Vorausgehende Schatten über dem neuen Verfassungsgericht
Fijáte 357 vom 12. April 2006, Artikel 7, Seite 5
Original-PDF 357 --- Voriges Fijáte --- Artikel Nr. 1 - 2 - 3 - 4 - 5 - 6 - 7 - 8 - 9 --- Nächstes Fijáte
Vorausgehende Schatten über dem neuen Verfassungsgericht
Guatemala, 06. April. Ab dem 14. April ist für die nächsten fünf Jahre die Belegschaft des Verfassungsgerichts (CC) neu zusammengewürfelt, bestehend aus je einer/m RepräsentantIn und deren/dessen StellvertreterIn von fünf Instanzen: dem Kongress, der Exekutive, dem Höchsten Gerichtshof (CSJ), der Anwalts- und Notarkammer (CANG), sowie des Oberen Universitätsrats (CSU) der Universität San Carlos (USAC). Aufgrund einer studentischen Anfechtung der Wahl des CSU-Repräsentanten, Mario Ramírez Pérez Guerra, der sich mit einer Stimme gegen den Gegenkandidaten Héctor Efraín Trujillo Aldana durchsetzte, wurde dem Dekret, mit dem die neun neuen, nicht belangten VerfassungsrichterInnen ernannt werden, ein vorläufiger Status verliehen, bleibt doch, solange der CSU-Fall nicht geklärt ist, der bisherige Universitätsvertreter Cipriano Soto Tobar im Amt. Die Pro-Justiz-Bewegung, die aus der Myrna Mack-Stiftung, dem Institut für vergleichende Studien im Strafrecht (IECCP), der Vereinigung Madres Angustiadas und den FreundInnen gegen das Verbrechen und die Entführung besteht, stellte schon Wochen vor den Institutionsinternen Wahlen der VerfassungsrichterInnen ihre Forderungen auf: Die KandidatInnen sollten sich neben professioneller Excellenz auszeichnen durch Ethik, Legitimation durch ihr Gremium sowie Neutralität und somit die Voraussetzungen mitbringen, das Image dieser Rechtsinstanz zu retten. Dieser wird hinsichtlich der letzten fünf Jahre nicht nur parteipolitische Affinität, sondern auch extreme Langsamkeit von Prozessen und Undurchsichtigkeit von Resolutionen vorgeworfen. Das Beispiel schlechthin sowohl für die Verfassungswidrigkeit so mancher Entscheidung als auch der Parteilichkeit, ist das Urteil des CC, das 2003 Efraín Ríos Montt die Präsidentschaftskandidatur ermöglichte, obwohl laut Verfassung niemand kandidieren darf, der in einen Putsch verwickelt war. Aufgrund dieses Entscheides wurde jener Cipriano Soto Tobar vom CSU als persona non grata deklariert und eigentlich aus dem heurigen Wahlprozess ausgeschlossen, hatte er doch eine Wiederwahl angestrebt. Obwohl sich die Wahlgremien vermeintlich der Transparenz des Prozesses verschreiben wollten, indem die Namen der KandidatInnen im Vorfeld publik gemacht und Zentren geöffnet wurden, wo Anzeigen von Anomalien entgegengenommen wurden, entpuppte sich die Wahl als Ergebnis von Kungeleien und persönlicher Neigung der Wählenden. Lediglich der CANG wird tatsächlich Transparenz versichert. Deren Präsidentin, Yolanda Pérez, hob als wünschenswerte Charakteristika der CC-KandidatInnen hervor, dass sie neben Verfassungsrechtlicher und Arbeitserfahrung sich dem Land und der Demokratie ethisch verpflichtet fühlen sollten. Dass manches Curriculum weder diesen Ansprüchen noch denen der Pro-Justiz-Bewegung entspricht, sei an einigen Exempeln statuiert. Dem derweil unterlegenen Gegenkandidaten im Universitätsrat, Trujillo Aldana, der von der Einspruch erhebenden Studierendengruppe favorisiert wird, hängt ein Ermittlungsprozess wegen mutmasslicher Beteiligung am Millionenbetrug im Sozialversicherungsinstitut (IGGS) an. Der letztendlich nicht gewählte Jurist Rolando Segura, der für den Obersten Gerichtshof (CSJ) kandidierte, wird als einer jener Steineleger betrachtet, der den Justizprozess gegen die Militärs behinderte, die als die intellektuellen Verantwortlichen für den Mord an der Anthropologin Myrna Mack 1991 gelten. Die als Repräsentantin des CSJ gewählte Gladis Chacón Corado hat zwar als CSJ-Abteilungsleiterin Erfahrung, kann aber verwaltungsrechtlich nichts nachweisen, was sie für ihren neuen Job qualifizieren würde. Ein weiterer grauer Schatten liegt auf der Wahl Chacóns, die im Vorhinein offenbar bereits festgelegt, also nicht demokratisch gewählt wurde. Nach oben |
Auch ein anderer, nun gewählter ehemaliger CSJ-Richter, wird von den BeobachterInnen in Frage gestellt: Rodrigo Pineda Sánchez, ausgesuchter stellvertretender Verfassungsrichter von Seiten des Kongresses, war 2003 der einzige des Höchsten Verfassungsgerichts, der sich für die Kandidatur Ríos Montts aussprach. So kann sich die Wahl im Kongress auch nicht wirklich der Transparenz rühmen. Vielmehr handelte es sich um einen direkten CC-Repräsentanten-Handel zwischen der Regierungspartei Grosse Nationale Allianz (GANA) und der Republikanischen Front Guatemalas (FRG). Letztendlich wurden mit 88 Stimmen von GANA, FRG, den Integracionistas, den Unionistas und der Partei DIA Alejandro Maldonado Aguirre, Abgeordneter der Unionistas, als erster und eben Pineda Sánchez als stellvertretender CC-Richter gewählt. Die oppositionellen Kongressabgeordneten verliessen als Ausdruck ihres Unmuts noch vor der Wahl den Saal. Von Seiten der Anwalts- und Notarkammer wurden Juan Francisco Flores Juárez, aktueller CC-Präsident, und Carlos Enrique Luna Villacorta, sein aktueller Stellvertreter, als "Erster" und "Zweiter" respektive wiedergewählt. (Der Vorsitz im Verfassungsgericht geht Jahresweise automatisch reihum.) Die Exekutive entsendet Roberto Molina Barreta, derzeitiger Nationaler Generalprokurator und Mitglied des Zentrums für die Verteidigung der Verfassung, sowie José Quesada Fernández, von 1999 bis 2005 Präsident des Obersten Gerichtshofes, ins Verfassungsgericht. Die neue Equipe übernimmt ein schweres Erbe. Gemäss dem CC-Sekretariat hinterlässt die ausscheidende CC-Mannschaft mindestens 65 Prozessakten, die gesellschaftliche Relevanz haben. Darunter befindet sich der von der Zivilgesellschaft eingereichte Einspruch gegen den Freihandelsvertrag zwischen den USA und Zentralamerika (TLC), der Prozess gegen den Ex-Bankier Francisco Alvarado Macdonald, der Prozess gegen Álvaro Colóm, der Betrugsfall im Sozialversicherungsinstitut (IGGS), der Fall des Mordes an Bischof Gerardi und einige Aktionen des Menschenrechtsprokurats (PDH). |
Original-PDF 357 --- Voriges Fijáte --- Artikel Nr. 1 - 2 - 3 - 4 - 5 - 6 - 7 - 8 - 9 --- Nächstes Fijáte