Lesen, der Schlüssel zur Bildung
Fijáte 338 vom 6. Juli 2005, Artikel 2, Seite 1
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Lesen, der Schlüssel zur Bildung
Eines der zentralen Themen der Friedensagenda und der Strategie zur Reduktion der Armut bildet die Verbesserung der Bildung. Schauen wir uns die verschiedenen Analysen zum Thema an, stellen wir eine Übereinstimmung der Unzufriedenheit sowohl der SchulabgängerInnen wie auch des Lehrpersonals mit der Qualität der Bildung fest. Das Thema ist nicht neu in der Geschichte Guatemalas. Die jeweiligen Regierungen haben ihre Bildungspolitiken und programme ausgearbeitet und eingeführt, doch keine hat es geschafft, den Zerfall des Bildungssystems aufzuhalten. Was auch immer die Gründe waren (Strukturen, fehlender politischer Wille, fehlende finanzielle Mittel, Ineffizienz, etc.), sie haben auf jeden Fall dazu beigetragen, dass die Situation heute so ist wie sie ist. Anfänglich wurde "Qualität" im Zusammenhang mit Bildung fast exklusiv anhand des Wissenstandes der Studierenden gemessen. Mit der Zeit wurden auch andere Faktoren berücksichtigt wie z. B. die institutionellen Bedingungen und ihre Auswirkungen auf den Lehr- und Lernprozess oder die Bildung und Fähigkeiten des Lehrpersonals sowie die Qualität des didaktischen Materials und der Lehrbücher, speziell auch im Umgang mit SchülerInnen, bei denen ein Risiko besteht, dass sie im Lernprozess scheitern oder ausgeschlossen werden. Sowohl die "Deklaration für eine Erziehung für alle" aus dem Jahr 1990 sowie der Aktionsplan von Dakkar aus dem Jahr 2000 (die beiden jüngsten UNO-Deklarationen zum Thema Bildung) nennen "Qualtität" als das Zentrum der Bildung. Doch auch diese "Qualität" ist relativ und unterschiedlich definiert je nach wirtschaftlicher Situation der Bevölkerung. Die Qualität der Bildung ist schlechter in armen Regionen und in Guatemala wurde im Jahr 2002 gemäss Umfragen der Vereinten Nationen 57% der Bevölkerung als arm und 21.5% der Bevölkerung als extrem arm bezeichnet. Im Jahr 2001 veröffentlichte die guatemaltekische Universidad del Valle die Ergebnisse einer Untersuchung, die sie mit Kindern der dritten und der sechsten Klasse in den Jahren 1997, 1999 und 2000 durchgeführt hatte. Die Kinder schnitten in den Fächern Lesen und Mathematik generell schlecht ab, in ländlichen Gebieten waren die Ergebnisse jedoch weitaus schlechter als in städtischen Regionen. Die Studie kommt zu dem Schluss, dass in den städtischen Schulen die LehrerInnen besser ausgebildet sind und sie über bessere Infrastruktur sowie mehr Lehrbücher verfügen. Diese Tendenz korrespondiert mit Statistiken, laut denen 3 von 4 Personen auf dem Land arm sind bzw. 4 von 10 als extrem arm gelten. In den urbanen Gebieten sind 4 von 10 Personen arm und weniger als 1 von 10 gilt als extrem arm. Obwohl seit dem Jahr 2000 eine Verbesserung einiger Indikatoren im Bildungssektor wahrzunehmen ist, bleibt noch viel zu tun. Es reicht nicht, die Bildungspolitik zu reformieren, auch die LehrerInnen spielen eine wichtige Rolle, da verschiedene Bestrebungen, das Bildungssystem zu verbessern, von der Bereitschaft des Lehrpersonals abhängen, diese umzusetzen. Eine Zahl, die beunruhigt und mit der Bildungsqualität zusammenhängt, ist das Leseverhalten der LehrerInnen: Gemäss einer am 10. Mai 2005 in der Tageszeitung elPeriódico veröffentlichten Umfrage lesen 35,6% des Lehrpersonals täglich in einem Buch, 40,7% lesen manchmal. Doch das unausgeprägte Leseverhalten betrifft nicht exklusiv die LehrerInnen (unabhängig davon, wo sie unterrichten). In Guatemala fehlt generell eine Lesekultur ebenso wie Orte fehlen, wo das Lesen gefördert wird, ohne dass dafür viel Geld ausgegeben werden muss (z. B. Bibliotheken). In diesem Sinne müssen auch die Eltern erwähnt werden, die, da oft selber totale oder funktionelle AnalfabetInnen (Personen, die zwar Lesen und Schreiben gelernt haben, jedoch nicht in der Lage sind, ihre Ideen klar zu kommunizieren bzw. die den Inhalt eines Textes nicht verstehen), das Leseverhalten ihrer Kinder in keiner Weise fördern. Gemäss der Volksbefragung von 2002 sind 28,5% der Bevölkerung zwischen 15 und 64 Jahre AnalfabetInnen. Das mangelnde Leseverhalten schlägt sich im Lehrund Lernprozess (und schliesslich im gesamten Geschehen des Landes) nieder. Eine Evaluation, die letztes Jahr Nach oben |
mit SchülerInnen in Abschlussklassen von Berufsschulen gemacht wurde, zeigte auf, dass immer mehr Studierende, die einen mittleren Bildungsgrad abschliessen, funktionale AnalfabetInnen sind. Sie verlassen die Aulen als stolze BesitzerInnen von Diplomen ohne Bedeutung, da sie nicht in der Lage sind, technische Gebrauchsanweisungen, literarische Essays oder historische Dokumente zu lesen und zu verstehen und keine mehrschrittigen mathematischen Aufgaben lösen können. Wir befinden uns hier in einem Teufelskreis, der sich wiederholt und das ganze Land betrifft, speziell die GuatemaltekInnen, die in (extremer) Armut leben. Die fehlende Lesegewohnheit ist ein Faktor, der die Bildungsqualität beeinflusst. Es können noch so viele Lehrpläne perfektioniert, Textbücher geschrieben, wunderbare Schulhäuser gebaut, neue Methoden entwickelt werden, doch so lange wir Lehrpersonal haben, das selber nicht liest, wird sich unsere Bildung real nicht verbessern. Aber es ist ebenso schwierig, Kontroll- oder Evaluationspolitiken zu entwickeln, um die Lehrtätigkeit zu überprüfen mit dem Ziel, die Bildungsqualität zu verbessern, da sich gewisse LehrerInnengewerkschaften auf ihre im Gesetz festgeschriebenen "Organisationsprinzipien" beziehen, die "zum Schutz" der LehrerInnen geschaffen wurden. Dabei vergessen sie das Recht der SchülerInnen auf eine gute Bildung. Diese könnte beginnen wenn diejenigen, die sich als Lehrpersonal ausbilden, eine professionellere Ausbildung hätten, die eine ständige Begleitung und Supervision beinhaltet, wenn sie selber zu lesen beginnen würden und selbstverständlich wenn sie angemessen entlöhnt werden. Die Lehrtätigkeit ist eine zentrale Komponente der Bildungstätigkeit. Ein Bildungssystem, dem es an professioneller und institutionalisierter Organisation fehlt, in deren Rahmen die Ausbildung zur Lehrtätigkeit stattfindet, ist garantiert nicht in der Lage, die gewünschten Erfolge im Lernverhalten der SchülerInnen zu erzielen. Um die Bildungsqualität in Guatemala zu verbessern, braucht es eine integrale Bildungsreform und die Zuteilung der entsprechenden Gelder, um die entsprechenden Programme und Projekte umzusetzen. Es braucht aber auch ein Umdenken der seit Jahren gewerkschaftlich organisierten LehrerInnen, ebenso wie es eines Umdenkens der sich in Ausbildung befindenden zukünftigen LehrerInnen bedarf, weil sich sonst der oben erwähnte Teufelskreis der Ignoranz und der unzulänglichen Bildung täglich wiederholt und eine Entwicklung für Guatemala verunmöglicht. Eine Bildung, die keine kritische Masse hervorbringt und die Kreativität und die Phantasie nicht fördert, ist eine Bildung, die den Status quo reproduziert. Leider wird im aktuellen nationalen Bildungssystem die arme Bevölkerung am wenigsten berücksichtigt und muss wohl am längsten auf eine qualitativ gute Bildung warten, die ihr helfen würde, die Probleme dieser Zeit zu bewältigen. |
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