¡Híjole...! Die monatliche Kolumne von Fernando Suazo: Das hat schon Goebbels gesagt
Fijáte 419 vom 24. September 2008, Artikel 5, Seite 6
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¡Híjole...! Die monatliche Kolumne von Fernando Suazo: Das hat schon Goebbels gesagt
An jenem Donnerstag war sich die Versammlung des Entwicklungsrats (COMUDE) jener Gemeinde, die unter dem Genozid gelitten hatte, mehrheitlich darüber einig, dass sie Militärangehörige bitten wolle, erneut in den Strassen ihres Dorfes zu patrouillieren. "Wir sprechen ja nicht mehr von der Vergangenheit, sondern es geht um die Jugendbanden", sagten alle. Man weiss nicht recht wie und durch wen, aber die dringende Notwendigkeit, das Militär zu rufen, verbreitete sich erstmals unter den UnternehmerInnen und HändlerInnen der nahegelegenen Stadt, die sich wegen der von den Jugendbanden verbreiteten Gewalt zusammengeschlossen und organisiert hatten. Und ebenso wenig weiss man, wie und durch wen die Mehrheit der Leute auf dem Dorf von der Angst überfallen wurden und in wenigen Tagen eine Versammlung einberiefen, wo sie entschieden, sich dem Militär in die Arme zu werfen - den verhängnisvollen Protagonisten ihrer Vergangenheit. Es ist komisch, denn dieses Dorf fällt nicht auf durch erhöhte Anzeichen oder Fälle sozialer Gewalt. Vor 25 Jahren hingegen starben allein in 30 Monaten rund 5000 unbewaffnete ZivilistInnen, 99% von ihnen Mayas. Sie wurden aus ihren Häusern gejagt, in die Lastwagen oder Busse getrieben, lebend verbrannt, gefoltert oder einfach zum Verschwinden gebracht... auf Befehl des Militärchefs. Man muss dabei anfügen, dass in Guatemala kein ranghoher Militär für seine Kriegsverbrechen verurteilt wurde. Abgesehen von diesem, man könnte fast sagen kuriosen Detail, das nur mit der Erinnerung zu tun hat, ist in diesem Dorf nie etwas geschehen, das die Einberufung einer dringenden und hitzig geführten Versammlung gerechtfertigt hätte. Die Armut in diesem Dorf betrifft mehr als 60% der Bevölkerung, Hunderte von TagelöhnerInnen sehen sich gezwungen, sich temporär auf den Fincas zu verdingen zu Löhnen, die unter dem eh schon lächerlichen gesetzlichen Mindestlohn liegen. Wer in diesem Dorf krank wird, verkauft eines seiner wenigen Hühner, um direkt in der Apotheke Medizin zu kaufen, ohne vorher den Arzt aufgesucht zu haben - denn derjenige, den die Regierung stellt, kann sie nicht alle behandeln, und die PrivatärztInnen sind sehr teuer. Die Strassen in den Gemeinden sind in sehr schlechtem und gefährlichem Zustand. Die Frauen aus den Dörfern finden auf dem Marktplatz keinen leeren Flecken mehr, wo sie die Körbe mit ihren Waren hinlegen können, denn die Unternehmen stellen quasi eine Filiale ihres Geschäfts auf und kippen Wasser dort aus, wo die BäuerInnen sich auf dem Boden installieren. Die Telefongesellschaften haben ihre riesigen Masten inmitten der Häuser aufgestellt, obwohl jemand gesagt hat, dass diese gefährlich für die Gesundheit seien. Das Trinkwasser in den Wohnquartieren ist - wenn es denn nach Tagen einmal kommt - verschmutzt. Die häusliche Gewalt ist nicht mehr als ein Gerücht zwischen NachbarInnen, völlig nebensächlich. Es gibt Schulen, wo die Kinder ihre Lehrerin auslachen, wenn sie sie zufälligerweise in der Mayasprache reden hören. Aber all diese Dinge sind unwichtig, es lohnt sich nicht, wegen ihnen dringende und hitzig geführte Versammlungen einzuberufen. Welch Zufall: Am selben Donnerstag war der Präsident des Landes in einen grossen Skandal involviert, denn er entdeckte versteckte Kameras und Mikrofone in seinen Zimmern. Es scheint, dass einer der Skorpione, die wie Kletten an seinem Hemd hängen, es auf ihn abgesehen hat. Seinen Freund Carlos Quintanilla gibt es nicht mehr. Aber da man sich unter Freunden entgegenkommt, wurde der Haftbefehl gegen ihn erst zwei Tage später ausgestellt, während denen der Herr Präsident versicherte, dass er in keiner Weise seinen Sicherheitsverantwortlichen verdächtige, etwas mit der Sache zu tun zu haben. Nun ist Quintanilla geflüchtet. Die Aufnahmegeräte und Kameras, mit denen der Präsident ausspioniert wurde, sind - komisch, sowas geschieht doch sonst nie! - verschwunden, bevor sie zu juristischen Untersuchungszwecken hätten beschlagnahmt werden können (Prensa Libre, 6/09/08, S. 4). Nach oben |
Es heisst, dass Colom am Tag des Skandals anordnete, dass kein präsidialer Helikopter geflogen werden dürfe, und ein boshafter Journalist stellte öffentlich die Frage, die wir uns alle stellten: Heisst das, Herr Präsident, dass ihr Freund etwas mit dem Helikopterunfall zu tun hat, bei dem der Innenminister und sein Vize ums Leben gekommen sind (M. Rodríguez, Prensa Libre, 9/09/08, S. 18)? Und andere ähnliche Fragen: Wem gehört die behaarte Hand, welche die Beweise für die Spionage zurückzog? Ist dieser Skandal um Colom nicht einfach bloss eine weitere Auseinandersetzung zwischen Skorpionen, bei der die einen verlieren und die anderen gewinnen - um am Präsidentenhemd kleben bleiben zu können? Aber kehren wir zu der Dorfversammlung zurück. Es ist nichts Neues, dass das Militär einen generösen Teil des Staatsetats für seine gemeinsamen Patrouillen mit der Polizei kassiert - obwohl diese Zusammenarbeit den Friedensabkommen widerspricht. Die manipulierte Dringlichkeit, mit der die Leute dieses Dorfes gehandelt haben, um kombinierte Patrouillen einzufordern, kann durchaus eine Strategie der Freunde des flüchtigen Quintanilla sein. Die wissen genau, wie so etwas läuft. Die Patrouillen bringen ihnen nebst Geld die Gelegenheit, ihre Hände vor den Witwen und Witwern dieses Dorfes in Unschuld zu waschen. Und - falls notwendig - können auch gleich die Leute dieses Dorfes kontrolliert und unter Kontrolle gehalten werden. Dazu muss nur die Angst, die ihnen seit jenen Jahren in den Knochen sitzt, wieder belebt werden. Zum Beispiel wenn es ihnen in den Sinn käme, einen Aufstand zu machen und gegen irgendetwas zu protestieren wie Minen oder so etwas. Übrigens, weiss jemand, was in San Juan Sacatepéquez geschieht? Oder in Sipacapa? Oder in Panzós? Sie, die Militärs, sind Experten in der Sozialpsychologie der Unterdrückung. Sie wissen, wie Probleme einfach dargestellt werden müssen wie die Geschichte mit der Angst vor den Jugendbanden. Sie wissen die Grundbedürfnisse und den einfachen Verstand der Leute zu nutzen. Sie können in den Leuten diejenigen Gefühle wecken, die ihnen gelegen kommen, und diejenigen, die sie nicht interessieren, einschläfern. Es ist eine Ewigkeit her, seit der Propagandaminister von Hitler all dies schon einmal gesagt hat! |
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