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PRONADE - selbstverwaltete Schule oder der erste Schritt zur Privatisierung des Bildungswesens?

Fijáte 402 vom 23. Jan. 2008, Artikel 1, Seite 1

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PRONADE - selbstverwaltete Schule oder der erste Schritt zur Privatisierung des Bildungswesens?

Nebst der ihnen vom Programm übertragenen Funktionen übernehmen die COEDUCAs noch viele andere Aufgaben: Instandhaltung der Schulräume und des Mobiliars, Bewilligung (oder nicht) von Urlaub bzw. Unterrichtsbefreiung des Lehrpersonals sowie Einführung in den Arbeitsalltag der DozentInnen. Mangels eigener pädagogischer Ausbildung widersprechen die Kriterien für "guten Unterricht" der COEDUCA-Mitglieder oft den Bildungskonzepten der LehrerInnen und das Monitoring verkommt zur Aufsicht oder Bewachung des Lehrpersonals. Die Freistellung von LehrerInnen, sei es wegen Krankheit oder weil sie administrative Angelegenheiten erledigen müssen, wird zu einem bürokratischen und aufwändigen Verfahren: Die Lehrperson muss einen Antrag beim Präsidenten des COEDUCA stellen, dieser beruft den Rest des Komitees ein und trägt das Anliegen der Elternversammlung vor, die eine definitive Entscheidung trifft.

Entsprechend ist der Arbeitsaufwand für die COEDUCA-Mitglieder mit rund 48 Stunden jährlich relativ gross. Diese Zeit wird nicht vergütet, im Gegenteil: Verpflegung während der Sitzungen und eventuelle Transportkosten fallen zu Lasten der Mitglieder.

Ein weiteres Problem ist die VGKorruptionNF. Speziell Gemeinden, in denen eine Einschreibegebühr für den Schulbesuch verlangt wird, sind anfällig für Korruption. Es sind aber auch Fälle bekannt, wo die Lehrpersonen für ihre Anstellung Schmiergeld bezahlten, was ein rechtmässiges Selektionsverfahren hintertreibt.

Es gibt durchaus Gemeinden, in denen COEDUCAs und LehrerInnen eine Vertrauensbeziehung aufbauen konnten und Probleme gemeinsam angehen. In den meisten Fällen üben die COEDUCAs jedoch ausschliesslich eine Kontrollfunktion aus, was zu Spannungen führt. Verantwortlich dafür sind laut vielen LehrerInnen die ISEs, welche die COEDUCAs auf ihre "Aufgabe" vorbereiten sollten und dabei jegliche Individualität und Berücksichtigung spezieller Situationen in den Gemeinden ignorieren. Die COEDUCAs werden instruiert, sich den LehrerInnen gegenüber wie ChefInnen zu verhalten, was in einem an hierarchische und militärische Strukturen gewöhnten Land wie Guatemala zu verheerendem Machtmissbrauch führen kann.

Von den LehrerInnen wird von Seiten der COEDUCAs auch oft erwartet, dass sie innerhalb der Gemeinde noch andere Funktionen wahrnehmen, sei es in der Redaktion von Dokumenten, in der Formulierung von Projektanträgen oder in der Leitung von Sitzungen. Nicht zuletzt wird von ihnen erwartet, dass sie bei sämtlichen sozialen Anlässen des Dorfes mit dabei sind. Durch die Abhängigkeit von den COEDUCAs ist es für die LehrerInnen schwierig, sich solchen Zusatzaufgaben zu verwehren. Gemäss der hier zitierten Studie leisten die LehrerInnen jährlich 57 Arbeitstage, die nicht in ihrem Vertrag festgelegt sind, sei dies in Form von Sitzungen im Zusammenhang mit ihrer Anstellung oder eben in Form der oben genannten Zusatzleistungen.

Auch die Rolle der ISEs ist unklar. Irgendwelche lokalen NGO können sich als ISEs "bewerben", die Gemeinde hat kein Mitbestimmungsrecht, und umgekehrt kann eine NGO nicht wählen, in welcher Gemeinde sie die Rolle der ISE übernehmen will. Die LehrerInnen beklagen sich über die mangelnden didaktischen Kenntnisse der Fachleute der ISEs, die ihre Vorgesetzten sind. Die COEDUCAs hingegen sehen in den Fachleuten Verbündete der LehrerInnen.

Arbeitsrechtliche Situation

Die Arbeitsrechte, auf die sich im Rahmen von PRONADE angestellten LehrerInnen beziehen können, sind einerseits im nationalen LehrerInnengesetz und andererseits in der VGILONF-VGKonvention 169NF über die Rechte der Indigenen Völker festgeschrieben. Unabhängig von diesen Rechten bedient sich PRONADE mit den COEDUCAs eines Anstellungsmodus' der Privatwirtschaft. Da diese die Rechtsform eines Privatunternehmens haben, können sie LehrerInnen unter schlechteren Bedingungen anstellen als das staatliche Erziehungsministerium. Für PRONADE zu arbeiten, bedeutet für die LehrerInnen, auf erkämpfte Arbeitsrechte zu verzichten. Zum Beispiel bekommen sie bei PRONADE nur einjährige Verträge, entsprechend bei mehrjähriger Tätigkeit keine Dienstalterszulage. Es ist ihnen u.a. verboten, sich VGgewerkschaftlichNF zu organisieren, sie erhalten weder Kinderzulagen noch eine Altersvorsorge. Bei staatlichen Anstellungen hingegen gehört dies alles dazu.

VGDiskriminierungNF von Frauen

Es arbeiten verhältnismässig wenige Frauen als Lehrerinnen im PRONADE-Programm. Auf die Frage, weshalb dies so sei, antworteten die Verantwortlichen von PRONADE, dass viele Frauen nicht in abgelegenen Gegenden arbeiten wollen, dass Männer diesbezüglich viel unabhängiger seien. Frauen könne auch nicht zugemutet werden, in den Schulzimmern oder sonst unzulänglichen Orten zu übernachten. Ausserdem sei auch die Mehrzahl der SchülerInnen männlich. Schwangere Frauen werden nicht eingestellt und es sind Fälle bekannt, wo Frauen gedroht wurde, dass sie im Falle einer Schwangerschaft entlassen würden.

Fazit

Zusammenfassend kann gesagt werden, dass PRONADE zwar Bildungsmöglichkeiten in abgelegene Regionen bringt und einer beachtlichen Anzahl von Jungen und Mädchen aus armen Verhältnissen den Schulbesuch ermöglicht, andererseits aber die Kosten für diese Bildung den Eltern der SchülerInnen aufbürdet. Gleichzeitig besteht die Gefahr, dass die COEDUCAs ihre Machtposition gegenüber den LehrerInnen ausspielen und ökonomische Interessen über dem Interesse an einer guten Bildung stehen. Und drittens werden durch dieses System die Arbeitsrechte der LehrerInnen ausgehebelt.

PRONADE privatisiert nicht nur die Bildung, indem zwar die Kosten für das Programm von der Regierung und internationalen Geldgebern getragen werden, die Kosten für Unterhalt und Funktionieren der eigenen Schule jedoch den Gemeinden angelastet werden.

Weiter trägt das Programm zur sozialen Destabilisierung der Gemeindestrukturen bei, indem Väter und Mütter gezwungen werden, Verantwortungen zu übernehmen, auf die sie nicht vorbereitet und für die sie nicht ausgebildet sind. Autoritäre, parteipolitische, korrupte und machistische Strukturen finden in diesem Setting einen fruchtbaren Nährboden - dem vermeintlichen Ziel der Demokratisierung wird Hohn gespottet.

Zwar kann pragmatisch argumentiert und die Existenz einer Schule und die Möglichkeit, dass die Kinder zur Schule gehen können, befürwortet werden. Dabei darf aber nicht vergessen werden, dass mit der blossen Existenz einer Schule weder die Entwicklung der Gemeinde im Allgemeinen noch der Kinder im Speziellen garantiert ist. Dazu bräuchte es mindestens noch Klarheit in Bezug auf die Ziele, den Inhalt, die Methodologie und die Qualität des Bildungsangebotes.


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