"Es gibt keine Strafe für das Ermorden von Frauen"
Fijáte 365 vom 2. August 2006, Artikel 2, Seite 2
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"Es gibt keine Strafe für das Ermorden von Frauen"
Interview mit Sebastián Elgueta, Autor des jüngsten Berichts von
Frage: Der Bericht von Amnesty International beleuchtet düstere Zonen des guatemaltekischen Alltags. Einer der Schlüsselbegriffe im Zusammenhang mit den Frauenmorden ist die Sebastián Elgueta: Das kann man so sagen. In den Statistiken, zu denen wir über die für die Untersuchung und Verfolgung der Frauenmorde zuständige guatemaltekische Staatsanwaltschaft Zugang hatten, fanden wir Beweise für eine systematische und generalisierte Straflosigkeit für alle, die Frauen umbringen. Dies trifft zwar auch für die MörderInnen von Männern zu, aber es gibt zwei Charakteristika, die für die Frauenmorde speziell sind: Erstens werden die Frauen auf brutalste Weise umgebracht, meist unter Anwendung von sexueller Gewalt, Folter, Verstümmelung, Zerstückelung - Merkmale, die man bei ermordeten Männern so nicht trifft. Und zweitens - und das ist bei Morden an Männern ebenfalls nicht der Fall - sind die Familienangehörigen der Opfer extremen Diskriminierungen seitens der Untersuchungsbehörden und Staatsanwälten ausgesetzt. Der gemeinsame Nenner von Morden an Männern und Frauen ist jedoch die hohe Straflosigkeit. Frage: Sehen Sie eine Möglichkeit, wie dieser Straflosigkeit ein Ende gesetzt werden kann? SE: Amnesty International hat bereits zwei Berichte über das Thema veröffentlicht. In den Berichten haben wir die Schwächen des Untersuchungs- und Strafverfolgungssystems aufgezeigt. In Guatemala werden kriminalistische Untersuchungen von den StaatsanwältInnen in Zusammenarbeit mit der Polizei durchgeführt. Bei diesen Untersuchungen kommen jedoch die gerichtsmedizischen Beweisführungen viel zu kurz, ebenso die Opfer- und ZeugInnenbefragungen und die Verhaftung verdächtiger Personen. Die Folge davon ist, dass die wenigen Fälle, die überhaupt vor Gericht kommen, wegen zu wenig Beweismaterials von den RichterInnen abgewiesen werden. Frage: Damit sagen Sie nichts anderes, als dass der guatemaltekische Staat nicht weiss, wie er der Realität und dem Ausmass des Problems begegnen soll? SE: Zu diesem Schluss sind sowohl Amnesty International wie auch die Frage: Oder anders ausgedrückt: Es fehlt am politischen Willen seitens des guatemaltekischen Staates? SE: Der fehlende politische Wille drückt sich zum Beispiel im Zusammenhang zwischen den zur Verfügung gestellten finanziellen Ressourcen und den mageren konkreten Ergebnissen aus. Als wir im Juni 2005 unseren Bericht "Weder Schutz noch Gerechtigkeit" veröffentlichten, reagierte die Regierung mit der Lancierung einer Öffentlichkeitskampagne, mit der sie die Erhöhung der Ressourcen für die Aufklärung von Frauenmorden bekannt gab. Schliesslich erhöhten sie die Anzahl der StaatsanwältInnen, die Untersuchungen anstellen sollten und es wurde eine sog. Kommission zum Thema Frauenmorde ins Leben berufen. Als konkretes Ergebnis wurden von den 600 Morden, die im Jahr 2005 an Frauen ausgeübt wurden, in genau zwei Fällen die Täter als schuldig erklärt. Gemäss Daten der Staatsanwaltschaft herrschte in 98% der Fälle Straflosigkeit. Frage: Und weshalb wird nichts unternommen, um dies zu ändern? SE: Wir konnten eine Art |
Frage: Es fällt auf, dass Sie konsequent den Begriff Frauenmord und nicht den Begriff SE: Der Begriff Feminizid wird in Guatemala von Organisationen der Zivilgesellschaft und vom Staat gebraucht. Der Begriff birgt gewisse juristische Widersprüche in sich und Amnesty International will sich nicht in die Debatte über Begrifflichkeiten mischen. Wir ziehen es vor, uns auf das Thema Frauenmorde und Straflosigkeit zu konzentrieren. Frage: Viele der Morde an Frauen zeichnen sich durch ihre aussergewöhnliche Brutalität aus und zahlreiche Opfer wurden vor ihrem Tod sexuell missbraucht und zerstümmelt. Weshalb diese Grausamkeit? SE: Es gibt zwei Faktoren. Erstens versagt das Justizsystem darin, irgendwelche abschreckenden Massnahmen zu ergreifen. Das heisst, es gibt keine Strafe dafür, eine Frau umzubringen, die Straflosigkeit ist strukturell und permanent. Und wenn man dies in einem Land wie Guatemala kombiniert mit seinen 36 Jahren Krieg, während dem 200'000 Menschen umgebracht wurden, die Gewaltausübung staatliche Politik und die sexualisierte Gewalt ein Kriegsmittel war, oder als Foltermethode von weiblichen politischen Gefangene eingesetzt wurde, dann haben wir ganze Generationen von Männern vor uns, die ungestraft Frauen umbringen konnten - und können. Frage: Das heisst, wir müssen in dem vom Krieg hinterlassenen sozialen Zerfall die Ursachen für die heutigen Frauenmorde suchen? SG: Es gibt sicher einen Zusammenhang mit der Nicht-Verurteilung früherer Täter. Die Tatsache, dass ein Nehmen Sie Leute wie |
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