Der General "hatte niemanden, der ihn über die Massaker informierte"
Fijáte 364 vom 19. Juli 2006, Artikel 6, Seite 5
Original-PDF 364 --- Voriges Fijáte --- Artikel Nr. 1 - 2 - 3 - 4 - 5 - 6 - 7 --- Nächstes Fijáte
Der General "hatte niemanden, der ihn über die Massaker informierte"
Guatemala, 07. Juli. Der Richter des Spanischen Gerichtshofes, Santiago Pedraz, hat kurz nach seiner Rückkehr aus Guatemala Internationale Haftbefehle gegen den ehemaligen Regierungschef Guatemalas, Efraín Ríos Montt und sieben weitere mutmassliche Verantwortliche für die Verbrechen des Genozids in diesem Land angeordnet. (¡Fijáte! 363) In einem Rechtsentscheid verkündete Pedraz die einstweilige Haftverfügung ohne Kaution der acht Personen, damit diese über Interpol-Spanien festgenommen und an Spanien ausgeliefert werden. Neben Ríos Montt sind dies der ehemalige Regierungschef Oscar Humberto Mejía Víctores, der Ex-Verteidigungsminister Angel Aníbal Guevara, die ehemaligen Chefs der Nationalen Polizei, Pedro García Arredondo und Germán Chupina Barahona, der einstige Chef des Armee-Generalstabs Benedicto Lucas García sowie der ehemalige Präsident Guatemalas Fernando Romeo Lucas. Obwohl dieser im vergangenen Mai in Venezuela gestorben ist (¡Fijáte! 361), wurde er in die Liste aufgenommen, da Spanien keine offizielle Mitteilung über sein Ableben vorliegt. Auch der ehemalige Innenminister Donaldo Álvarez Ruiz ist unter den Gesuchten, nach spanischen Vermutungen sei er zuletzt im US-Bundesstaat Kalifornien gesehen worden. Der spanische Richter, der Ende Juni mit seiner Equipe nach Guatemala gereist war, um die ersten Anhörungen im Prozess wegen Völkermordes und des Brandes der Spanischen Botschaft 1980 durchzuführen, begründet seine Entscheidung mit der Feststellung eines "klaren, ständigen und freiwilligen Fehlens einer Zusammenarbeit mit der spanischen Justizautorität in der Ermittlung der denunzierten Taten" von Seiten der Belasteten, was dem Richter die Anhörung von diesen und von ZeugInnen unmöglich machte. Dies war den Angeklagten durch eine nicht endende Reihe von Einsprüchen gelungen, die das Rechtsverfahren blockierten. Nun hat die spanische Staatsanwaltschaft die Festnahmen beantragt, um zu vermeiden, dass die Beschuldigten, gegen die ausreichend Beweismaterial für eine Verurteilung vorliegt, "die Spanische Gerichtsbarkeit weiter an der Nase herumführen". In seiner Resolution ordnet Richter Pedraz zudem die Beschlagnahmung aller Güter, die sowohl komplett als auch teilweise auf die Namen der Angeklagten laufen bzw. an denen sie über Strohmänner oder Dritte Anteil haben, sowie aller ebensolcher Bankkonten. Da Guatemala keinen entsprechenden Vertrag mit Spanien unterzeichnet hat, beschränken sich die angeordneten Massnahmen, inklusive Haftbefehle, auf das Ausland, somit sind die Männer aber wenigstens in Guatemala eingesperrt und haben keinen Zugriff auf hre Besitztümer, die sie sich ausserhalb des Landes angeeignet haben. Die Reaktion der Angeklagten wandelte sich bereits wenige Tage nach Bekanntwerden des Haftbefehls ins Absurde. Während die Drohungen, die bereits im Rahmen des Tags des Militärs die sozialen und Menschenrechtsorganisationen einschüchtern sollten, anhalten, berufen sich die Verteidiger der Beschuldigten auf das Dekret 32-88, das im Juli 1988 allen Personen, die politische oder gewöhnliche Verbrechen gegen die Innere Öffentliche Ordnung im Rahmen des Internen bewaffneten Konflikts begangen haben könnten, Amnestie gewährt. Doch - entgegen der Interpretation durch die Verteidiger - schliesst dieses Amnestie-Dekret ebenso wie das Gesetz der Nationalen Versöhnung, verabschiedet 1996, die Verbrechen des Genozids, der Folter und des erzwungenen Verschwindenlassens nicht ein. Weiterhin versuchen die Anwälte der Verdächtigen die Gerichtsbarkeit der Taten durch den Spanischen Gerichtshof in Frage zu stellen. Doch Guatemala war unter der Regierung von Arévalo 1949 eines der ersten Länder, die nach dem Zweiten Weltkrieg die UNO-Konvention für die Prävention oder Sanktion des Verbrechens des Genozids unterschrieb, die 1948 von der UNO-Generalversammlung angenommen wurde. Und gemäss der guatemaltekischen Verfassung hat dieses Instrument Vorrang vor der nationalen Verfassung, wenn es sich um Verbrechen gegen Menschenrechte handelt. Die Konvention definiert klar und deutlich, was mit Genozid gemeint ist: Als solchen versteht man folgende durchgeführte Handlungen mit der Intention, eine nationale, ethnische, rassische oder religiöse Gruppe ganz oder teilweise auszulöschen: a) das Töten von Mitgliedern der Gruppe, b) eine schwere Verletzung der körperlichen oder seelischen Integrität der Gruppenmitglieder, c) die beabsichtigte Unterwerfung der Gruppe unter Existenzbedingungen, die zur völligen oder teilweisen physischen Zerstörung derselben führen, d) Massnahmen, die Geburten innerhalb der Gruppe verhindern sollen, sowie e) die gewaltsame Umsiedlung von Kindern einer Gruppe in eine andere. Weitere Genozidhandlungen sind die Vereinigung, um die Taten durchzuführen, die direkte und öffentliche Anstiftung, der Versuch und die Komplizenschaft. In der Konvention selbst wird gesagt, dass es sich beim Völkermord nicht um ein politisches Verbrechen handelt, eine Amnestie somit per se ausgeschlossen ist. Der Bericht der Wahrheitskommission CEH schlussfolgert aus den aufgenommenen ZeugInnenberichten von Überlebenden, dass zwischen 1981-83 Völkermordtaten zumindest in den Regionen Huehuetenango, Quiché und Baja Verapaz gegen die Maya-Völker der Q'anjob'al, der Chuj, der Ixil, der K'iché und der Achí begangen wurden Nach oben |
Während sich diejenigen Organisationen der Zivilgesellschaft befriedigt und hoffnungsvoll zu dem Haftbefehl äussern, müssen die Verteidiger der Angeklagten, die in ihrem vollen Recht sind, Einsprüche gegen die Rechtsentscheide einzulegen, feststellen, dass sie mit dem Verdrehen von gesetzlichen Grundlagen nicht weiter kommen. Also verdächtigen sie nun - laut dem Kolumnisten Sam Colop - den Richter Santiago Pedraz ob Verbindungen mit der ETA. Ein anderer ihrer Schachzüge sieht die Suche nach spanischen StrafrechtlerInnen vor, die zum einen den Haftbefehl neutralisieren, zum anderen Santiago Pedraz der Rechtsbeugung beschuldigen sollen. Da offenbar auch diese Strategie wenig vielversprechend erscheint, haben die Anwälte unterdessen eingestanden, dass ihre Mandanten wohl aussagen könnten - unter der Bedingung, dass dies hinter verschlossenen Türen und ohne Richter Pedraz stattfinde. Über diesen und dessen Intentionen haben die Advokaten der Beschuldigten eine ganz eigene Sichtweise. So kommentiert der Anwalt von Ex-Verteidigungsminister Guevara, José Toledo: "Pedraz fühlt sich stark, weil er die Rückendeckung von den Organisationen hat, die sich Verteidigerinnen der Menschenrechte nennen, obwohl sie nichts weiter als die alte Guerilla sind." Fernando Linares Beltranena, Rechtsvertreter von Mejía Víctores vertritt noch eine andere Theorie: "Pedraz will bloss seine 15 Minuten Ruhm, damit er Verträge bekommt und in Universitäten Vorträge halten kann, so wie es mit dem Richter Baltazar Garzón geschehen ist wegen des Falles von Pinochet." Ríos Montt selbst, heutiger Generalsekretär der Republikanischen Front Guatemalas (FRG) setzt mit seiner Version der Geschehnisse dem ganzen die Krone auf. Angelehnt an einen bekannten Titel des Schriftstellers García-Márquez überschreibt die Nachrichtenagentur Cerigua ihren entsprechenden Artikel denn auch zynisch: Der General "hatte niemanden, der ihn über Massaker informierte", behauptet der pensionierte General Ríos Montt doch tatsächlich, dass es während seiner Amtszeit wohl zu Ausschreitungen von Seiten des Militärs gekommen sei, wenn keine Befehle von Oben vorgelegen hätten, doch er hätte von dem Ganzen keine Ahnung gehabt. Und im Allgemeinen habe das Militär bloss seine Funktion erfüllt. Dabei stellt die Wahrheitskommission noch fest, dass "während der Periode von Ríos Montt 69% der aussergerichtlichen Hinrichtungen, 41% der sexuellen Vergewaltigungen und 45% der Folterungen der von ihr registrierten Fälle durchgeführt wurden. In einer Pressekonferenz gab Ríos Montt bekannt, dass er damals - nach dem Putsch gegen Lucas García - von den Militärs auf den Posten des Staatschefs erhoben wurde und deswegen nicht mitbekam, dass jegliche Art von Verbrechen gegen die Menschenrechte während des Konflikts begangen wurden. Dies aus dem Mund eines Militärs zu hören, der als Präsident zwangsweise wissen musste, dass er die oberste Befehlsgewalt über das Militär hatte und folglich für alle Folgen der von Mitgliedern desselben begangenen Taten die Verantwortung trug, lässt laut dem Kommentar in der Tageszeitung Prensa Libre darauf schliessen, dass Ríos Montt anscheinend weder Wissen noch Kontrolle über die Vorkommnisse im Internen Bewaffneten Konflikt gehabt haben will. "Dass ist bedauernswert für seine AnhängerInnen, denn die ihm zugeschriebenen Führerschaft war offenkundig nicht so solide, und man muss hinzufügen, dass sie es im Fall des Chefs der FRG auch nicht gewesen ist", so der Artikel weiter, "und auf dem rein militärischen Feld können die Worte von Ríos Montt gar als eine Art Desertion oder Verrat gewertet werden". Bei der Situation, in der er sich derzeit befindet, handelt es sich gemäss dem General um eine politische Verfolgung, die von "den Terroristen, die den Krieg verloren haben" vorangetrieben wird. Menschenrechtsorganisationen und die Staatsanwaltschaft beantragen derweil beim Verfassungsgericht (CC), das Schutzurteil zu Gunsten Ríos Montts, das den Prozess gegen die Täter zuletzt zum Liegen gebracht hat, aufzuheben. Die Organisationen ersuchen zudem, dass das CC die rund 24 Amnestievereinbarungen, die die Beschuldigten begünstigten, ebenfalls widerrufe. |
Original-PDF 364 --- Voriges Fijáte --- Artikel Nr. 1 - 2 - 3 - 4 - 5 - 6 - 7 --- Nächstes Fijáte