¡Híjole...! Die einmonatliche Kolumne von Fernando Suazo: Foltern
Fijáte 362 vom 21. Juni 2006, Artikel 9, Seite 6
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¡Híjole...! Die einmonatliche Kolumne von Fernando Suazo: Foltern
Der 26. Juni ist der Internationale Tag der Unterstützung von Folteropfern. Eine Gelegenheit, uns der finsteren Realität bewusst zu werden, die in den Ecken der gemeinsamen Erinnerung der lateinamerikanischen Völker nistet. Unser Guatemala, besonders das Guatemala der Maya, ist Profi in Sachen Folter(-erinnerung). Für gewöhnlich versteht man unter Foltern "die absichtliche und systematische Anwendung von starken Schmerzen durch eine Person gegen eine andere mit der Absicht, Information oder Geständnisse zu erhalten, oder um Terror unter Dritten zu provozieren" (Amnesty International). Neben dieser quasi "im Labor entwickelten" und individualisierten Folter gibt es noch andere Formen von Folter. Ich denke dabei an kollektive Folterungen, als derbe Form von Strafe oder Rache, die im Rahmen der "Nationalen Sicherheit" verübt wurden: Horden von militarisierten Zivilisten, wie sie in Zentralamerika auf BäuerInnen und Indígenas gehetzt wurden. So die "Contras" in Nicaragua und die Zivilpatrouillen in Guatemala. Zur Schande des menschlichen Geschlechts, gehört das Verb "foltern" ganz allein unserer Spezies, braucht es doch der ausdrücklichen Intention, Leiden zu verursachen sowie den Rückgriff auf bestimmte Strategien und technische Leistung die, entsprechend dem "Fortschritt" der Wissenschaften, Mal um Mal kälter und künstlicher sind. Die Folter war, ist und bleibt ein Verfahren, das Hand in Hand geht mit den Herrschaftsideologien: die politischen, sozialen, wirtschaftlichen oder religiösen Oberhäupter haben zeitlebens eine Tendenz dazu gehabt, die Folter anzuwenden, um DissidentInnen zu unterwerfen. Zu den unerträglichen körperlichen Schmerzen, die Folteropfer ertragen müssen, und den möglichen organischen Folgen, kommen andere Leiden und Beschwerden hinzu, als Folge davon, dass die Vollzieher - ebenso wie die Opfer - menschliche Wesen sind. Die Folter attackiert auf brutale Weise die Dimensionen der Gesellschaftlichkeit der Personen, und das provozieren nicht die Leiden, die von gewöhnlichen Vollstreckern mittels der direkten körperlichen Gewaltanwendung verursacht werden. In der Abgeschiedenheit des Folterzentrums, jeglichen sozialen Bezugs und jeden Kontaktes mit der Realität beraubt; oder in der Panik eines Kreuzverhörs, sind die Folteropfer dazu gezwungen, ihre Überzeugungen und ihre Treue abzulegen. Es wird ihnen vorgeworfen, "subversiv" zu sein, solange, bis sie von ihren Schuldgefühlen erdrückt werden. Sie werden in ihrer Sexualität gedemütigt, oder sie werden dazu gezwungen, den Ihren Leiden zuzufügen oder sie zu verraten. Die Folterer haben es darauf abgesehen, die Identität der Opfer als Subjekte zu brechen in der Erwartung, dass sie hinterher nützlich sein können; oder aber sie versuchen, ihrer Wut Erleichterung zu verschaffen, indem sie in der Region Terror verbreiten. Die gemeinschaftliche Erinnerung der Maya-Bevölkerungen bewahrt unbeschreibliche Szenen kollektiver Folter. Angefangen bei der Institution der Zivilpatrouillen (PAC) höchstselbst. Im Gegensatz zu den "Contra"-Söldnern in Nicaragua, handelten die Mitglieder der PAC in ihrer Mehrheit unter Zwang, die Alternative war der Tod. Zu ihren "Aufträgen" gehörte, ihre eigenen NachbarInnen zu verfolgen, zu foltern und zu töten, als Abschreckung für alle. Die Mehrheit von ihnen waren gezwungene Folterer; gefolterte, degradierte Folterer, die demütigende Folterakte an ihren Landsleuten und manchmal an ihren Verwandten übten. Ich erinnere mich an einen Zeugenbericht aus der Zeit, als wir an dem Projekt zur Wiedererlangung der historischen Erinnerung (REMHI) arbeiteten. In einer indigenen, ländlichen Gemeinde im Departement Quiché hatte das Militär zwei Katecheten gefangen genommen. Dann rief es die ganze Bevölkerung zusammen und präsentierte die beiden Gefangenen, zusammengeschlagen und an den Händen gefesselt. Der Leutnant wandte sich an die Leute: "Hier habt ihre zwei Guerilleros aus eurer Gemeinde. Ihr wisst ja, was das Militär mit Guerilleros macht. Ich will wissen, ob ihr alle Guerilleros seid oder nicht. Dafür stelle ich euch auf die Probe und überlasse es euch selber, diese Guerilleros töten. Morgen komme ich wieder, um zu schauen, ob ihr meinem Befehl gefolgt seid. Wenn nicht, machen wir euch allen ein Ende." Die Gemeinde verbrachte die ganze Nacht mit den beiden Gefangenen und betete. Diese erklärten, dass sie verstünden, dass das Militär sie zu dieser Tat zwinge und sie sollten dem Befehl gehorchen. Weinend töteten sie die zwei. Der Leutnant liess sich nicht wieder blicken. Nach oben |
Die versteckten Erinnerungen der Maya-Gemeinden sind voll von ähnlichen Geschichten: Sie sind dazu gezwungen worden, sich (gegenseitig) zu demütigen. Die Auswirkungen dieser Art von Folter dehnen sich weit aus: Die menschlichen Beziehungen bleiben beschädigt. Diejenigen von uns, die in Gemeindeprozessen arbeiten, sprechen mehr und mehr von "Gemeindegruppen" denn von "Gemeinden". Dennoch leuchten in den Nebeln dieser Zeit einige Funken der Würde auf. So wie an jenem Tag, an dem der Völkermörder Ríos Montt es wagte, im Rahmen seiner Wahlkampagne nach Rabinal zu kommen, wohl wissend, dass eine Gruppe von Witwen just am gleichen Tag Totenwache für ihre Verstorbenen hielt. Diese waren aus einigen klandestinen Gräbern aus der Zeit, als er seine Strategie der "verbrannten Erde" durchgezogen hatte, geborgen worden. Die Frauen erhoben sich von der Mahnwache, trugen die Särge und steuerten auf das Podium des Generals zu, um ihn während drei Stunden bis zur Heiserkeit anzuschreien: "Mörder, Mörder!!" Ich habe gesehen, wie der Chef der Folterer vor den Frauen davon gelaufen ist. |
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