Gewalt gegen Mädchen und Jungen
Fijáte 356 vom 29. März 2006, Artikel 6, Seite 5
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Gewalt gegen Mädchen und Jungen
Guatemala, 25. März. Es braucht offenbar erst medienwirksame Vorfälle, um die Öffentlichkeit auf Geschehnisse in ihrem nahen Umfeld aufmerksam zu machen. So ein Ereignis in der letzten Woche, bei dem es zu einem bewaffneten Angriff auf eine Gruppe von SchülerInnen kam, die sich vor ihrer Schule, einer privaten Einrichtung, aufhielten. Ein Elfjähriger kam dabei ums Leben. Grund für den Überfall war, dass Mitglieder von Jugendbanden (maras) diese - wie viele andere private Lehrinstitutionen - Schule erpressten und "Steuern" forderten, die die Lehranstalt jedoch nicht bezahlt hatte. Nicht erst seitdem die Kinderschutzorganisation Casa Alianza in Guatemala aktiv ist und auf Gewaltverbrechen gegen Minderjährige aufmerksam macht, ist dieser Sektor der Gesellschaft einer der verletzlichsten und ungeschütztesten, sind doch in vielen Fällen die Eltern oder Erziehungsberechtigten TäterInnen oder zumindest Mitwissende von Missbrauch und Vergewaltigung ihrer Schutzbefohlenen, begangen oft von Personen aus dem nahen Bekannten- und Familienkreis. Und Polizeikräfte sind in vielen Fällen die Mörder von Kindern, die auf der Strasse leben. Doch anstatt, dass es endlich zu einem weitgreifenden Schutzprogramm inklusive Gerichtsprozess gegen die vornehmlich männlichen Täter kommt, die sich an Mädchen und Jungen vergehen, stürzen sich die Medien lieber auf die im Vergleich sehr wenigen, dafür aber skandalträchtigeren Fälle, in denen sich Kinderfrauen an den ihnen anvertrauten Minderjährigen vergreifen und in kürzester Zeit verurteilt werden. Immerhin ist in der letzten Zeit offenbar das Verantwortungsbewusstsein bei den Erwachsenen gestiegen, die sich im Umfeld von missbrauchten oder misshandelten Kindern befinden, was sich im Anstieg der Klagen abzeichnet, die im letzten Jahr bei der zuständigen Abteilung des Menschenrechtsprokurats (PDH) eingereicht wurden. Dabei sind es meist NachbarInnen oder Grosseltern, jedoch in den seltensten Fällen die Eltern selbst, die Anzeige erstatten. Die zuständige Abteilung der Staatsanwaltschaft erhalte monatlich 45 Anzeigen über sexuelle Missbräuche an Jugendlichen. Laut Angaben dieser Instanz hat es in den ersten drei Monaten dieses Jahres bereits 180 eingeleitete Verfahren wegen sexuellen Missbrauchs gegen Minderjährige gegeben, von einer Verurteilung ist derweil nichts zu lesen. Ausserdem werden in den meisten Fällen die Anzeigen wieder zurückgezogen, da es neben dem Büro, das diese entgegennimmt, keine spezielle Ermittlungsabteilung für Verbrechen an Minderjährigen innerhalb der Staatsanwaltschaft gibt, so dass die Eltern die Klagen aus Schuld- oder/und Schamgefühlen wegen dem, was ihren Töchtern und Söhnen zugestossen ist, zurücknehmen. Immer noch schwebt jener Gesetzesartikel in der Suspension, laut dem ein Vergewaltiger seiner Strafe entgehen kann, indem er das Opfer (über 14 Jahre) heiratet. Nach oben |
Mit der Eskalation der allgemeinen Gewalt und Kriminalität im Land hat auch die Gewalt gegen Mädchen und Jungen erschreckendes Ausmass angenommen. Gemäss Angaben der PDH werden derzeit im Schnitt 2 Kinder am Tag umgebracht, im vergangenen Jahr zählte Casa Alianza allein in der Hauptstadt 534 ermordete Minderjährige. Angesichts der allgemeinen Ermittlungspassivität von Seiten der Autoritäten verwundert es kaum, dass keiner dieser Fälle einer erfolgreichen Untersuchung unterliegt. Ähnlich wie vor wenigen Jahren der Anstieg der Morde an Frauen dazu führte, dass aus der Beschäftigung mit dem Phänomen heraus Konzepte wie Feminzid und Feminicidio - der Mord an Frauen als spezifisches Pendant zum nichtgeschlechtlichen Mordbegriffs des Homicidio und die Indifferenz gegenüber diesen speziellen Verbrechen und somit Akzeptanz von Seiten der zuständigen Autoritäten, respektive - erarbeitet wurden, ist jetzt in Guatemala bereits vom Infanticidio, also dem etablierten, vorsätzlichen Mord an Mädchen und Jungen, die Rede. Im letzten Jahr wurde der 13. März vom Kongress als Tag gegen Gewalt gegen Minderjährige deklariert im Gedenken an den Tod des auf der Strasse lebenden Nahamán Carmona (14), der 1990 von fünf Polizisten erschossen worden war. In diesem Jahr begingen Mädchen und Jungen das erste Mal diesen Tag mit einer Demonstration in der Hauptstadt und forderten von den Autoritäten die Beseitigung der häuslichen Gewalt, der Arbeits- und sexuellen Ausbeutung sowie die Förderung eines Gesetztes zum integralen Schutz dieser Gesellschaftsgruppe. |
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