Internationale Zusammenarbeit: Medizin oder Droge?
Fijáte 315 vom 28. Juli 2004, Artikel 1, Seite 1
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Internationale Zusammenarbeit: Medizin oder Droge?
· Die Internationale (Entwicklungs-) Zusammenarbeit geniesst einen fast unantastbaren Ruf, gäbe es da nicht Gerüchte über dahinterstehende wirtschaftliche Interessen der Länder, welche diese Gelder zur Verfügung stellen. · Seit der Unterzeichnung der Friedensabkommen im Dezember 1996, sind mehr als 1 Milliarde US-$ im Rahmen der Internationalen Zusammenarbeit nach Guatemala geflossen. In letzter Zeit ist diese Unterstützung jedoch rückgängig. · Trotz all dieser Millionen, hat sich an den grundlegenden Problemen, die zum bewaffneten Konflikt führten, nichts verändert, soziale Probleme und gewalttätig ausgetragene Konflikte nehmen stetig zu. In diesem Kontext veröffentlichte Inforpress Centroamericana eine dreiteilige Serie, in der es um Fragen geht wie: "Welchen Einfluss hatte der Zufluss von Entwicklungsgeldern auf Guatemala?", "War die Internationale Zusammenarbeit ein Erfolg oder ein Misserfolg?", "Ist der Antrieb für Entwicklungshilfe Menschenliebe oder sind es wirtschaftliche Interessen?", "Ist die Internationale Zusammenarbeit Opium für die Linke?" und schliesslich "Ist sie Medizin oder Droge?" Für den vorliegenden thematischen "Fijáte!" haben wir diese Artikelserie, erschienen in den Inforpress Centroamericana 1562/-63 und -66, übersetzt und bearbeitet. Ganz im Zeichen des Sommerlochs hat dieser "Fijáte!" nur vier Seiten, frei nach dem Motto "Weniger ist manchmal mehr". Schöne Sommerzeit! Ziel nicht erreicht Im Informe Global de Desarollo Humano 2003, dem Entwicklungsbericht 2003 des UNO-Entwicklungsprogramms UNDP heisst es, dass die offizielle Entwicklungshilfe weltweit zurück gegangen sei. Und zwar in den Jahren zwischen 1999 und 2001 von 0.33% auf 0.22% der durchschnittlichen Bruttoinlandprodukte der Geberländer. Dies ist einiges unter dem sich 1969 selbst gesteckten Ziel von 0.7%. Wenn die Mitglieder des Entwicklunghilfekomitees (Comité de Asistencia para el Desarollo - CAD) der Organisation für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung, OECD, die 21 grössten Geberländer der Welt*, das Ziel der 0.7% einhalten bzw. erreichen würden, wären die offiziellen Entwicklungshilfegelder drei Mal höher als im Moment, nämlich 165 Milliarden US-$. Das UNDP stellt zwar für die Jahre 2001 und 2002 eine generelle Zunahme der Entwicklungshilfegelder fest. Das permanente Nichteinhalten des sich selber gesteckten Ziels von 0.7% des Bruttoinlandprodukts für Entwicklungszusammenarbeit wirft jedoch die Frage auf, ob diese Länder wirklich etwas gegen die Armut und zur Unterstützung der Entwicklungsländer zu tun bereit sind oder ob ihre wirtschaftlichen Interessen nicht über ihren altruistischen stehen. Die "Doppelmoral" der OECD und ihrer Mitgliedsländer wird auch ersichtlich, wenn wir uns die Zahlen etwas genauer ansehen. Im Jahr 2002 haben die CAD-Länder innerhalb der eigenen Landesgrenzen Landwirtschaftssubventionen in Höhe von 311 Milliarden US-$ vergeben, während die Entwicklungshilfegelder sechs Mal weniger, nämlich 52 Millarden US-$ ausmachten. Altruismus oder Interesse? Von den verfolgten Zielen her gesehen können die Länder, die in der Internationalen Zusammenarbeit engagiert sind, in drei Gruppen aufgeteilt werden: 1. Diejenigen Länder, welche in den so genannten Entwicklungsländern die Bedingungen für privatwirtschaftliche Beziehungen, den Handel und die globalisierte Produktion verbessern wollen. 2. Diejenigen Länder, welche in den so genannten Entwicklungsländern eine Stabilisierung bzw. eine Demokratisierung fördern wollen und 3. jene Länder, die sich solidarisch mit den Armen und Marginalisierten zeigen und Transformationsprozesse unterstützen wollen. In der Vergangenheit waren diese drei Typen von Entwicklungshilfe klarer zu trennen gewesen, doch durch die Globalisierung und die verstärkten Beziehungen zwischen den verschiedenen Ländern wird es immer schwieriger zu unterscheiden, ob wirtschafliche Interessen hinter der "Hilfe" stecken oder nicht. In diesem Zusammenhang gibt die schwedische Botschafterin in Guatemala, Maria Leissner, gegenüber Inforpress zu, dass Internationale Zusammenarbeit (IZ) nie aus reiner Menschenliebe getätigt wird, dass immer gewisse, mehr oder weniger wirtschaftlich be- *Mitgliedsländer des CAD sind: Australien, Belgien, Dänemark, Deutschland, die Europäische Union, Finnland, Frankreich, Grossbritannien, Irland, Italien, Japan, Kanada, Korea, Luxemburg, die Niederlande, Neuseeland, Norwegen, Portugal, Schweden, die Schweiz und die Vereinigten Staaten. stimmte Interessen dahinter stehen. "Im Fall von Schweden würde ich sagen, dass die wirtschaftlichen Interessen gering sind, wahrscheinlich geringer als bei den meisten Geberländern. Das liegt daran, dass wir in Schweden eine Bewegung haben, die sich gegen eine Kopplung von Internationaler Zusammenarbeit und wirtschaftlichen Interessen stark macht", meint Leissner. Aus dem UNDP-Entwicklungsbericht 2003 geht klar hervor, dass die in Sachen Entwicklungsgelder grosszügigen Länder nicht immer gleich grosszügig und offen sind, wenn es um Importgüter aus den so genannten Entwicklungsländern geht. Dies ist z.B. der Fall bei den Vereinigten Staaten, die Einfuhrbeschränkungen und sonstige Hindernisse (Hygiene- und Qualtitätskontrollen etc.) für Importprodukte aus anderen Ländern aufgestellt haben. Norwegen hingegen geniesst ein etwas philanthropischeres Image und gehört mit einem Entwicklungshilfegelder-Etat in Höhe von 0.83% des Bruttoinlandprodukts zu den fünf Ländern, welche die 0.7%-Hürde geschafft haben. Doch auch Norwegen, das jährlich rund 12 Mio. US-$ in Form von Entwicklungshilfegeldern an Guatemala vergibt, ist ziemlich restriktiv, was die Einfuhrbedingungen von Produkten aus Guatemala und anderen, sich im "Stadium der Entwicklung befindenen" Ländern betrifft. Guatemala: Internationale Zusammenarbeit in Zahlen Auch wenn sich die Zahlen widersprechen und ein Mangel an Transparenz bezüglich der Gelder der Internationalen Zusammenarbeit herrscht, kann man sagen, dass Guatemala nie ein Land war, das von Entwicklungshilfegeldern überschwemmt wurde. Die Unterstützung, die Guatemala seitens der OECD-Länder erhalten hat, entspricht bloss 1.4% des nationalen Bruttoinlandproduktes (BIP). Im Fall von Honduras macht diese Unterstützung 7.6% des BIP und im Fall von Nicaragua gar 23% aus. Gemäss den Zahlen des UNDPEntwicklungsberichts (die sich von denen der OECD unterscheiden) erhielt Guatemala im Jahr 2001 Unterstützung in Höhe von 225 Mio. US-$. Dies ist zwar mit 19 US-$ pro Person weit über dem lateinamerikanischen und karibischen Durchschnitt (11.4 US-$ pro Kopf) jedoch nichts im Vergleich zu strategisch wichtigen Ländern wie Palästina (261,30 US-$ pro Kopf) oder, in Lateinamerika, Nicaragua mit 178,40 US-$ pro Kopf. Die Entwicklungshilfe-Programme der Geberländer Guatemalas waren in erster Linie auf etwas ausgerichtet, das "offensichtlich schwierig zu verkaufen" ist: Die Umsetzung der Friedensabkommen. Zwischen 1997 und 2001 vergab die Internationale Gemeinschaft rund 1.4 Millarden US$, um den Friedensprozess zu finanzieren. Geld, das, wie es beim 2. Nationalen Gipfel der Zivilgesellschaft für den Frieden im August 2001hiess, die "wichtigste Stütze für die Umsetzung der Friedensabkommen ist". Zweifellos hatte aber die nur teilweise erfolgte Umsetzung der Friedensabkommen einen mehr stabilisierenden denn verändernden Charakter. Mit anderen Worten, der Weg wurde ausgebessert und die schlimmsten Schlaglöcher aufgefüllt, aber es wurde keine neue Strasse gebaut. Fachleute sind sich einig, dass sich die schleichende Verbreitung der Armut zu einer aktiven Gefährdung der Regierbarkeit in Guatemala wandelt. Um diese Gefährdung des Friedensprozesses einzudämmen, unterstützte die Internationale Gemeischaft Projekte zur Armutsbekämpfung und verwechselte dabei das Symptom mit der Krankheit. Solche Massnahmen geben Anlass zu der Vermutung, dass die Internationale Gemeinschaft mehr an einer nationalen Stabilität interessiert ist als an wirklichen strukturellen Veränderungen. "Die Armut ist eine Quelle von Konflikten", meint die schwedische Botschafterin Maria Leissner. "In einem grossen Land wie Guatemala ist sie eine Bedrohung unserer Sicherheit. Auch wenn es nur regionale Konflikte zu sein scheinen, weiss man nie, ob sie nicht doch plötzlich Einfluss haben auf weltweite Konflikte und diese verkomplizieren. Ausserdem gibt es in den entwickelten Ländern KonsumentInnen, die dort glücklich vor sich hin leben. Schweden ist abhängig vom Aussenhandel und deshalb sind wir sehr daran interessiert, dass es keine Diktaturen und keine Menschenrechtsverletzungen gibt in den Ländern, mit denen wir handeln und dass dafür der wirtschaftlichen Fortschritt läuft", ergänzt die Botschafterin. Einer der Gründe, weshalb die Internationale Entwicklungshilfe für Guatemala in den letzten Jahren zurück ging (siehe Tabelle) ist, dass sich das Interesse der Geberländer auf andere Regionen und Konflikte konzentriert. Es gibt aber auch andere Ursachen für den Rückgang der Gelder für die Internationale Zusammenarbeit. Eine davon ist laut Eugenia de Ro- dríguez, verantwortlich für Internationale Zusammenarbeit im regierungseigenen Planungssekretariat (SEGEPLAN), dass auf internationaler Ebene die Meinung herrsche, Guatemala sei langsam "erwachsen" und deshalb nicht mehr auf Unterstützung angewiesen. "Dies ist jedoch leider noch nicht so", erklärte Rodríguez. Ein anderer Grund ist, dass die USA, das Land, das am meisten Entwicklungshilfegelder nach Guatemala schickte, einen Fünfjahresplan verfolgte, der inzwischen abgelaufen ist. Offizielle Entwicklunghilfegelder seitens der OECD an Guatemala Jahr 1997 1998 1999 2000 2001 2002 US-$ in Mio. 212.65 181.66 230.65 230.27 201.18 199.61 Vereinigte Staaten: ALCA und Entwicklungszusammenarbeit Im Falle der USA läuft die Entwicklungszusammenarbeit über die staatseigene Entwicklungsorganisation USAID. Diese führte im Jahr 2002 in Guatemala Programme in Höhe von 53.5 Mio. US-$ durch. Im Jahr 2004 verringerte sich dieser Betrag auf 41.9 Mio. US-$. Die USAID ist dem USAussenministerium unterstellt und entsprechend von dessen wirtschaftlichen Interessen abhängig. In einem Interview mit Inforpress verneinte der Direktor von USAID in Guatemala, Glenn Anders, dass die Entwicklungszusammenarbeit in irgendeiner Form mit dem ganz Amerika umfassenden Freihandelsabkommen ALCA zusammenhinge, da "die Entwicklungszusammenarbeit und die Wirtschaft zwei verschiedenen Departementen unterstellt sind". Daneben stehen die Aussagen des stellvertretenden Administrators für Lateinamerika und die Karibik von USAID, Adolfo Franco, gemäss dem seine Organisation im Jahr 2003 ein neues Projekt unter dem Titel Chancen der Allianzen für Zentralamerika lancierte, welches zum Ziel hat, "die bestehenden regionalen und bilateralen Programme hinsichtlich ihrer Handelskapazitäten zu stärken und auf den ALCA vorzubereiten". Teil der US-amerikanischen Strategie ist, den Freihandel und die Wirtschaftshilfe miteinander zu koppeln, wobei die zweite die erste konditioniert. "Wir haben denjenigen Ländern zusätzliche finanzielle Hilfe zukommen lassen, die sich auf den ALCA vorbereiten wollen und im US-amerikanischen Kongress wird darüber diskutiert, nochmals eine zusätzliche Tranche für diesen Zweck bereit zu stellen", sagt Anders. Nach oben |
Die Vereinigten Staaten und Guatemala haben eine enge wirtschaftliche Beziehung miteinander. Die USA sind das Land, mit dem Guatemala den meisten Handel betreibt (40% der Importe kommen aus den USA und 36% der Exporte gehen dorthin). Zusätzlich versucht der nördliche Nachbar, diese Beziehung zu intensivieren. Das Programm 2004 - 2008 der USAID für Guatemala zielt auf mehr Transparenz in der guatemaltekischen Regierung ab, auf die wirtschaftliche Expansion und auf Investitionen in den Bereichen Gesundheit und Bildung. Für diesen neuen Fünfjahresplan stehen 192.2 Mio. US-$ zur Verfügung. Im Vergleich zu anderen Ausgaben der US-Regierung ist der Beitrag von USAID an Guatemala gering. Im Jahr 2002 z.B. vergab die US-Regierung 848 Mio. US-$ an Subventionen an die Viehzucht-Industrie im eigenen Land, was 24 US-$ pro Kuh ausmachte (es gab zu dieser Zeit 35 Mio. Kühe in den USA). Im Gegensatz dazu kollaborierte USAID im selben Jahr mit 3.6 US-$ pro guatemaltekischer/m BürgerIn. ...und was hat's bewirkt? Zwischen 1996 und 2002 sind gemäss Angaben des SEGEPLAN internationale Entwicklungshilfegelder in Höhe von 1.33 Milliarden US-$ nach Guatemala geflossen. Bezüglich des Impact, also der Wirkung, den dieser Geldfluss hatte, kann laut Juan Alberto Fuentes Knight vom UNDP, welches viele dieser, vor allem aus Europa stammenden Gelder verwaltet, jedoch noch keine Aussage gemacht werden. Sicher habe es Erfolge gegeben, ebenso wie Misserfolge, doch was von beidem überwiege, könne er noch nicht sagen, weil noch keine abschliessende Evaluation vorliege. Als positiv stuft Fuentes Knight die durchgeführten Dialog-Projekte ein, deren Ziel es war, verschiedene Sektoren zusammen zu bringen, ebenso wie die Programme zur Umsetzung der Friedensabkommen. Dieser Prozess könne jedoch noch lange nicht als abgeschlossen betrachtet werden, fügt der UNDP-Vertreter an. Auch die Entwicklungsberichte des UNDP seien erfolgreich gewesen, hätten sie doch zu einer Demokratisierung des Zugangs zu Information beigetragen. Vor allem soziale Organisationen hätten viel von diesen Berichten profitiert, einerseits wegen der Analysen und Statistiken, die sie enthalten, andererseits aber auch, weil die Berichte heikle Themen aufnehmen, wie zum Beispiel die Landfrage oder die Steuerreform. Botschafterin Maria Leissner ihrerseits nennt als einen der Erfolge der schwedischen Entwicklungszusammenarbeit mit Guatemala die Demontage des Präsidialen Generalstabs (EMP) sowie die Schaffung des Sekretariats für administrative Angelegenheiten (SAAS). "Dies ist sicher ein wichtiger symbolischer Beitrag zur Transformation eines Militärstaats in einen demokratischen Staat", bekräftigt die schwedische Diplomatin. Laut Mario Godínez von der Volksorganisation CEIBA war das Ziel der Entwicklungszusammenarbeit in den Jahren 1996 bis 2002 die "Befriedung des Landes", was - und damit ist er sich mit Leissner einig - auch erfolgreich gelungen ist. Unvorhergesehene Fehler Ein grosser Teil des Geldes floss in die institutionelle Stärkung des Staates, wie Leissner erklärt. "Unsere Idee war, die Professionalisierung voranzutreiben und die demokratischen Institutionen des Staates zu stärken, was konkret bedeutet, in die Ausbildung des Personals zu investieren". Wenn es jedoch zu einem Führungs- oder Regierungswechsel kommt, werden die mit den Geldern der internationalen Zusammenarbeit ausgebildeten Staatsfunktionäre entlassen und durch neue ersetzt, womit das Geld mehr oder weniger zum Fenster hinaus geworfen ist. "Es ist ein Irrtum unsererseits zu denken, man könne in eine staatliche Bürokratie investieren, in der alle vier Jahre die guten Leute teilweise oder gänzlich ausgewechselt werden. Dies ist nicht das spezifische Verhalten einer einzelnen Partei, es ist vielmehr ein kulturelles Problem", erklärt Maria Leissner. Godínez hingegen sieht den grössten Fehler der Geberländer darin, dass häufig Geld geschüttet wird, ohne dass ein Dialag mit den Empfängerorganisationen stattfindet, weder vor, während noch nach der Durchführung eines Projekts. "Es muss das gegenseitige Gespräch gesucht werden, Geld darf für den Geber kein Mittel der Macht sein", so Godínez. Seit dem Jahr 2000 habe der Dialog zwischen Geber- und Empfängerorganisationen abgenommen. "Die internationale Zusammenarbeit ist immer enger mit der Handelsliberalisierung verknüpft. Die Programme wollen nicht mehr bloss stabilisieren, sie arbeiten direkt in Funktion des neoliberalen Modelles", erklärt Godínez. Auch Fuentes Knight bestätigt das Problem, dass die internationale Kooperation in den 80er- und Anfang der 90er Jahre zu stark mit einem wirtschaftlichen Wirtschaftsmodell verhängt war, welches auf Stabilisierung, wirtschaftliche Öffnung und Privatisierung setzte. "Das hatte negative Auswirkungen und man hat es sich zu einfach gemacht, indem man glaubte, dies würde automatisch zu Entwicklung führen". Auf der anderen Seite gibt es auch eine historische Dimension. Gemäss Godínez von CEIBA geht es bei der Entwicklungshilfe auch um die Frage der Wiedergutmachung. "Die Vereinigten Staaten und Europa sind noch weit davon entfernt, all das Geld zu bezahlen, das sie unserem Land als Wiedergutmachung zahlen müssten." Medizin oder Droge? Auf die Frage, ob Entwicklungshilfe ein Land schwäche oder stärke, meint UNDP-Vertreter Fuentes Knight, er sehe die internationale Zusammenarbeit vielmehr als ein "Vitamin", eine zusätzliche Stärkung einer nationalen Anstrengung, sie könne jedoch nie die Lösung des Problems sein. "Es kommt auf den Gesundheitszustand des Landes an", meint Fuentes Knight philosophisch. Sicher gebe es Länder, in denen die Entwicklungshilfe zu einer Droge verkommen sei, in afrikanischen Ländern wie z.B. Sierra Leone, wo im Jahr 2001 die Entwicklungshilfegelder 45% des Bruttoinlandprodukts ausmachten. In Guatemala könne es nie soweit kommen, meint Fuentes Knight, weil es in diesem Land ein "gewissen Mass an Würde" gebe. Das Urteil von Godínez zum Thema fällt klar und deutlich aus: "Wenn die Entwicklungshilfe nicht sorgfältig auf das nationale Geschehen abgestimmt ist, ist sie nicht nur Droge, sondern pures Gift." Je mehr desto besser? Die Zahl der nationalen Nichtregierungsorganisationen (NRO) ist in Guatemala während der 90er Jahre ins unermessliche angewachsen, speziell aber nach der Unterzeichnung der Friedensabkommen 1996. Diese NRO haben sich fast ausschliesslich aus Geldern der internationalen Zusammenarbeit fiananziert. 2002 existierten offiziell 420 NRO, davon wurden rund 50%, nämlich 233, in den 90ern gegründet. Diese Angaben sind laut Abel Girón von der Vereinigung der Entwicklungsorganisationen ohne Gewähr, da es in diesem Sektor sehr viel Informalitäten gebe und der Bereich "NRO" unterschiedlich weit gefasst werde. Doch auch Girón bestätigt, dass viele dieser NRO von Entwicklungshilfegeldern abhängig seien und die grosse Herausforderung für sie darin bestehe, selbsttragend zu werden. Eine der Hauptkritiken bezüglich der Finanzierung dieser NRO ist, dass sie oft das Ziel mit den Mitteln verwechseln. Die Finanzierung muss ein Mittel der Organisation sein, um ein spezifisches Ziel zu erreichen. Für viele NRO ist aber die Mittelbeschaffung unterdessen zum Selbstzweck geworden und das Ziel, mit dem die Organization ursprünglich gegründet wurde, rückt immer mehr in den Hintergrund. "Was ist das Ziel, an Geld zu kommen oder die Arbeit zu machen?", fragt sich Wilson Romero, Führungsmitglied der URNG. "Oft sind die NRO wie Fähnchen im Wind und richten sich danach, woher das Geld kommt." Damit verlieren NRO auch ihre Glaubwürdigkeit innerhalb der Bevölkerung, sie wenden sich ab von den Prinzipien, die sie in den 70er- und 80er Jahren prägten: Menschenliebe und Solidarität. "In den 70er Jahren," so Romero, "war das Geld willkommen aber nicht notwendig, denn Freiwilligenarbeit war das Normalste der Welt. Heute gibt es Leute, die an keiner Sitzung mehr teilnehmen, wenn keine Spesengelder bezahlt werden." Kooperation = Aufstandsbekämpfung? In seinem Buch "Ist eine andere Welt möglich?" (09/2003) kommt der Schriftsteller und Akademiker Mario Roberto Morales zu dem Schluss, dass "die politischen Eliten der Geberländer ihre Entwicklungspolitik entsprechend ihrer internen Bedürfisse und Interessen gestalten, mit dem Ziel, hier wie dort mögliche Unruheherde zu löschen und soziale Proteste zu verhindern, die aufgrund ihrer eigenen, neoliberalen Politik entstehen könnten." In seinem Buch bezeichnet Morales die internationale Zusammenarbeit als "aufstandsbekämpfend". Ob das nun so stimmt oder nicht, Tatsache ist, dass mit der Konvertierung der "Linken" zu "NRO-istInnen" (und der entsprechenden finanziellen Abhängigkeit) gesagt werden kann, dass der Staat die einst progressivsten Kräfte "unter Kontrolle" hat. Mit anderen Worten, diese Linken wurden gekauft, und ihr ganzes politisches und emanzipatorisches Potential wird jetzt über die NRO kanalisiert, mit dem Ergebnis, dass auch sie eine mehr stabilisierende denn transformierende Wirkung haben. In der Praxis sieht Mario Godínez von CEIBA einer der Gründe für diese Entwicklung darin, dass es nach dem Ende des bewaffneten Konflikts keine wirkliche Wiedereingliederung gab und viele, der Guerilla nahestehenden Linken sich in die Organisationen der Zivilgesellschaft einklinkten. Wilson Romero spricht eine noch deutlichere Sprache: "Wir haben als URNG bis zur Unterzeichnung der Friedensabkommen finanzielle Unterstützung bekommen, am Tag nach der Unterzeichnung war es damit plötzlich vorbei. Dabei befanden wir uns in einer emminent wichtigen Phase." Der Grund: "Wir gründeten eine politische Partei und die Geberländer dürfen sich nicht in die interne Politik eines Landes einmischen, indem sie eine Partei unterstützen." Dies hatte zur Folge, dass viele GenossInnen oder SympathisantInnen der URNG sich in die Welt der NRO begaben, auf der Suche nach Arbeit und einem Einkommen, denn jeder und jede musste plötzlich selber schauen, wie sie oder er überlebte. "Heute sind wir soweit, dass sich viele Leute von den politischen Prinzipien der URNG abgewendet haben und sich mit der Ideologie ihrer NRO identifizieren." So wendete sich ein wichtiger Teil der politisch denkenden Bevölkerung von der Politik als Mittel des Kampfes ab und versucht, über ihre sozialen Organisationen politischen Einfluss auszuüben. "Meiner Meinung nach ist das ein Irrtum, weil es zu einer Vermischung der Rollen einer sozialen Organisation und einer politischen Partei führt", kritisiert Romero. Laut Godínez ist diese Abwendung eine Folge des Frustes über die politischen Parteien. "Die Parteien sind eine Art Institutionen, sind konjunkturelle Erscheinungen, einzig auf die Wahlen orientiert, und flössen der Bevölkerung keinerlei Vertrauen ein. Demgegenüber sind die Organisationen der Zivilgesellschaft dauerhafter, auf ein längerfristiges Ziel hin orientiert." Ein weiteres Problem der NRO wird von Fachleuten als "Atomisierung des Sektors" beschrieben. Gemeint ist damit, dass die NRO nicht in der Lage sind, sich über ihre eigenen Interessen hinweg als eine gemeinsame Kraft zu artikulieren. Eine Ausnahme hierbei ist der gemeinsam erarbeitete Vorschlag bezüglich des Steuerabkommens. Die Vielfältigkeit der einzelnen NRO, aber auch die Abgrenzung gegenüber anderen Organisationen hat zur Folge, dass die NRO nicht als eine geeinte Kraft auftreten können. Dies hat Doppelspurigkeit und entsprechend finanzielle Kosten zur Folge. "Alle Sektoren führen ihren eigenen Kampf: Die BäuerInnen-Bewegung für sich allein, die BewohnerInnen der Armenviertel für sich allein, die LehrerInnen für sich allein. Zwar gibt es gemeinsame Sitzungen und Erklärungen, aber einen gemeinsamen Kampf gibt es nicht", erklärt Romero. Er sieht einen klaren Zusammenhang zwischen der finanziellen Abhängigkeit von der Internationalen Gemeinschaft und der Zunahme und gleichzeitigen Zersplitterung der NROSzene. Die Frage ist, wieweit die Internationale Zusammenarbeit diese Atomisierung geradezu gefördert hat? "Dies ist schwierig zu sagen. Sicher gibt es Fälle, bei denen internationales Geld eine Einheit erzeugen konnte, in anderen Beispielen hat dieses Geld sicher zu einer Spaltung geführt." Für Romero sind die NRO nicht gerade das "Opium der Linken" doch müsse man sich ernsthaft fragen, ob sie nicht ein Ersatz für politisches Handeln seien. Und noch etwas bissiger ausgedrückt: "Ich schliesse nicht aus, dass es sich ein wichtiger Sektor im NRO-Bereich bequem macht. Man hat fixe Arbeitszeiten, abends um sechs ist Feierabend, das Wochenende ist frei, das Einkommen gesichert, und wenn der Geldgeber als Bedingung stellt, dass man sich nicht in Politik einmischt, ist man auch dazu gerne bereit." |
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