Rückblick auf 4 Jahre Portillo-Regierung
Fijáte 300 vom 31. Dez. 2003, Artikel 1, Seite 1
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Rückblick auf 4 Jahre Portillo-Regierung
Der Abschluss des Jahres fällt diesmal in etwa mit dem Abschluss der Regierungszeit von Präsident Alfonso Portillo Cabrera zusammen, der am 14. Januar 2004 den Stab an seinen Nachfolger Oscar Berger übergeben wird. Vier Jahre hatte Portillo Zeit zu realisieren, was er der Realisierung für würdig befand. Der folgende Artikel, der auf einer Publikation von Edwin Pérez des Nachrichtenblattes Incidencia democrática vom 6. November fusst, gibt einen Überblick über das Tun und Lassen des Präsidenten Guatemalas in den letzten vier Jahren. Die Wahl von Alfonso Portillo zum Präsidenten im Jahr 1999 war sowohl für ihn wie auch für die Partei Frente Republicano Guatemalteco (FRG), die ihn als Kandidaten aufstellte, ein leichtes Spiel. Die FRG gewann gleichzeitig die Mehrheit im Kongress, was ihr in den letzten vier Jahren erlaubte, zu tun und zu lassen, wie ihr beliebte. Die Wahl eines Präsidenten, der sich nicht mit dem traditionellen Kapital identifizierte, weckte in vielen GuatemaltekInnen grosse Hoffnungen und Erwartungen, was Portillo in seiner Wahlkampagne (und später als Präsident) auszunutzen und zu manipulieren wusste. Doch die Freude in Guatemala war von kurzer Dauer während die internationale Gemeinschaft etwas länger brauchte, um ihre ersten Zweifel zu äussern. Wenige Monate reichten, um die Situation im Land zu verkomplizieren und in den Jahren zuvor geöffnete Spielräume wieder zu schliessen: Konfrontation, Vorherrschaft und Nicht-Respektieren der Gesetze wurden zu den Markenzeichen der Regierung unter Portillo. Heute, wenige Tage vor dem Abtreten Portillos, können drei Schlüsse gezogen werden. Erstens: Die Regierung FRG hatte nie ein Interesse gezeigt, auf die Forderungen der bedürftigsten Bevölkerungsgruppen einzugehen, auch wenn Portillo in seinen Diskursen immer das Gegenteil behauptete. Weder in der Landfrage, noch in der Migrationspolitik, noch in Sachen Erziehung und Gesundheit oder Wohnbauförderung, etc. hat die Regierung Portillo substantive Veränderungen bewirkt. Im Gegenteil: Die sozialen Probleme haben sich zum Teil drastisch verschärft. Zweitens: Weder Portillo noch die FRG zeigten je den Willen, die Friedensabkommen umzusetzen und als Staatsabkommen zu verankern. Die Auflösung des Präsidialen Sicherheitsstabs (EMP) war eines seiner grossen Wahlversprechen, eingelöst hat er es zwei Monate vor der Regierungsübergabe. Dabei wird diese "Auflösung" von vielen AnalytikerInnen bloss als "Verschiebung" bezeichnet, werden doch zahlreiche ehemalige EMP-Angestellte und Aufgaben vom nachfolgenden zivilen Sekretariat für soziale Verwaltungsangelegenheiten übernommen. Gänzlich gegen die Friedensabkommen verstösst die Entschädigung der ehemaligen Zivilpatrouillisten (Ex-PAC) acht Jahre nach ihrer offiziellen Auflösung, während die zivilen Opfer des bewaffneten Konflikts und deren Hinterbliebene bisher leer ausgegangen sind. Drittens: Die Übernahme der Regierung FRG bedeutete für das Land einen signifikanten Rückschritt in Sachen Menschenrechte, Drogenbekämpfung, Bekämpfung des Schmuggels und der Korruption, ebenso wie in Sachen ökonomisches Wachstum und ebnete den Weg für eine erneute Militarisierung der Sicherheit. In der Sicherheitsfrage ist die FRG wohl am meisten gescheitert, war dies doch ihr trojanisches Pferd während der Wahlkampagne 1999. Sicherheit: In den vier Jahren seiner Amtszeit hat Alfonso Portillo viermal den für die Sicherheit zuständigen Innenminister ausgewechselt. Das hatte jedes Mal auch einen Wechsel in der Polizeiführung, im Gefängniswesen und im ganzen Sicherheitskabinett zur Folge, weshalb sich nie eine wirkliche Sicherheitspolitik etablieren konnte. Einer dieser Innenminister war Byron Barrientos, der wegen der Unterschlagung von 90 Mio. Quetzales (ca. US$ 11,25 Mio.) angeklagt ist, ein Verbrechen, das immer noch in der Straflosigkeit schwebt, derweil Barrientos bis zum Schluss der Regierungszeit Portillos seinen Sitz im Kongress innehat. Unter den Wechseln im Innenministerium hat auch die Ausbildung der Polizeikräfte gelitten: Im Moment hat Guatemala 21'000 PolizistInnen, von denen ca. 15'000 für die Sicherheit der BürgerInnen zuständig sind. Gemäss der UN-Mission für Guatemala MINUGUA müssten jährlich 2´000 neue PolizistInnen die Polizeiakademie verlassen und den Dienst antreten. Im Moment sind es 900 pro Jahr. Dies ist auf das mangelnde Budget zurückzuführen, mit dem die Polizei wirtschaftet. Rund 1´200 Polizeifahrzeuge (von den insgesamt 2´460) stehen defekt herum und können mangels Geld nicht repariert werden. Ähnlich steht es um die Waffen der Polizeikräfte. Monatlich gehen 80 Anzeigen gegen korrupte PolizistInnen ein, im Vergleich zu monatlich 14 im Jahr 2001. Erinnert sei auch an die Flucht von 79 Gefangenen aus einem Hochsicherheitsgefängnis im Sommer 2002, die mit der Verhaftung oder Ermordung der Anführer dieses Ausbruchs endete. Die Situation in den Gefängnissen hat sich aber deshalb nicht verändert. Aufstände, Waffen- und Drogenhandel bis hin zu Kannibalismus sind an der Tagesordnung. Überfälle, Morde, Entführungen und ähnliche Aktivitäten des organisierten Verbrechens haben zu- genommen, die Verwicklung von Regierungsmitgliedern in solche Verbrechen wurde verschiedentlich nachgewiesen. Infrastruktur: Ein grundlegender Fehler der FRG-Regierung war die Ernennung von Luis Rabbé zum Verkehrs- und Kommunikationsminister. Rabbé wurde wegen seiner Ineffizienz, aber viel mehr noch wegen der Vetternwirtschaft, die er bei der Vergabe von Bauaufträgen praktizierte, abgesetzt. Mehrfach vergab er Aufträge ohne vorherige Ausschreibung an Firmen, die erst kürzlich oder nur auf dem Papier gegründet worden waren. Zu den Skandalen von Rabbés Ministerzeit gehören bezahlte, jedoch nie fertig gestellte Strassen, die eingestürzte Brücke "Villalobos", eine Zunahme der Wohnungsnot und eine Menge Schulden gegenüber Auftragsfirmen. Seit Flora de Ramos das Ministerium übernommen hat, ist dieses quasi in einen Dornröschenschlaf verfallen, zwar fliegen keine Skandale mehr auf, aber das Ministerium zeichnet sich auch nicht durch namhafte Projekte aus. Drogenhandel: In den ersten drei Jahren der FRG-Regierung ging die Beschlagnahmung von illegalen Drogen drastisch zurück. Nach oben |
Ende 2002 schien Guatemala nicht nur ein ideales Durchgangsland sondern auch ein perfekter Lager-, Verarbeitungs- und Umschlagplatz für Drogenhändler zu sein. Solange, bis die Vereinigten Staaten Guatemala die Zertifizierung entzogen und das Land beschuldigten, die US-amerikanische Drogenbekämpfungspolitik nicht zu unterstützen. Von diesem Moment an und fast wie durch Zauberhand flogen ein um der andere Drogenring und Lagerplatz auf, und es wurden Drogen, Waffen und Fahrzeuge in Millionenwert beschlagnahmt. Interessanterweise werden aber immer nur die mittleren und kleineren Fische verhaftet, weshalb die Vermutung nahe liegt, dass es Beziehungen zwischen den Drogenbossen und Regierungsmitgliedern gibt. Als Folge davon haben die Vereinigten Staaten verschiedenen ehemaligen und aktuellen guatemaltekischen Regierungsmitgliedern das Visum entzogen, mit der Begründung, sie seien in Geldwäsche und illegale Geschäfte verwikkelt. Erziehung: In diesem Bereich sind ausschliesslich rote Zahlen zu verzeichnen. Am meisten leiden darunter die Kinder, die keine LehrerInnen mehr haben oder keine Schulmahlzeiten mehr erhalten. Die ersehnten Lebensmittel machten eine Pilgerreise vom Erziehungsministerium über den Vizepräsidenten, das Landwirtschaftsministerium bis hin zum Präsidialen Sicherheitsstab EMP, niemand schien zuständig zu sein. Das Schulsystem ist nach wie vor mangelhaft, der Alphabetisierungsplan ist jämmerlich gescheitert, die Schulreform kommt im Schneckentempo voran, mit mehr Rückschritten denn Erfolgen. Militär: Das Militär ist noch ähnlich präsent und territorial verbreitet wie zu Zeiten der Aufstandsbekämpfung. Als Erfolg kann sicher die Übergabe der Schule Pedro Molina in Chimaltenango an die Zivilbevölkerung verzeichnet werden. Diese Schule hat jahrelang als Kaserne gedient. Ein kleiner Trost im Vergleich zu den Millionentransfers, die im Verlauf der Regierung Portillos von anderen Ministerien ans Verteidigungsministerium getätigt wurden. Portillo und die FRG haben das Militär für ihre eigenen Interessen und Zwecke zu nutzen gewusst. Erinnert sei an die Degradierung von 30 Generälen zu Beginn der Regierungszeit Portillos, das Umgehen sämtlicher Hierarchien mit dem Ziel, den Sohn von Ríos Montt in eine hohe militärische Position zu erheben. Seine Karriere endete brüsk im Sommer 2003, als ein Skandal im Zusammenhang mit dem Institut für Militärpensionen aufflog sowie wegen seiner Rolle an den unter den Namen "Jueves negro" ("Schwarzer Donnerstag") und "Viernes de Dolor" ("Freitag des Schmerzes") bekannt gewordenen, gewalttätigen Ereignissen im Rahmen der FRG-Wahlkampagne vom 24. und 25. Juli. Wirtschaft: Zu den nennenswerten Erfolgen in diesem Bereich können die Implementierung einiger Gesetze genannt werden, sowie die makroökonomische Stabilität und das Erreichen, dass gewisse grosse Unternehmer Steuern bezahlen. Wobei dies nicht so sehr Erfolge des Präsidenten der Nation sind, sondern vielmehr des Präsidenten der Nationalbank. Gleichzeitig ist aber ein Rückgang ausländischer Investitionen zu verzeichnen, eine Zunahme der Arbeitslosigkeit, die Schliessung von Firmen sowie die Zunahme des Schmuggels. Der grösste Wirtschafts-Irrtum der Regierung Portillo war, den sich auf dem besten Weg befindenden Steuerpakt über den Haufen zu werfen. Während seiner ganzen Regierungszeit stand Portillo in ständiger Auseinandersetzung mit dem Unternehmenssektor, dem er vorwarf, wegen der Steuerhinterziehung Schuld am sozialen Elend zu sein, und mit dem er sich in einen legalen Krieg verstrickte, mit dem Resultat, dass ihm keine Zeit übrig blieb, eine griffige Steuerpolitik durchzusetzen. Korruption: Die Liste der Korruptionsfälle, in die Mitglieder der FRG-Regierung involviert sind, ist lang. Erwähnt seien hier nur einige, die es über längere Zeit auf die Titelseiten der guatemaltekischen Zeitungen schafften: Die bereits erwähnten Skandale im Verkehrs- und Kommunikationsministerium (MICIVI) und im Innenministerium, die Hinterziehung von rund 350 Mio. Quetzales durch den Vorstand des Sozialversicherungsinstituts IGGS, angeführt von Carlos Wohler, der noch heute Vorsitzender des FRG-Ehrengerichts ist. Erinnert sei auch an die Bankkonten von Präsident Portillo und Vizepräsident Reyes López in Panama, ein Korruptionsfall, der stillschweigend in den Schubladen der Justiz verschwunden ist. Politik: Unter dieses Stichwort fällt der Regierbarkeitspakt, den Portillo mit den verschiedenen Sektoren schloss und nie einhielt, und dessen Umsetzung er an seinen Nachfolger vererbt. Dafür befand er sich in einem ständigen Streit mit der Presse, dem Unternehmenssektor und anderen Gruppierungen, die ihn auf die eine oder andere Weise unter Druck setzten. Der Verschleiss des Präsidenten ging so schnell vonstatten, dass es schon bald nach seiner Amtseinsetzung hiess, nicht er führe die Geschäfte des Landes, sondern sein Vizepräsident sowie Kongress- und FRG-Parteipräsident Efraín Ríos Montt. Wir können also den ernüchternden Schluss ziehen, dass Guatemala wenige Tage vor dem Regierungswechsel schlimmer dasteht als vor vier Jahren. Und dabei haben wir das Thema der parallelen Strukturen, die Menschenrechtsverletzungen, die von ihnen ausgehen, die fortschreitenden und zunehmenden Probleme in der Landfrage, und vieles andere noch nicht einmal erwähnt. Eine Lehre hat die Bevölkerung aus den letzten vier Jahren sicher gezogen. Dies zeigte das klare NEIN zu Ríos Montt in der ersten Runde der Präsidentschaftswahlen am 9. November. Das Erbe, das Oscar Berger am 14. Januar antritt, ist ein schwieriges, und wenn er es nicht schafft, in den ersten Monaten eine spür- und sichtbare politische Veränderung einzuleiten, werden wir wohl in vier Jahren eine ähnliche Bilanz ziehen. |
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