"Der bewaffnete Konflikt brach mit allem"
Fijáte 306 vom 24. März 2004, Artikel 4, Seite 5
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"Der bewaffnete Konflikt brach mit allem"
Guatemala, 12. März. (Inforpress). Seit den neunziger Jahren führen einige forensische AnthropologInnen Exhumierungen durch, um jene Körper auszugraben, die während des bewaffneten Konflikts ,,verschwunden" sind, damit die Geschichte des Landes nicht nur von den ,,Siegreichen" geschrieben wird. Diese Organisationen suchen eine Archäologie der Versöhnung zu realisieren, doch ist dies ein langer Weg. Anlässlich des Nationaltags der Kriegsopfer weihte am 25. Februar die Witwenorganisation CONAVIGUA ein Mahnmal in Comalapa mit den Namen der etwa 250 Personen der Gemeinde ein, die während des Krieges gestorben oder verschwunden waren. Die Mehrheit der Verschwinden in dieser Gemeinde fanden zwischen 1981 und 1983 statt, Jahre, in denen laut der Wahrheitskommission CEH 81% der Menschenrechtsverletzungen während des Krieges begangen wurden. Laut Alan Robinson, Direktor der Forensisch-Anthropologischen Vereinigung FAFG ist der Erfolgsgrad beim Identifizieren der Leichen mit 56% relativ hoch. Jedoch stellt der Fall Comalapa einen besonderen dar. Viele der Körper, ob tot oder lebendig, waren damals aus anderen Departements wie Huehuetenango oder Quiché hergebracht worden, was das Erkennen und Zuordnen deutlich erschwert. In den letzten 12 Jahren hat die FAFG insgesamt rund 3´000 Leichen ausgegraben. Darunter fanden sich vollständige Körper in individuellen Särgen, aber auch viele Skelettteile, die in Massengräbern angehäuft waren. Die Daten der CEH sprechen von rund 650 geheimen Massengräbern und Friedhöfen, die AnthropologInnen schätzen sie auf das Doppelte. ,,Wenn wir in diesem Rhythmus weiterarbeiten, brauchen wir noch etwa 15 Jahre zur Bergung aller Körper", so Robinson. ,,Wenn von den Opfern gesprochen wird, die ihr Leben gegeben haben, denen, die immer noch an Händen und Füssen in den geheimen Gräbern gefesselt sind, die Frauen, die immer noch unter der Erde mit verbundenen Augen und Mündern liegen - immer noch fragt sich die Gesellschaft: ,, Sagen sie wirklich die Wahrheit?" so Rosalina Tuyuc, von CONAVIGUA in ihrer Rede am 25. Februar. Die Sehnsucht danach, Gerechtigkeit zu erlangen, ist einer der Motoren, der die Exhumierungen vorantreibt. Angesichts der Behauptungen von denjenigen, die immer noch und immer wieder den Genozid leugnen, bekommt die Notwendigkeit, die Leichen der Verschwundenen, den deutlichsten Beweis für die Brutalität des bewaffneten Konflikts, zu finden, einen besonderen Stellenwert. Erst kürzlich äusserte Otto Pérez Molina, der Sicherheits- und Verteidigungsbeauftragte der neuen Regierung, dem während der blutigsten Jahre des Krieges eine entscheidende Rolle im Departement Quiché zugeschrieben wird, gegenüber Inforpress: ,,Hier gab es keinen Völkermord, hier war das Schlachtfeld für das, was zwischen den Vereinigten Staaten und Russland stattfand. Wir stellten die Toten und sie die Ideologie." Theoretisch obliegt es der Staatsanwaltschaft, die Menschenrechtsverletzungen zu untersuchen. Diese Institution müsste eigentlich auch die Exhumierungen realisieren. Doch es ist offensichtlich, dass es ihr an Ressourcen fehlt, und, was noch schwerer wiegt, dem Staat mangelt es eindeutig am politischen Willen. ,,Wir sind dazu verpflichtet zu ermitteln, so Sandra Sosa, Leiterin der Spezialstaatsanwaltschaft. Doch sie fügt gleich hinzu, dass nur drei Personen speziell die Massaker untersuchen, die während der Regimes von Lucas García (1978-82) und Ríos Nach oben |
Montt (1982-83) begangen wurden. Die AnthropologInnen müssen sich nicht nur mit der Ineffizienz oder Passivität der Staatsanwaltschaft auseinandersetzen, sie werden zudem ständig mit Drohungen konfrontiert. ,,Hört auf, Knochen auszubuddeln, sonst werden es bald eure Knochen sein, die ausgegraben werden", so ein Brief im Jahr 2002 an die drei derzeit mit Exhumierungen beschäftigten Organisationen FAFG, CAFCA (Zentrum für Forensische Analyse und angewandte Wissenschaften) und ODHAG (Erzbischöfliches Menschenrechtsbüro). Für ein Verständnis der Notwendigkeit der Exhumierungen muss neben dem Aspekt, das historische Gedenken zu wahren und Gerechtigkeit zu üben, auch die Maya-Tradition mit einbezogen werden. ,,Ein guter Teil der inneren Ruhe und des Ertrags im Leben hängt davon ab, keine Schulden gegenüber den Vorfahren zu haben. Das Prinzip der Reziprozität der Maya-Religion hilft uns zu verstehen, bis zu welchem Punkt sich die Lebenden und die Ahnen gegenseitig brauchen", so Fernando Suazo. "Demgemäss muss jedeR in Frieden von dieser Welt gehen. Traditionell versammeln sich die Angehörigen und FreundInnen des verstorbenen Menschen um diesen, um sich von ihm zu verabschieden. Denn nach dem Sterben verbleibt die Person da, in einer anderen Dimension, und es ergibt sich ein Dialog zwischen dem verstorbenen Menschen und den lebenden Verwandten." "Der bewaffnete Konflikt brach mit all diesem", so der spirituelle Maya-Führer Felipe Gómez. Denn wenn eine Person nicht angemessen beerdigt wird, hat sie als verstorbene nicht ihren Frieden. Die Überreste zu bergen bedeutet, die Kommunikation wieder zu erlangen und somit auch als Lebende die Ruhe und den Frieden wieder zu finden. |
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