consultas populares - zwischen Anerkennung und Recht
Fijáte 413 vom 02. Juli 2008, Artikel 1, Seite 1
Original-PDF 413 --- Voriges Fijáte --- Artikel Nr. 1 - 2 - 3 - 4 - 5 - 6 --- Nächstes Fijáte
consultas populares - zwischen Anerkennung und Recht
Zwischen 2005 und Mitte 2008 wurden in Guatemala 26 Volksbefragungen (consultas populares) in Sachen Ressourcennutzung durchgeführt. Bei 21 davon ging es um den Abbau von Metallen im Tagebauverfahren. Das Ministerium für Energie und Minen (MEM) seinerseits erteilte allein im Verlauf dieses Jahres 14 Erschliessungs- und drei Abbaulizenzen - die meisten davon für die Regionen Huehuetenango und San Marcos. Dies sind die beiden Departements, in denen auch die meisten Volksbefragungen stattfanden, bei denen sich die Leute eindeutig gegen die Projekte aussprachen. In letzter Zeit hat sich die Situation in den Minenabbaugebieten verschärft, die Geduld der Bevölkerung ist überstrapaziert, sie spüren die ersten Auswirkungen der Minennachbarschaft (verseuchtes Wasser, Risse in den Wänden ihrer Wohnhäuser, soziale Folgen) und drohen zum Teil offen mit gewalttätigem Widerstand. Derweil die Regierung mit ihrer Hinhaltetaktik in Form von rechtlichen Schikanen und schönen Worten des Präsidenten weiterfährt. Aktuell konzentriert sich die Hoffnung der GegnerInnen dieser Megaprojekte auf den Kongress, dem zwei entsprechende Anträge vorliegen: ein Reformvorschlag für das Bergbaugesetz sowie eine Initiative, die ein vorläufiges Moratorium für die Erteilung weiterer Lizenzen fordert. Guatemala hat die Konvention 169 der Internationalen Arbeitsorganisation (ILO) im Jahr 1997 ratifiziert, welche die rechtliche Grundlage für die Durchführung von Volksbefragungen bildet. Die Erfahrungen der letzten Jahre haben jedoch Zweifel aufkommen lassen, ob die Volksbefragung das richtige Mittel ist, um indigene Partizipation und Mitsprache zu gewährleisten bzw. zu garantieren. Im nachfolgenden Interview mit Raquel Yrigoyen, einer peruanischen Spezialistin in Fragen des indigenen Rechts und der ILO-Konvention 169, wird klar, dass es nicht bloss um eine Frage des Rechts, sondern genauso um die Frage der Anerkennung der indigenen Traditionen geht. Das Interview erschien in der Juni-Ausgabe des Bulletin "Redesarrollo", herausgegeben von der niederländischen Botschaft in Guatemala. Frage: Auf welchem Rechtsverständnis baut die ILO-Konvention 169 auf, was ist ihre Grundlage? Raquel Yrigoyen: In einer Demokratie muss die Regierung die Vertretung aller Sektoren garantieren. Die indigenen Völker jedoch waren in den lateinamerikanischen Regierungen nie vertreten, diese Staaten wurden im Gegenteil oft gegen den Willen und die Traditionen der indigenen Urbevölkerung gegründet. Die ILO-Konvention 169 sieht Mechanismen vor, um dieses historische Defizit der Partizipation und Vertretung der indigenen Völker in den Staaten, in denen sie leben, wettzumachen. Frage: Wie wird die Frage des Rechts auf Partizipation in anderen Ländern angegangen? R.Y.: In Kolumbien und Venezuela zum Beispiel bilden die Indígenas eine Minderheit, die rund 2% der Gesamtbevölkerung ausmacht. In beiden Ländern ist ihnen eine Quotenvertretung im Kongress garantiert. Dies ermöglicht den indigenen VertreterInnen unabhängig von einer Parteiliste zu kandidieren. In Bolivien können sich Indígenas auch als PräsidentschaftskandidatInnen aufstellen und direkt wählen lassen. Dazu müssen sie nicht gezwungenermassen einer politischen Partei beitreten. In Guatemala ist solches nur über den Weg der Parteien möglich und die KandidatInnen müssen viel Geld aufwenden für ihre Wahlkampagne. WelcheR Indígena kann sich das schon leisten? Diese guatemaltekischen "traditionellen" Methoden schliessen damit von vornherein eine Partizipation der indigenen Völker aus. Frage: Weshalb braucht es für die Indigenen ein spezielles Recht, das dem Rest der Bevölkerung verwehrt ist? R.Y.: Weil sie gezwungen wurden, sich in Nationalstaaten einzugliedern und nicht dieselben individuellen und kollektiven Rechte bekamen wie der Rest der Bevölkerung. Hier setzt die Idee der ILO-Konvention 169 an. Sie will den Indígenas erstens die Kontrolle über ihre eigenen wirtschaftlichen, politischen und sozialen Organisationsformen zurückgeben und ihnen zweitens Zugang zu den "offiziellen" politischen Räumen ausserhalb ihrer eigenen Territorien verschaffen. Dazu gibt es dann eben z.B. die Quotenregelung im Kongress oder in den Ministerien. Durch die Volksbefragungen (consultas) erkennt man das Recht der indigenen Völker auf ihre eigenen traditionellen (oder neueren) Entwicklungsmodelle an. Ihre Kosmovision, ihre Kultur und die daraus abgeleitete politische Praxis werden respektiert. Frage: Doch die Realität widerspricht der Idee der<...> Konvention 169 … R.Y.: Im Rahmen der Globalisierung haben unsere Staaten die Türen dem transnationalen Kapital geöffnet. Zum Beispiel den Minenunternehmen, deren Tätigkeit in unseren Ländern im Allgemeinen in indigenen Territorien stattfinden. Auf der anderen Seite haben Ende des 20. Jahrhunderts fast alle lateinamerikanischen Länder die Rechte der indigenen Bevölkerung, wie sie die ILO-Konvention festschreibt, anerkannt. In der Realität generiert dies natürlich Widersprüche. Der normative Rahmen, den ILO 169 bietet, ist für die indigenen Völker fortschrittlich und geht sehr weit. Die Regierungen hingegen sind nicht in der Lage, ihre Politik und ihre nationale Gesetzgebung entsprechend anzupassen oder ihr administratives Personal gemäss den Vorgaben der Konvention zu instruieren und zu schulen. In einer solchen Situation sind Konflikte vorprogrammiert. Nach oben |
Frage: Und trotzdem wird in Guatemala versucht, mit Volksbefragungen über Minen- oder andere Ressourcenausbeutungsprojekte zu entscheiden … R.Y.: Grundsätzlich ist es natürlich richtig, dass die Bevölkerung zu ihrer Meinung befragt wird. Was ich jedoch für den Partizipationsprozess schwierig finde ist, dass es bloss ein JA oder NEIN gibt bei diesen Befragungen. Das "Es könnte auch anders gehen" bleibt somit auf der Strecke. Die Volksbefragungen müssten vielmehr als ein Aushandlungsprozess verstanden werden. Sie könnten eine Gelegenheit sein, die unterschiedlichen Entwicklungsmodelle zu diskutieren, die der Staat und die indigene Bevölkerung haben. Bei den Volksbefragungen müsste ausgehandelt werden können, unter welchen Bedingungen sich die betroffene Bevölkerung auf ein Projekt einlassen könnte und welche Art von Entwicklungsprojekten sie benötigt. Jetzt gibt es bloss diese JA / NEIN Abstimmungen, die keinen Diskussions- und Verhandlungsprozess zulassen. Ausserdem finden sie immer erst statt, wenn es schon zu spät ist. Eigentlich - und das schreibt die ILO-Konvention 169 auch so vor - müssen die Befragungen durchgeführt werden, bevor der Staat irgendwelche legislativen oder administrativen Schritte unternimmt. Frage: In einem Land wie Guatemala mit einer indigenen Mehrheit, betreffen ja fast alle Gesetze diese Bevölkerung. Müssten nun sämtliche Gesetze einer Konsultation unterzogen werden, bevor sie rechtsgültig sind? R.Y.: Es gibt konkrete Entscheide, die eine bestimmte Bevölkerungsgruppe betreffen. Diese müssen einer Volksbefragung unterzogen werden. Was die allgemeinen Gesetze betrifft, gibt es zwei Möglichkeiten: entweder man legt sie zur Abstimmung vor oder man sorgt dafür, dass es eine adäquate Vertretung der indigenen Bevölkerung im Kongress gibt, wo die Gesetze verabschiedet werden. Frage: Welche legalen Möglichkeiten können ausgeschöpft werden, wenn der Staat seiner Verpflichtung nicht nachkommt, die indigene Bevölkerung zu konsultieren? R.Y.: Es gibt die Möglichkeit, beim Verfassungsgericht Rekurs einzureichen. Respektiert der Staat den Entscheid des Verfassungsgerichts nicht, hat die betroffene Bevölkerung die Möglichkeit, den Fall zuerst vor die Interamerikanische Menschenrechtskommission zu bringen und danach vor das Interamerikanische Menschenrechtsgericht. Sie kann aber auch Klage bei der ILO direkt einreichen, die das dann in ihren Berichten festhält und die Staaten rügt. Frage: Das würde also bedeuten, dass in Guatemala rückwirkend Rekurs eingereicht werden könnte gegen alle Minenlizenzen, die seit 1997 erteilt wurden? R.Y.: Theoretisch ja. Wobei das in Guatemala so eine Sache ist mit den Rekursen. Sie haben einen eher schlechten Ruf, denn sie werden vornehmlich von den Anwälten der Militärs benutzt, um diese vor Menschenrechtsklagen zu schützen und die Prozesse hinauszuzögern. Aber eigentlich liegt ein grosses Potential in diesem Rechtsmittel, vor allem auch um Kollektivrechte einzufordern. Frage: Die Regierung erklärte die Resultate von fünf Volksbefragungen in Huehuetenango als ungültig, weil die Bevölkerung nicht termingerecht reagiert hatte, nachdem die Lizenz erteilt wurde … R.Y.: Die Frage ist doch, ob die Regierung die Bevölkerung befragt hat, bevor die Lizenz erteilt wurde. Wenn nicht, hat sie die ILO-Konvention 169 verletzt, und die Betroffenen können einen Einspruch einreichen. Die ILO-Konvention ist ein international verbindliches Regelwerk, das in Guatemala über der Verfassung steht. Es gilt für sie auch das Wiener Übereinkommen über das Recht der Verträge, das Guatemala ebenfalls unterzeichnet hat. In Artikel 27 dieser Übereinkunft heisst es, dass kein Staat sich auf seine Verfassung berufen darf, um ein internationales Abkommen nicht einhalten zu müssen. Frage: Es wird immer wieder darüber diskutiert und gestritten, welches die richtigen Mechanismen sind, um eine Volksbefragung durchzuführen. Gibt es hier allgemeingültige Kriterien? R.Y.: Es soll der Bevölkerung überlassen sein zu entscheiden, wie sie eine Befragung durchführen will. Jede Gemeinde hat da ihre eigenen internen und erprobten Mechanismen, um Diskussionen zu führen und einen Konsens zu finden. Ein anderer Streitpunkt ist, wer die Berechtigung hat, eine Befragung einzuberufen. Auch hier ist es nicht an der Regierung oder am Minenunternehmen zu entscheiden, wer die repräsentative Institution einer Gemeinde ist. Es kann irgendeine von der Gemeinde akzeptierte Autorität sein, die eine consulta einberuft und durchführt. Frage: Irgendwie hat man das Gefühl, dass sich die guatemaltekische Regierung sehr schwer tut mit diesen Volksbefragungen. R.Y.: Guatemala kommt nicht darum herum, sich auf irgendeine Weise mit der Frage der Lizenzen und der Mitsprache der betroffenen Bevölkerung zu beschäftigen. Man sollte aufhören, die Konsultationen als etwas Negatives zu verurteilen. Sie tragen nicht zu zusätzlichen sozialen Konflikten bei wie das immer behauptet wird, sondern sind im Gegenteil ein Mittel, um solche in den Griff zu bekommen oder zu verhindern. Es muss bloss eine adäquate Form gefunden werden, sie durchzuführen. Dann würden viele der Befragungen auch nicht in einem dermassen vehementen NEIN enden, sondern vielmehr mit einem JA, ABER … unter diesen und jenen Bedingungen, die der indigenen Bevölkerung ein würdevolles Leben und eine würdevolle Entwicklung erlaubt. |
Original-PDF 413 --- Voriges Fijáte --- Artikel Nr. 1 - 2 - 3 - 4 - 5 - 6 --- Nächstes Fijáte