Weder Schutz noch Gerechtigkeit
Fijáte 365 vom 2. August 2006, Artikel 1, Seite 1
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Weder Schutz noch Gerechtigkeit
Am 18. Juli veröffentlichte die Menschenrechtsorganisation Amnesty International (AI) die Ergänzung zu ihrem vor einem Jahr herausgegebenen Bericht "Weder Schutz noch Gerechtigkeit" über die Frauenmorde in Guatemala. Wir veröffentlichen an dieser Stelle eine Zusammenfassung und ein Interview mit dem Autor des Berichts. Der vollständige Bericht ist auf Englisch zu finden auf: http://web.amnesty.org/library/Index/ENGAMR340192006 Soviel sei vorweggenommen: Viel Neues bringt das nun veröffentlichte "Update" nicht. Nichtsdestotrotz ist es wichtig, dass solche Berichte überhaupt erscheinen und die zunehmenden Frauenmorde nicht einfach hingenommen bzw. zu den Akten gelegt werden. Bereits vor einem Jahr präsentierte Amnesty dem Präsidenten Oscar Berger und den zuständigen guatemaltekischen Behörden einen 14 Punkte umfassenden Empfehlungskatalog, von denen in einigen Fällen erste Umsetzungsschritte unternommen wurden, die jedoch noch weit von den erwarteten Massnahmen entfernt sind und die in keiner Weise dem Ausmass und der Schwere des Problems entsprechen. In den vergangenen vier Jahren hat die Anzahl der Morde an Frauen (und an Männern) beständig zugenommen, ohne dass sich die Regierung um effiziente Untersuchungen oder Bestrafungen kümmert. Seit dem Jahr 2001 wurden über 2200 Mädchen und Frauen auf brutalste Weise umgebracht. Über die genaue Anzahl gibt es kontroverse Daten, Staatsanwaltschaft, Polizei und Frauenorganisationen verfügen über unterschiedliche Zahlen. Allein im Jahr 2005 waren es gemäss Angaben der Polizei 665 und in der ersten Jahreshälfte 2006 bereits 321. Es sei schwierig, sich ein klares Bild des Ausmasses der Gewalt gegen Frauen zu machen oder eine eindeutige Täterschaft zu identifizieren, heisst es in dem AI-Bericht, da man über zu wenig Informationen über geschlechterspezifische Gewalt im Allgemeinen und über die individuell erlebte Gewalt der Opfer vor ihrer Ermordung habe. Entsprechend unterschiedlich (und politisch opportun) sind denn auch die Erklärungsmuster darüber, weshalb dieses Problem so massiv und zunehmend ist. Geschlechtsspezifisch an den verübten Morden ist zum Beispiel, dass rund 80% der Männer mit Schusswaffen getötet werden und kein vorheriger körperlicher Kontakt zwischen Opfer und Täter bestand. Bei Frauen ist nur in 69% der Fälle eine Schusswaffe, bei 31% der Ermordungen ist physische Gewalt die Todesursache (Erwürgen, Erstechen, Erschlagen), in zahlreichen Fällen werden die Frauen vor ihrer Ermordung vergewaltigt und/oder verstümmelt. Gemäss einem Bericht der guatemaltekischen Ombudsstelle für Menschenrechte ist der Unterschied zwischen Männermorden und Frauenmorden, dass "Frauen vor ihrem Tod mehr leiden müssen als Männer". Ein Grund für die Zunahme von Morden sowohl an Frauen wie an Männern, ist gemäss Amnesty-Bericht die herrschende Straflosigkeit (siehe nachfolgendes Interview mit Sebastián Elgueta). Der Bericht dokumentiert diverse Fallbeispiele aus denen hervorgeht, wie diskriminierend und schwierig es für die Familienangehörigen der ermordeten Mädchen und Frauen ist, von den zuständigen Behörden ernst genommen zu werden und zu ihrem Recht zu kommen. "Die Straflosigkeit hat meine Tochter umgebracht", ist die Schlussfolgerung eines Vaters, der davon überzeugt ist, dass sich die Mörder zum Morden animiert fühlen allein schon durch die Tatsache, dass sie nicht zur Rechenschaft gezogen werden für ihre Taten. Ein grosses Problem ist dabei das Fehlen jeglicher Ressourcen, um eine angemessene Untersuchung durchzuführen, angefangen bei der Spurensicherung am Tatort bis zu den Zeugenvernehmungen, die oftmals erst Monate nach der Tat erfolgen. Gründe dafür sind die unkoordinierte Zusammenarbeit zwischen Staatsanwaltschaft und Polizei, aber auch, im Falle der ZeugInnenaussagen, die Angst der Angehörigen vor weiteren Repressalien und das Unvermögen der Polizei, ZeugInnen zu schützen. So sind z.B. die Familienangehörigen einer ermordeten Studentin, nachdem sie am 25. November 2005, dem Internationaler Tag gegen Gewalt gegen Frauen, an einer Demonstration teilnahmen und ihr Foto in einer der guatemaltekischen Tageszeitungen erschien, kurz darauf von Unbekannten bedroht worden. Nach oben |
Im Update-Bericht von Amnesty International werden verschiedene Fallbeispiele zitiert, die deutlich machen, mit welcher Verachtung gegenüber den Opfern die Untersuchungen von Frauenmorden zum Teil durchgeführt werden. So werden zum Beispiel Untersuchungen eingestellt, sobald festgestellt wird, dass die ermordete Frau eine Sexarbeiterin war oder wenn offensichtlich ist, dass Polizeikräfte in die Ermordung involviert waren, was keine Seltenheit ist. Obwohl die Polizei gegenüber Amnesty International aufgrund des vor einem Jahr vorgelegten Berichts versicherte, man wolle eine Datenbank mit Informationen über vermisste Frauen und Mädchen einrichten, um diese mit den unidentifizierten Todesopfern abgleichen zu können, gibt es bis heute keine entsprechenden brauchbaren Informationen. Von den 176 Morden, die in den ersten drei Monaten des Jahres 2006 begangen wurden, konnte bei der Autopsie bloss bei einem Viertel der Frauen die Identität festgestellt werden. Als eine eher makabre "präventive" Massnahme begann die polizeiliche Dienststelle, die für Anzeigen von häuslicher Gewalt zuständig ist, die Fingerabdrücke aller Frauen aufzunehmen, die eine Anzeige wegen Gewalt gegen ihre Partner einreichen. Tatsache ist, wie bereits erwähnt, dass es sehr wenig Informationen über vor der Ermordung erlebte Gewalt der Opfer gibt, ausser in jenen Fällen, wo die durch den Partner verübte Gewalt die eigentliche Todesursache ist, was im vergangenen Jahr genau bei zwei Opfer der Fall war. Dies wiederum stellt die zitierte Massnahme der Fingerabdrücke in Frage. Das Problem ist also nicht in erster Linie ein technisches sonder ein gesellschaftliches, nämlich, dass Gewalt in der Beziehung nach wie vor ein riesiges Tabu ist und sowieso nur wenige Frauen Anzeige erstatten. Was wiederum die Täter in der Sicherheit der Straflosigkeit schwelgen lässt. Oft wird in den Autopsieberichten auch gar nicht festgehalten, ob eine Frau vor ihrer Ermordung sexuelle Gewalt erlitten hat, sondern es wird bloss die eigentliche Todesursache festgehalten. Wird also eine Frau vergewaltigt und gefoltert, bevor sie durch eine Kugel getötet wird, mögen diese Informationen vielleicht im gerichtsmedizinischen Bericht noch festgehalten worden sein, geht es aber dann darum, sie in die Statistik aufzunehmen, heisst es dann schlicht und einfach "Erschossen". Die Empfehlungen im Update-Bericht von Amnesty entsprechen weitgehend den Forderungen des vor einem Jahr veröffentlichten Berichts. |
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