Fortschritte auf dem Papier - Diskriminierung im Alltag
Fijáte 356 vom 29. März 2006, Artikel 4, Seite 4
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Fortschritte auf dem Papier - Diskriminierung im Alltag
Guatemala 21.März. Anlässlich des Internationalen Tages gegen Rassistische Diskriminierung diskutiert auch Guatemala wieder einmal über die Frage des Rassismus und der Diskriminierung der indigenen Bevölkerung im Land. Gleich zwei Gremien der Vereinten Nationen lieferten in aktuellen Berichten Diskussionsstoff: Das UN-Entwicklungsprogramm (UNDP) mit seinem jährlichen "Bericht zur menschlichen Entwicklung" und das UN-Komitee für die Beendigung von Rassistischer Diskriminierung mit seinem zweijährlichen Länderbericht. Beide Berichte weisen zwar auf erste Fortschritte in der Administration und Rechtsprechung hin, benennen aber weiterhin eine lange Liste von Verfehlungen des guatemaltekischen Staates, die zu fortlaufender Diskriminierung der indigenen Völker besonders in den ländlichen Gebieten beitrügen. In der UNDP-Studie "Ethnisch-kulturelle Vielfalt, die BürgerInnenschaft in einem pluralistischen Staat" wird der Abbau von existierenden Ungleichheiten in wirtschaftlichen, politischen, rechtlichen, kulturellen und sozialen Bereichen als Schlüsselaufgabe für die Verbesserung der menschlichen Entwicklung bezeichnet. Die zumeist marginalisierten ethnischen Gruppen sollten daher in einem Demokratisierungsprozess die Möglichkeiten erhalten, ihre eigenen Fähigkeiten und Wertvorstellungen weiterzuentwickeln. Der Staat müsse den Zugang dieser Gruppen zur wirtschaftlichen Entwicklung, zu Land und natürlichen Ressourcen, aber auch zu sozialen Dienstleistungen, zu Rechtsprechung und physischer Sicherheit ermöglichen. Beleidigungen in der Schule und auf der Strasse, Entscheidungen über Arbeitseinstellungen und -kündigungen, die selektive Ernennung für öffentliche Ämter, sind nicht nur theoretische Beispiele, die UN-Generalsekretär Annan benennt, sondern tagtägliche Lebenssituation für den Grossteil der guatemaltekischen Bevölkerung. Und die Appelle der internationalen Gemeinschaft sind seit Jahren die gleichen, eine grundlegende Änderung im Denken und Verhalten der guatemaltekischen Bevölkerung und der Institutionen ist nicht zu erkennen, von ernsthaften Anstrengungen in diese Richtung ganz zu schweigen. Mit Pomp publizierte Einzelaktionen, wie die einmalige Anstellung von 200 indigenen Angestellten im öffentlichen Dienst oder das bislang einzige Urteil wegen rassistischer Beleidigung gegen Angehörige der Republikanischen Front Guatemalas (FRG), die sich im Justizgebäude gegen die bekannteste guatemaltekische Angehörige des Maya-Volkes Quiché, Rigoberta Menchú, diskriminierend ausgelassen hatten, bedienen derweil lediglich das Minimum an Zugeständnis hinsichtlich internationaler Forderungen, ohne langfristige Verpflichtung oder gar Engagement. Blanca Estela Alvarado von der Präsidialen Kommission gegen Diskriminierung und Rassismus gegenüber den indigenen Völkern (CODISRA) stimmte der Studie der UNDP zu. Das grösste Problem für die indigenen Völker seien weiterhin die extreme Armut, in der sie leben, sowie die fehlende Mitwirkungsmöglichkeit in vielen Bereichen des Lebens. In dieser Hinsicht müsse sich einiges ändern. Die Anthroprologin Irma Alicia Velásquez Nimatuj, ebenfalls eine Maya-Quiché, weist daraufhin, dass die Angehörigen der Maya-Völker sowie die Xinca und Garífuna in Guatemala 60 Prozent der Gesamtbevölkerung ausmachten, jedoch vielfältigen Diskriminierungen ausgesetzt seien sowie einer extremen wirtschaftlichen Ausbeutung, einem strukturellen Rassismus und einer Marginalisierung ihrer Kultur. Selbst wenn es Gesetze gebe, die formal indigene Rechte garantiere, so würden diese noch lange nicht praktisch umgesetzt, da sich das Rechtssystem an den Eliten ausrichte. In eine ähnliche Stossrichtung zielen auch weite Passagen des Länderberichtes des UN-Komitees für die Beendigung von Rassistischer Diskriminierung. "Die Verhaltensweisen der Geringschätzung und Ablehnung der indigenen Bevölkerung sind in vielen Sektoren verbreitet", erklärte Alexei Avtonomov, der in dem Komitee für Guatemala zuständig ist, bei der Vorstellung des Länderberichtes. Nach oben |
Zwar erwähnt die Studie diplomatisch einzelne positive Entwicklungen im Lande. Dabei nennt sie die institutionelle Einrichtung der Präsidialen Kommission gegen Diskriminierung und Rassismus gegenüber den indigenen Völkern (CODISRA) sowie der Kommission "Defensoría der indigenen Frau", die im Präsidialamt für Menschenrechte eingerichtet wurden. Weiterhin wurde positiv die gesetzliche Umsetzung der Friedensabkommen erwähnt, insbesondere das "Abkommen über die Identität und Rechte der indigenen Völker". Mit "Umsetzung" ist in diesem Fall offenbar der Akt gemeint, mit dem die Friedensverträge im August vergangenen Jahres in einem Rahmengesetz verankert wurden, da sie als blosse firmierte Staatsverträge links liegen gelassen und in vielen Fällen sogar gänzlich missachtet wurden. (siehe ¡Fijáte! 341) Die in Aussicht gestellte rechtliche Anerkennung des indigenen Rechtssystems auf Gemeindeebene, die Anerkennung indigener Verwaltungsebenen in den Bestimmungen der Munizipalverwaltung sowie einige Gesetze über Maya-Sprachen und bilinguale Erziehung wurden ebenso herausgestellt. Die Aufzählung der negativ bewerteten Punkte in dem Bericht zeigt, dass die genannten Verbesserungen sich wenig auf den Alltag der indigenen Bevölkerung insbesondere auf dem Lande auswirken. Die AutorInnen des Berichtes vermissen weitere rechtliche Bestimmungen zur Bestrafung von diskriminierenden und rassistischen Verhaltensweisen, aber auch die praktische rechtliche Unterstützung der indigenen Bevölkerung, beispielsweise dadurch, dass auf allen Verwaltungsebenen die "richtigen" ÜbersetzerInnen in genügender Zahl zur Verfügung stehen. Weiterhin kritisiert die UN-Kommission unter anderem das Energieministerium, weil es Konzessionen vergebe, ohne die betroffenen indigenen Gemeinden in den Entscheidungsprozess einzubeziehen, wie es nicht nur laut der von Guatemala ratifizierten Konvention 169 der Internationalen Arbeitsorganisation (ILO) Standard sein müsste. Auch in der Landfrage übt der Bericht Kritik an der Regierungspolitik und -haltung hinsichtlich der Rechte der indigenen Bevölkerung, in dem er beispielsweise die Markierung von indigenem Land und die Legalisierung von besetzten oder seit langem von Indígenas bewohnten Fincas einfordert. Schliesslich werden auch die mangelnde Partizipation in Parteien und im Kongress, die geringen Veränderungen bezüglich der hohen AnalphabetInnenrate insbesondere unter indigenen Frauen in ländlichen Gebieten und der mangelhafte Zugang zu den Kommunikationsmedien kritisiert. Offiziell hat sich Präsident Berger nicht zu dem zum Teil klaren Urteil der UN geäussert. Sein persönliches Engagement am Tag gegen Rassendiskriminierung am 21. März beschränkte sich auf eine öffentlich übertragende Telefonkonferenz mit dem UN-Beauftragten gegen Diskriminierung und Rassismus, Doudou Diéne. Der Internationale Tag gegen Rassendiskriminierung erinnert an das Massaker von Sharpville 1960 während der Apartheid in Südafrika. |
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