Schweigen und Scham
Fijáte 401 vom 9. Jan. 2008, Artikel 4, Seite 4
Original-PDF 401 --- Voriges Fijáte --- Artikel Nr. 1 - 2 - 3 - 4 - 5 --- Nächstes Fijáte
Schweigen und Scham
Auszüge aus dem Referat von Ursula HauserSoziale Gerechtigkeit ist das Sicherheitsnetz einer Gesellschaft. Und es ist die fundamentale Garantie für Ruhe und sozialen Frieden. Um soziale Gerechtigkeit zu erreichen, muss sich die gesamte Gesellschaft für einen echten Prozess des Aufbaus von sozialem Frieden und Versöhnung und einer fairen Verteilung der Ressourcen einsetzen. (Palästina/Gaza: Abu Akram, Palestinian Medical Relief Society) Im Folgenden möchte ich meine Erfahrungen der kollektiven Bewältigung in Post-Konflikt-Situationen in verschiedenen Ländern darstellen, die unter anderem auch der Individualisierung und der Pathologisierung des Traumaverständnisses engegenwirken sollen. Ich bin gegen eine Pathologisierung des Begriffes des Traumas, das leider in den letzten Jahren zu einem Spezialgebiet auf dem Psychomarkt wurde. Selbstverständlich geht es nicht darum, zu verneinen, dass tatsächlich grässliche psychologische Folgen und dramatische Spuren einer traumatischen Erfahrung im Krieg oder in der Post-Konflikt-Situation im Subjekt entstehen, die dringend Hilfe brauchen. Aber wir müssen diese Hilfe im Zusammenhang der politischen Situation verstehen und zu gestalten versuchen und sie nicht als "Krankheit" behandeln. Wie stärken wir den "Widerstand" ?Als Psychoanalytikerin verstehe ich meine Aufgabe in erster Linie darin, die Widerstandskräfte in den Individuen und im sozialen Netz zu stärken, das heisst zu versuchen, die persönliche Geschichte in ihrem sozialen und kulturellen Kontext besser zu verstehen, und damit auch das kollektive Gedächtnis zu erweitern. "Unbewusstes bewusst" machen, die dunklen oder leeren Löcher in der eigenen und der sozialen Geschichte auszufüllen, Worte zu suchen für unaussprechliche Erlebnisse, einen Raum zu schaffen, damit sich die verdrängten Gefühle ausdrücken können. Es sind hochgesteckte Ziele, und es ist ein schwieriger, langwieriger Weg, bis das Schweigen gebrochen und schmerzliche Erinnerungen ausgesprochen werden können. Das Schweigen ist ein Schutz, die Verdrängung von traumatischen Ereignissen machte das Überleben möglich, und deshalb muss mit grossen psychologischen Widerständen gerechnet werden, wenn wir die Aufarbeitung dieser schrecklichen Geschichte als Ziel haben. Selbstverständlich ist zudem die "äussere" Repression, das Verbot oder die politische Doktrin des "Punto final", wie wir es von den lateinamerikanischen Diktaturen her kennen, das grösste Hindernis im Kampf gegen die Straflosigkeit und das Brechen des Schweigens. Die realen Drohungen seitens der Regimes bedeuten das Risiko der Wiederholung von Folter und Gefängnis, also kann das Schweigen ein "normales Verhalten als Schutz gegen den Terror einer faschistischen Regierung" bedeuten. Dass dieses Schweigen langsam der psychischen Verdrängung entgegenkommt und nach und nach die realen Geschehnisse vom Individuum und der Gesellschaft vergessen werden, lässt sich daraus verstehen. Deshalb ist die "offizielle Geschichte" immer mit Mythen, Lügen, Verfälschung und Vertuschung der wahren Tatsachen verbunden, und die Aufdeckung und Suche nach der "wahren Geschichte" ist ein schmerzlicher und langwieriger Prozess. Die Psychoanalyse wurde als "Talking cure" benannt, die Therapie basiert auf dem Reden, Erinnern, Wiederholen, Durcharbeiten. Jemand muss zuhören, der/die Therapeut/in, und diese Beziehung soll ermöglichen, dass langsam die Barrieren der Scham und auch der Schuldgefühle durchbrochen werden können. Eine andere Methode scheint mir von meiner bisherigen Erfahrung her besser geeignet für die Aufarbeitung des politischen Terrors und seiner Konsequenzen im Subjekt: Das Psychodrama als Gruppentherapie. Aber auch diese Methode hat ihre Tücken: Wer kann garantieren, dass niemand in der Gruppe ein Spitzel ist oder einfach aus Unachtsamkeit die "goldene Regel"der Diskretion verletzt? Wie damit umgehen?Schweigen und Scham als Problematisierung im Umgang mit politischen, traumatischen und psychologischen Konflikten ist also viel weiter gefasst als lediglich die Untersuchung dieser Phänomene im "Andern" im "Patienten" oder "der Gruppe". Sie bezieht alle Beteiligten mit ein: Täter, Opfer, TherapeutInnen, ÜbersetzerInnen, ZuhörerInnen ... auch Sie, verehrte Anwesende! Würde ich als Fallbeispiel, wie dies oftmals üblich ist, eine Vignette aus der Therapie mit einer gefolterten Frau erzählen oder wenn Sie von den grausamen Handlungen der Para-Militärs gegen ganze Dörfer in Guatemala hören, was geht in Ihnen vor? Sind Sie ein heimlicher Voyeurist, eine Sadistin? Oder müssen Sie Augen, Ohren und Mund schliessen, wie die drei Affen? Überall besteht die Gefahr, dass wir zu KomplizInnen für das repressive System gemacht werden. Wie gehen wir um mit Schweigen und Scham? Wie können wir verhindern, dass auch in uns, in jedem und jeder Einzelnen, diese Hemmschranken mit dazu beitragen, dass wir die wahre Geschichte nicht wirklich wissen wollen? Müss-ten auch wir erleiden, was die meisten der gefolterten Menschen ausdrücken: "Ich habe mein Zuhause in dieser Welt verloren!" Oder: "Ich kann nie mehr Vertrauen in einen Menschen haben..!"? Wie können wir mit der schrecklichen Wahrheit umgehen, wir, die wir die meisten nicht gefoltert wurden und hier in der Schweiz bestens leben? Unsere Scham, Wut und Verzweiflung können wir als beste Reaktion auf die grausame, skrupellose, kriminelle und kranke Sucht nach der Weltherrschaft verstehen, wie sie die Bush-Regierung und ihre KomplizInnen anstreben und kein Verbrechen scheuen, um diese Hegemonie zu erreichen! Selbstverständlich sind diese Gefühle nicht genug, sondern sie können uns bestenfalls als Wegweiser und Signale dienen, um aus dem bleiernen Schweigen herauszukommen und den Mut zu finden, diese Gefühle in Worte zu fassen und damit gesellschaftlich zu machen. Es ist sehr wichtig, dass jede Ungerechtigkeit denunziert und hoffentlich auch gesühnt wird, wenn eine "psychische Gesundheit" angestrebt wird für den individuellen Menschen und für die Gesellschaft. Nach oben |
Zur Methode des PsychodramasIm Mittelpunkt unserer Projekte mit Psychodrama steht also die Aufarbeitung der kollektiven und individuellen Geschichte, im spezifischen Kontext der Konflikte und des Kampfes zwischen repressiven Regierungen und aufständischen Organisationen. Wir arbeiten mit dem Psychodrama in Gruppen mit 10 - 20 TeilnehmerInnen, die das Thema selber bestimmen, das bearbeitet werden soll. Der/die ProtagonistIn beginnt, mit Hilfe der Therapeutin, das gewählte Thema im Stegreiftheater darzustellen. Die Gruppe selbst hat auch eine therapeutische Funktion, da die Mitglieder "Hilfs-Ichs" sind, verschiedene Rollen für den/die ProtagonistIn spielen und jeweils in der spezifischen Rolle eigene Erlebnisse und Probleme darstellen, evtl. auch lösen können. Das Motto ist: eine/r für alle, und alle für eine/n! Es gibt keine ZuschauerInnen, selbst die nicht in Rollen gewählten TeilnemehrInnen sind im "Chor" und der späteren Mitteilung ihrer Gefühle aktiv. Das von der Gruppe gewählte Thema bedeutet, dass sich die meisten der Beteiligten damit identifizieren, sodass im Verlauf des Psychodramas eine vielfältige Bearbeitung der spezifischen Erinnerung des/r ProtagonistIn entsteht, z.B. einer traumatischen Erfahrung, eines politischen Konfliktes, eines psychosomatischen Symptomes, eines Problemes der Organisation etc. Die individuelle Erfahrung wird kollektiv bearbeitet, erweitert, es werden im Spiel Möglichkeiten verschiedener Lösungen gesucht, und das Ziel ist, dass der/die Einzelne sowie die ganze Gruppe flexiblere Ich-Strukturen konstruieren und von rigiden Haltungen etwas abkommen können. Dass in der kollektiven Arbeit und Improvisation viele "vergessene Erlebnisse" auftauchen können, verhilft dazu, die individuelle in die kollektive Geschichte einordnen zu können. Der Weg von der erlebten Ohnmacht, der Erniedrigung und dem Ausgeliefertsein in der traumatischen Situation zur bewussten Verarbeitung ist auch in der Gruppenarbeit langwierig und schmerzlich. Zuerst war das Vergessen ein Schutz, dann die Schamgrenzen, die manchmal mit Schuldgefühlen vermischt sind, die eigentlich der Aggressor empfinden sollte, die aber meistens vom Opfer übernommen werden. Es ist sehr eindrücklich, welch starke Widerstände überwunden werden müssen, um zusammen mit dem Körperausdruck, der Hilfe der Gruppe, endlich zur Sprache zu finden und die traumatischen Erlebnisse auszudrücken. Wenn ein Thema von der ProtagonistIn angesprochen wird, das alle TeilnehmerInnen betrifft, wandelt sich das Psychodrama in ein Soziodrama um, alle werden ProtagonistInnen, ein kollektives Trauma oder eine gemeinsame Trauerarbeit kann geleistet werden. Wer hat denn nicht Tote zu beklagen, die nie betrauert werden konnten? Das Thema der "Verschwundenen" kann im Psychodrama so angegangen werden, dass auf der "Bühne", im surrealistischen Raum, Abschied genommen werden kann, begleitet mit den entsprechenden Gefühlen. Alle können mit dem/r Toten reden, ihm/r Dinge sagen, die sie zu Lebzeiten nicht ausdrücken konnten. Tot ist nur, wer im sozialen Raum vergessen wird, das heisst, von dem niemand mehr redet! Kommentar der Redaktion: Ursula Hauser gehört zu jener Generation von Frauen, die den Slogan "das Private ist politisch" nicht nur bei ihren GenossInnen und auf Demos eingefordert haben, sondern auch in ihrem Beruf ernst nehmen. Ebenso die Selbstkritik, das kritische Hinterfragen, den permanenten Perspektivenwechsel. Obwohl sich - ausser der ¡Fijáte!-Redakteurin - sicher noch einige im Saal bei gewissen Aussagen von ihr persönlich angesprochen und an wunden Punkten getroffen fühlten, war ihr Input weder moralisch gefärbt noch anklagend, sondern schlicht und einfach eine Aufforderung, sich mit den eigenen (inneren) Widersprüchen als Linke auseinanderzusetzen. Auch bei ihrem Referat war ein gewisser Zweckoptimismus herauszuhören, ihre Beispiele waren mehrheitlich Blitzlichter und Erfolgsgeschichten - unerwähnt blieb, dass es oftmals eine grosse Diskrepanz gibt zwischen dem therapeutisch "geschützten" Raum und der kruden Realität, sei diese politisch, strukturell oder privat. Ursula Hauser ist Psychoanalytikerin und Psychodramatikerin. Sie ist in Ethnopsychoanalyse ausgebildet und u.a. Mitglied des Psychoanalytischen Seminars Zürich. 1980 ging sie nach Nicaragua, um für zwei Jahre Basisarbeit zu leisten. "Wenn dann aber zur Revolution noch Liebe kommt, wird daraus lebenslänglich." Heute lebt sie in Costa Rica und ist spezialisiert auf die Arbeit mit traumatisierten Menschen aus Konflikt- und Kriegsregionen. Aktuell leitet sie zusammen mit Maja Hess die Psychodrama-Ausbildung von jungen Frauen in Gaza. |
Original-PDF 401 --- Voriges Fijáte --- Artikel Nr. 1 - 2 - 3 - 4 - 5 --- Nächstes Fijáte