guatemala.de > Guatemalagruppe Nürnberg e. V. > Fijate
Fijáte
 

Die katholische Kirche stärkt ihre soziale Linie

Fijáte 357 vom 12. April 2006, Artikel 1, Seite 1

PDF Original-PDF 357 --- Voriges Fijáte --- Artikel Nr. 1 - 2 - 3 - 4 - 5 - 6 - 7 - 8 - 9 --- Nächstes Fijáte

Die katholische Kirche stärkt ihre soziale Linie

Konservative Moral

Gegenüber der aktiven und progressiven Einstellung in sozialen Themen, welche die guatemaltekische und überhaupt die lateinamerikanische Kirche auszeichnet, ist die kirchliche Position in moralischen Fragen nicht gerade fortschrittlich. Dies geben auch alle von Inforpress befragten Kirchenmänner zu, vor allem, wie Tomás García konkretisiert, wenn es ums Thema Sexualität geht. Dies hat sich in der jüngsten Debatte um das Familienplanungsgesetz gezeigt, gegen das sich die Bischofskonferenz vehement ausgesprochen hat.

"Im Sozialen ist die Kirche offen, engagiert, aber im moralischen ist sie konservativer. Ich habe sogar festgestellt, dass die VGKatholikInnenNF, die im sozialen Bereich am engagiertesten sind, in moralischen Fragen oft am verschlossensten sind. Für mich ist das fragwürdig. Wir dürfen nicht dogmatisch sein, wir dürfen nicht einer Diktatur der Dogmen verfallen", erklärt Fernando Bermúdez.

Ricardo Bedaña dazu: "Wir sind TraditionalistInnen. Es gibt eine Art geistigen Konvervatismus. Es gibt Dinge, über die nicht verhandelt werden kann, wie zum Beispiel Abtreibung, aber auch hier findet eine gewisse Öffnung statt, z.B. beim Thema Scheidung. Hier scheinen die Bischöfe fortschrittlicher zu sein als die Gläubigen. Junge SeminaristInnen haben heute die Tendenz, konservativer zu sein als frühere Generationen."

Und die Befreiungstheologie?

1976 haben die Bischöfe in Guatemala ihr traditionelles Schweigen gebrochen und mit ihrem Hirtenbrief "Gemeinsam für Hoffnung" eine anklägerische Richtung eingeschlagen. Damit brachen sie die konservative und traditionelle Allianz mit der Macht, verkörpert bislang durch Bischof Rossell, der den Sturz von VGJacobo ArbenzNF befürwortete, und Bischof Casariego, der explizit verbot, über irgend etwas im Zusammenhang mit "sozialer Gerechtigkeit" zu sprechen.

Seit 1976 und speziell seit dem Tod von Casariego im Jahr 1983, erhebt die Kirche immer und immer wieder ihr Wort zur Situation des Landes. Ein Höhepunkt ist der Hirtenbrief im Jahr 1988, "Clamor por la Tierra", wo sie das Landthema aufnimmt und die ungerechte Landverteilung anprangert.

Diesen Bewusstseinsprozess musste die guatemaltekische katholische Kirche in Form von Verfolgungen und Ermordungen von Pfarrern und Katecheten teuer bezahlen. Die Anzahl der wegen ihres christlichen Glaubens Ermordeten führte dazu, dass die Kirche als eine Märtyrerkirche bezeichnet wurde. Durch Gewalt zum Schweigen gebracht und wegen der Verfolgung, der diese Doktrin durch den Vatikan ausgesetzt ist, verliert die Befreiungstheologie an Kraft und wird in den Hintergrund verdrängt.

Als ein "Thema vergangener Jahre" bezeichnet der Bischof von VGEscuintlaNF, Víctor Hugo Palma, diese Linie. Heute habe sich das Konzept der Befreiungstheologie weiterentwickelt, man spreche von einer Theologie der Solidarität.

Viele der Befragten sind der Meinung, die Befreiungstheologie sei überhaupt nicht verschwunden, im Gegenteil, sie sei noch sehr präsent im Gedankengut der lateinamerikanischen Kirche. Gemäss Santiago Otero gehört sie zu den wichtigsten Prinzipien vieler Kirchen. Wenn die Realität sich nicht verändert, ist die Befreiungstheologie aktueller denn je, auch wenn man sie nicht so nennt", erklärt Otero.

"Der Name ist das Geringste. Wir sprechen nicht von Befreiungstheologie, wir leben sie", bestätigt Ramazzini.

Unterschiede und Gemeinsamkeiten

Während Jahrzehnten, während Jahrhunderten, gab es innerhalb der katholischen Kirche verschiedene Tendenzen und Arten, die Religion zu verstehen. Es sind Strömungen, die in groben Zügen in "progressiv" und "konservativ" unterteilt werden können. Unterschiede die, wie einige Theologen gegenüber Inforpress erklären, auch heute nicht ganz verschwunden sind, die sich aber im Laufe der Zeit angeglichen und ausgeglichen haben. Heutzutage würden die Gemeinsamkeiten mehr gewichtet als die Unterschiede. Uneinigkeit herrscht darüber, wie viele Vertreter der Kirchenhierarchie die Linie der Bischofskonferenz wirklich gutheissen.

Víctor Hugo Palma spricht von Haltungen, nicht von Tendenzen. Die Unterteilung in progressiv und konservativ genüge nicht als Erklärung, einige Kirchenleute seien in gewissen Fragen offener, in anderen nicht. Man dürfe das nicht verallgemeinern. Als Beispiel nennt er Bischof Romero aus VGEl SalvadorNF, der dem Opus Dei nahe gestanden habe.

Gemäss Víctor Ruano zeichnet sich die aktuelle Bischofskonferenz durch die Vielfalt der darin vertretenen Tendenzen aus, auch wenn sich diese nicht öffentlich ausdrücken. Dasselbe könne man von der Vereinigung der Religiösen Guatemalas (VGCOFREGUA) sagen, ebenso von den laizistischen Vereinigungen. Einige verfolgen mehr die Doktrin, andere machen sich für die Benachteiligten stark, wieder andere konzentrieren sich auf die Inkulturation oder auf Befreiungsprozesse.

Bendaña ergänzt, dass die guatemaltekische Kirche stark, aber gleichzeitig sehr zersplittert sei. Der konservative Sektor sei gewichtig, aber wenig einflussreich in der Bischofskonferenz.

Als konservativer Sektor werden u.a. Bewegungen wie der Opus Dei, die Heraldos de Díos ("Herolde Gottes") und die Neokatechumen (Kikos, nach ihrem Begründer Kiko Argüello benannt, die überwiegend die Erwachsenentaufe vornehmen), ebenso die Charismatische Erneuerung.

Zu den einigenden Gemeinsamkeiten der katholischen Kirche gehören laut Bendaña die gemeinsame 500-jährige Geschichte, die Papsttreue, die Hierarchie, die Verehrung der Jungfrau Maria und, zu einem gewissen Grad, die protestantische Herausforderung. Ein Protestantismus der sich, in seiner neuapostolischen Version, in Guatemala stark ausgebreitet hat mit einer Botschaft, die Erlösung ohne soziales Engagement verspricht. Diese neuen Strömungen machen dem Katholizismus ihren traditionellen Platz streitig und ziehen auch immer mehr konservative Sektoren an, während die katholische Kirche mehr die sozial denkenden Sektoren vereint.

Unabhängig von Tendenzen, Spaltungen und Widersprüchen kann nicht geleugnet werden, dass die katholische Kirche in der Lage gewesen ist, sich den Veränderungen der Zeit anzupassen und eine enorme Wandlungsfähigkeit an den Tag zu legen.


PDF Original-PDF 357 --- Voriges Fijáte --- Artikel Nr. 1 - 2 - 3 - 4 - 5 - 6 - 7 - 8 - 9 --- Nächstes Fijáte