Kreuzzug gegen die Gewalt
Fijáte 316 vom 11. Aug. 2004, Artikel 5, Seite 4
Original-PDF 316 --- Voriges Fijáte --- Artikel Nr. 1 - 2 - 3 - 4 - 5 - 6 - 7 - 8 - 9 --- Nächstes Fijáte
Kreuzzug gegen die Gewalt
Guatemala, 5. Aug. Seit gut zwei Wochen führt die guatemaltekische Regierung einen "Kreuzzug gegen die Gewalt". 4008 Personen, davon etwas mehr als ein Drittel Militärangehörige und der Rest PolizistInnen, bilden die Elitetruppe, welche in den als besonders gefährlich und gewalttätig definierten Statdtvierteln während 24 Stunden am Tag zu Fuss, mit dem Motorrad oder einer Polizeistreife patrouillieren. Zumindest medial funktioniert die Aktion: Bereits nach zwei Tagen zitierten die Medien BürgerInnen, die sich durch die Massnahme "sicherer" fühlten, und gemäss Innenministerium gingen auch die Gewalttaten in den überwachten Gebieten zurück. Unterdessen hätten aber die Delinquenten den Zeitplan der Patrouillen durchschaut und würden vor allem die Zeit des Schichtwechsels nutzen, um Überfälle zu starten, erklärte der neue Innenminister Carlos Vielmann, weshalb man die Strategie überdenken müsse. Im Vorfeld der Einsetzung der neuen Elitetruppe kam es in der Polizeiakademie zu aufstandähnlichen Protesten. Die zusätzlichen Polizeikräfte werden nämlich aus den Departements rekrutiert, z. T. gegen ihren Willen, und die Lebens- und Arbeitsbedingungen, die ihnen die Polizeiinstitution in der Hauptstadt bietet, sind miserabel. Offiziell hiess es, der Aufruhr in der Polizeiakademie habe nach dem Selbstmord eines Polizisten begonnen, dem die Erlaubnis verweigert wurde, seine kranke Mutter im Landesinnern zu besuchen, nachdem er bereits 22 Tage am Stück Dienst geleistet hatte. Die Version des Selbstmordes wurde jedoch angezweifelt und ist nun auch Gegenstand einer internen Untersuchung, denn die Art des Einschusses in den Körper des toten Polizisten sprechen gegen einen Selbstmord. Die Proteste richteten sich in erster Linie gegen die Arbeitsbedingungen (Unterkünfte, Ernährung, Arbeitszeiten, Löhne etc.). Ausserdem wurde, wegen seiner Unfähigkeit, die Absetzung des im Rahmen des Wechsels im Innenministerium neu eingesetzten Polizeichefs, Erwin Sperisen, gefordert. Die Einsetzung der Elitetruppe wird von VertreterInnen sozialer Organisationen kritisiert. Militärangehörige seien zum Kämpfen ausgebildet und nicht im Umgang mit der Zivilbevölkerung, meinte Rafael Chanchavac von der BäuerInnenorganisation CNOC. Auf die Gefahr, was es bedeute, die PolizistInnen aus dem Landesinnern abzuziehen und diese Gegenden ungeschützt zu lassen, wies Rosalina Tuyuc hin, während es und seitens der Menschenrechtsorganisation CALDH hiess, das Militär habe sich nicht einzumischen, wenn es um die innere Sicherheit des Landes gehe. Die Umstände, unter denen die Elitetruppe eingesetzt wurde, lassen Zweifel aufkommen, dass das Problem der Gewalt an seinen Wurzeln, d.h. Nach oben |
strukturell, angegangen wird. Auch die anderen Massnahmen, welche von der Regierung im Rahmen des "Kreuzzugs gegen die Gewalt" überlegt oder bereits eingeführt wurden, bleiben oberflächlich und auf kurzfristigen Erfolg ausgerichtet. Einer der Vorschläge, die Einführung einer Sperrstunde in besonders gefährdeten Gebieten, kam von Kongresspräsident Rolando Morales. Die Idee stiess jedoch auf Ablehnung innerhalb der Zivilgesellschaft mit der Begründung, dass sie die Rechte der BürgerInnen, konkret das Recht auf Bewegungsfreiheit, einschränke. Auch im Kongress und bei Präsident Berger hatte der Vorschlag keinen Erfolg. Seit dem 3. August ist eine Verschärfung des Alkohol-Ausschankgesetzes (ley seca) in Kraft. Damit ist es in Restaurants und Bars verboten, zwischen ein und sieben Uhr in der Früh Alkohol auszuschenken, Lebensmittelläden und Tankstellen dürfen bereits ab 21 Uhr keine alkoholischen Getränke mehr verkaufen. Diese Massnahme wurde zwar grundsätzlich begrüsst, doch ist man sich einig, dass auch sie nicht genug ist, um das Problem der Gewalt zu bekämpfen. Die Anfang Juni unter grossem Brimborium eingeleitete Entwaffnungskampagne (Waffen gegen Haushaltsgeräte) befindet sich in einer ähnlichen Sackgasse. Im Moment findet ein Rechtsstreit darüber statt, ob untersucht werden müsse, ob die eingetauschten Waffen legal oder illegal erworben wurden und, je nach dem, ein Gerichtsverfahren eingeleitet werden müsse. Nicht gerade die besten Voraussetzungen, um die Leute zur Abgabe ihrer Waffen zu motivieren. Ebenso gibt es Stimmen, die sagen, solange die Polizei nicht in der Lage sei, die Sicherheit der Bevölkerung zu garantieren, würden sie ihre Waffen sicher nicht freiwillig abgeben. Derweil werden weiterhin täglich zwischen zehn und fünfzehn Personen tödliche Opfer von Gewalt. (Zum Vergleich: Während der schlimmsten Zeit der Repression waren es täglich durchschnittlich acht Personen, die Opfer der staatlich organisierten Gewalt wurden.) |
Original-PDF 316 --- Voriges Fijáte --- Artikel Nr. 1 - 2 - 3 - 4 - 5 - 6 - 7 - 8 - 9 --- Nächstes Fijáte