarden Quetzales (ca. US-$ 1,5 Mrd.) öffentlicher Gelder an private Firmen vergeben. Präsident Portillo gab einst gegenüber Inforpress zu, dass der Haushaltsetat das grösste Geschäft eines Landes ist. Hinter diesen Geldern verstecken sich Interessen, Manipulation, Korruption und Gewalt. Das Projekt Service für Gemeindeinformation (SIM) von Inforpress hat den Einfluss der Korruption auf Gemeindegeschäfte aus der Nähe verfolgt. So gibt es z.B. Kongressabgeordnete, die gleichzeitig Bauunternehmer sind, die Scheinfirmen gründen, um an den Ausschreibungen öffentlicher Bauten teilzunehmen. Damit treiben sie bei den Verhandlungen die Preise in die Höhe im Wissen darum, dass eine ihrer Firmen den Auftrag bestimmt bekommt. Ebenso gibt es Strassen, die nirgendwohin führen und Schulen, die nur auf dem Papier existieren. Es gibt unzählige Rechnungen über Baumaterial wie Kies und Sand, datiert zwischen dem 9. November (dem Tag der Wahlen) und dem 14. Januar (dem Tag der Regierungsübergabe). Gemäss den Aussagen eines Bürgermeisters in Progreso ist es schwierig, nicht korrupt zu sein: ,,Wenn ich damit einverstanden bin, mit dem Unternehmen eines Kongressabgeordneten einen Vertrag abzuschliessen, bekomme ich von der Regierung das Geld für den Bau einer Strasse in meiner Gemeinde. Wenn nicht, wird die Strasse nicht gebaut. Was soll ich machen? Die Leute brauchen die Strasse..." Die Lösung für dieses Dilemma ver- steckt sich in den Wahlresultaten: Die vier Bürgermeister, die mit den besten Ergebnissen wiedergewählt wurden, gehören BürgerInnenkomitees an und werden von namhaften Persönlichkeiten ihrer Gemeinde unterstützt. In Interviews mit BürgermeisterInnen, die mit mehr als 70% der Stimmen wiedergewählt worden sind, kam klar heraus, dass ihr Erfolg auf der Beteiligung der Bevölkerung bei Entscheidungen auf Gemeindeebene und auf einer transparenten Geschäftsführung beruht. Eine Untersuchung vom SIM über die Wahlen von 1999 kam zu dem Ergebnis, dass die BürgermeisterInnen, die wiedergewählt wurden, aus Gemeinden stammen, in denen allgemein eine hohe Wahlbeteiligung herrschte. Die Zunahme der wiedergewählten Gemeinderegierungen geht auch dieses Jahr einher mit einer generellen Zunahme der Wahlbeteiligung auf nationaler Ebene: Während 1995 die Wahlbeteiligung bei 46.8% lag, gaben im Jahr 2003 landesweit 56% der wahlberechtigten Personen ihre Stimme ab. |
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