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Schweigen und Scham

Fijáte 401 vom 9. Jan. 2008, Artikel 4, Seite 4

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Schweigen und Scham

Zur Methode des Psychodramas

Im Mittelpunkt unserer Projekte mit Psychodrama steht also die Aufarbeitung der kollektiven und individuellen Geschichte, im spezifischen Kontext der Konflikte und des Kampfes zwischen repressiven Regierungen und aufständischen Organisationen.

Wir arbeiten mit dem Psychodrama in Gruppen mit 10 - 20 TeilnehmerInnen, die das Thema selber bestimmen, das bearbeitet werden soll. Der/die ProtagonistIn beginnt, mit Hilfe der Therapeutin, das gewählte Thema im Stegreiftheater darzustellen. Die Gruppe selbst hat auch eine therapeutische Funktion, da die Mitglieder "Hilfs-Ichs" sind, verschiedene Rollen für den/die ProtagonistIn spielen und jeweils in der spezifischen Rolle eigene Erlebnisse und Probleme darstellen, evtl. auch lösen können. Das Motto ist: eine/r für alle, und alle für eine/n! Es gibt keine ZuschauerInnen, selbst die nicht in Rollen gewählten TeilnemehrInnen sind im "Chor" und der späteren Mitteilung ihrer Gefühle aktiv. Das von der Gruppe gewählte Thema bedeutet, dass sich die meisten der Beteiligten damit identifizieren, sodass im Verlauf des Psychodramas eine vielfältige Bearbeitung der spezifischen Erinnerung des/r ProtagonistIn entsteht, z.B. einer traumatischen Erfahrung, eines politischen Konfliktes, eines psychosomatischen Symptomes, eines Problemes der Organisation etc. Die individuelle Erfahrung wird kollektiv bearbeitet, erweitert, es werden im Spiel Möglichkeiten verschiedener Lösungen gesucht, und das Ziel ist, dass der/die Einzelne sowie die ganze Gruppe flexiblere Ich-Strukturen konstruieren und von rigiden Haltungen etwas abkommen können. Dass in der kollektiven Arbeit und Improvisation viele "vergessene Erlebnisse" auftauchen können, verhilft dazu, die individuelle in die kollektive Geschichte einordnen zu können.

Der Weg von der erlebten Ohnmacht, der Erniedrigung und dem Ausgeliefertsein in der traumatischen Situation zur bewussten Verarbeitung ist auch in der Gruppenarbeit langwierig und schmerzlich. Zuerst war das Vergessen ein Schutz, dann die Schamgrenzen, die manchmal mit Schuldgefühlen vermischt sind, die eigentlich der Aggressor empfinden sollte, die aber meistens vom Opfer übernommen werden. Es ist sehr eindrücklich, welch starke Widerstände überwunden werden müssen, um zusammen mit dem Körperausdruck, der Hilfe der Gruppe, endlich zur Sprache zu finden und die traumatischen Erlebnisse auszudrücken. Wenn ein Thema von der ProtagonistIn angesprochen wird, das alle TeilnehmerInnen betrifft, wandelt sich das Psychodrama in ein Soziodrama um, alle werden ProtagonistInnen, ein kollektives Trauma oder eine gemeinsame Trauerarbeit kann geleistet werden.

Wer hat denn nicht Tote zu beklagen, die nie betrauert werden konnten? Das Thema der "Verschwundenen" kann im Psychodrama so angegangen werden, dass auf der "Bühne", im surrealistischen Raum, Abschied genommen werden kann, begleitet mit den entsprechenden Gefühlen. Alle können mit dem/r Toten reden, ihm/r Dinge sagen, die sie zu Lebzeiten nicht ausdrücken konnten. Tot ist nur, wer im sozialen Raum vergessen wird, das heisst, von dem niemand mehr redet!

Kommentar der Redaktion: Ursula Hauser gehört zu jener Generation von Frauen, die den Slogan "das Private ist politisch" nicht nur bei ihren GenossInnen und auf Demos eingefordert haben, sondern auch in ihrem Beruf ernst nehmen. Ebenso die Selbstkritik, das kritische Hinterfragen, den permanenten Perspektivenwechsel. Obwohl sich - ausser der ¡Fijáte!-Redakteurin - sicher noch einige im Saal bei gewissen Aussagen von ihr persönlich angesprochen und an wunden Punkten getroffen fühlten, war ihr Input weder moralisch gefärbt noch anklagend, sondern schlicht und einfach eine Aufforderung, sich mit den eigenen (inneren) Widersprüchen als Linke auseinanderzusetzen. Auch bei ihrem Referat war ein gewisser Zweckoptimismus herauszuhören, ihre Beispiele waren mehrheitlich Blitzlichter und Erfolgsgeschichten - unerwähnt blieb, dass es oftmals eine grosse Diskrepanz gibt zwischen dem therapeutisch "geschützten" Raum und der kruden Realität, sei diese politisch, strukturell oder privat.

Ursula Hauser ist Psychoanalytikerin und Psychodramatikerin. Sie ist in Ethnopsychoanalyse ausgebildet und u.a. Mitglied des Psychoanalytischen Seminars Zürich. 1980 ging sie nach VGNicaraguaNF, um für zwei Jahre Basisarbeit zu leisten. "Wenn dann aber zur Revolution noch Liebe kommt, wird daraus lebenslänglich." Heute lebt sie in VGCosta RicaNF und ist spezialisiert auf die Arbeit mit traumatisierten Menschen aus Konflikt- und Kriegsregionen. Aktuell leitet sie zusammen mit Maja Hess die Psychodrama-Ausbildung von jungen Frauen in Gaza.


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