"Entweder Sie legen Ergebnisse vor oder können morgen gehen"
Fijáte 420 vom 08. Oktober 2008, Artikel 4, Seite 5
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"Entweder Sie legen Ergebnisse vor oder können morgen gehen"
Guatemala, 03. Okt. Die Nationale Zivilpolizei (PNC) wird jetzt von einer Frau geleitet. Und zwar von der bisher als stellvertretende Generalsekretärin der Verbrechensprävention und seit 22 Jahren im Dienst der PNC tätigen Marlene Raquel Blanco Lapola. Auch der Vizegeneraldirektor wurde ausgewechselt; diesen Posten besetzt nun Rember Larios. Damit wurden Kommissar Isabel Mendoza als Generaldirektor und Henry López als dessen Stellvertreter abgelöst und aus dem Polizeidienst definitiv entlassen. Vor einer Woche verkündete Präsident Álvaro Colom höchstpersönlich den Wechsel an der Spitze jener staatlichen Institution, die seit einiger Zeit in Verruf gekommen ist, nicht nur korrupt und ineffektiv zu sein, sondern dass deren Mitglieder selbst Komplizen derer sind, gegen die sie eigentlich vorgehen sollten. So liegen gegen 78% der PolizeibeamtInnen Anzeigen wegen Autoritätsmissbrauchs, Diebstahls, Aggressionen, Drohungen und unterlassener Hilfeleistung vor, manche werden auch eindeutig in Verbindung gebracht als Täter in Geiselnahmen, Erpressungen, Überfällen, Mord und aussergesetzlichen Hinrichtungen. Im Schnitt werden monatlich 100 solcher Anzeigen eingereicht. Und zwar in allen Departements; die sechs Kommissariate der Hauptstadt der landesweit 27 liegen deutlich an der Spitze. In den letzten Monaten summierten sich besonders die vornehmlich nächtlichen Überfälle auf der Ausfahrtstrasse aus der Hauptstadt Richtung El Salvador, die als wohlhabende Wohngegend bekannt ist. Dabei agierten die dort patrouillierenden PNC-Agenten, sogar höheren Amtsranges, sowohl als wegschauende Zeugen wie auch selbst als diejenigen, die Privatwagen mit Waffengewalt rauben oder die sich widersetzende Insassen erschiessen. Offenbar haben einige Kommissare gar ihre eigenen Raubkommandos aus den Untergebenen zusammengestellt und führen die Taten in den Streifenwagen durch. Das Menschenrechtsprokurat (PDH) gab zudem in diesen Tagen das vorläufige Ergebnis einer Studie bekannt, laut der 63% der Polizeiangehörigen Schmiergelder gezahlt hätten, um befördert oder überhaupt als AspirantInnen zugelassen zu werden. Colom erklärte die Personalveränderung als Teil des "Stärkungsprozesses der institutionellen Glaubwürdigkeit des Innenministeriums" und "Zusammenstellung des Teams" von Innenminister Francisco Jiménez, laut dem der Wechsel nicht durch schlechte Arbeit bedingt sei, sondern es eines anderen Führungsstiles bedürfe. Sowohl Marlene Blanco als auch Rember Larios überzeugen durch ihre Professionalität und ihre einwandfreien Lebensläufe. Larios war bislang Chef der Generalinspektion der PNC, die zuständig ist für die Ermittlung von Anzeigen gegen mutmasslich kriminelle PolizistInnen. Während er Experte im Bereich Verbrechensermittlung ist, gilt Blanco als Fachfrau in der Prävention. Dass sie die jüngere Schwester des Leiters des Friedenssekretariats (SEPAZ), Orlando Blanco, ist, blieb bislang unerwähnt. Vielmehr wurde ihr Amtsantritt besonders von Zivilgesellschaft und der Internationalen Kooperation begrüsst, und die ersten Pressemeldungen hinterlassen den Eindruck, dass mit Blanco tatsächlich ein frischer Wind in die PNC eingezogen ist; an sie werden grosse Hoffnungen, aber auch Erwartungen gestellt. So liess die neue Generaldirektorin die PNC-Angehörigen jeglicher Befehlsebene wissen, dass es ab jetzt eine ständige und konsequente Evaluation ihrer Amtsausübung geben werde. Es würden Zielvorgaben gemacht, an denen die Leistung gemessen und jedeR für seinen/ihren Zuständigkeitsbereich zur Verantwortung gezogen werde. Sollte also einE VorgesetzteR Vergehen seiner/ ihrer Untergebenen durchgehen lassen oder nicht bemerken, müsse auch er/sie dafür gerade stehen. Zukünftig würden belangte AgentInnen nicht mehr nur aus dem Dienst entlassen, sondern automatisch einem Rechtsprozess unterzogen werden. Auf diese Weise und mittels einer integralen Ausbildungsreform soll die bislang oft unmotivierte Haltung der Polizeiangehörigen verändert, das Prestige der Institution verbessert und das Vertrauen der Bevölkerung zurückgewonnen werden. Nach oben |
Gleichwohl ist sich Blanco auch der inakzeptablen Arbeitsbedingungen der PolizistInnen bewusst. Angesichts dessen versprach sie, dafür zu kämpfen, dass das Grundgehalt eines/einer PolizistIn von derzeit 2´800 Quetzales (ca. US-$ 380) plus einer Sonderzulage von 500 Quetzales auf 5´000 Quetzales (ca. US-$ 680) erhöht werde. Der Dienstturnus werde vorteilhafter geregelt, der Arbeitskontext professionalisiert. Folgerichtig und wie um ein Exempel zu statuieren, wechselte die neue Polizeidirektorin nur wenige Tage nach Amtsantritt 17 mittlere und höhere Kommissare aus, gegen die Anzeigen vorlagen bzw. Zweifel an ihrer Integrität bestand. Den zukünftigen Strategieschwerpunkt will Blanco auf die Prävention von Verbrechen legen und als ersten Schritt dafür die kommunale Polizei stärken. Die AgentInnen sollen in Kontakt mit der Bevölkerung treten und ein vertrauensvolles, aber gleichzeitig zuverlässiges und ehrliches Verhältnis zu dieser aufbauen, denn die AnwohnerInnen seien diejenigen, die die meisten Informationen über die lokalen Kriminellen hätten. Als Pilotprojekt war vor einigen Monaten im Hauptstadtzentrum der "Quadrantenplan" eingeführt worden, bei dem eine bestimmte Gruppe von PolizistInnen für einen bestimmten Strassenblock zuständig ist. Laut Blanco seien die AgentInnen jedoch bloss in ihren Fahrzeugen ziellos herumgefahren. Falls sie weiter für die Polizei arbeiten wollten, hätten sie mit konkreten Ergebnissen zurückzukommen. Dass eine Frau die Polizei leitet, wird einerseits als besondere Herausforderung, andererseits als Vorteil gesehen, sich in der Männerdomäne durchsetzen zu können und Veränderungen zu bewirken. Eine "titanische Arbeit", wie in vielen Kommentaren geschrieben, erwartet die neue Direktorin der Polizei. Sie selbst scheint dabei konkrete Ziele zu haben. Auch wenn sie erst einmal auf Qualität denn auf Quantität der PolizistInnen setzt, kündigte Innenminister Francisco Jiménez die Eröffnung von drei neuen Polizeiakademien an, um bis zum Ablauf der Regierungszeit Coloms 25´000 neue PolizistInnen ausgebildet zu haben. In der im Westen geplanten Schule soll die Ausbildung eine multikulturelle Spezialisierung anbieten, um dortige kommunale Konflikte angemessener zu lösen. Diejenige im Petén wird ihren Lehrschwerpunkt auf den Schutz natürlicher und archäologischer Ressourcen legen. Die Polizeifachschule im hauptstadtnahen San Juan Sacatepéquez wird bereits Anfang 2009 mit dem Unterricht beginnen. Jímenez erklärte weiter, derzeit verfüge die PNC über 18´538 PolizistInnen im ganzen Land, somit sei einE PolizistIn für 754 EinwohnerInnen zuständig. Der internationale Standard liege indes bei 1:300. Für Guatemala bedeute das in den nächsten fünf, sechs Jahren je 5´000 PolizistInnen zu qualifizieren, um auf die nötigen 45´592 AgentInnen zu kommen. Um die bestehende Lücke zu überbrücken, werde man zeitweilig in Sachen Ermittlung auf den Zivilen Geheimdienst DIGICI zurückgreifen. |
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