Informationsmangel ist das Haupthindernis für produktive Nachhaltigkeit Lokale Erfahrungen von Produktionsgemeinschaften
Fijáte 339 vom 20. Juli 2005, Artikel 1, Seite 1
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Informationsmangel ist das Haupthindernis für produktive Nachhaltigkeit Lokale Erfahrungen von Produktionsgemeinschaften
Inforpress Centroamericana hat kürzlich Produktionsgemeinschaften in den Departements Petén, Quiché, Suchitepéquez, Escuintla und Alta Verapaz besucht, um die unterschiedlichen Situationen der Bevölkerungsgruppen kennen zu lernen, die in den letzten zehn Jahren ein Stück Land erhalten haben. Die Eindrücke dieses Besuches wurden in einem Artikel der Inforpress-Ausgabe 1613 festgehalten, den wir im Folgenden wiedergeben. Obwohl die Bedingungen und Aussichten sich von Ort zu Ort dramatisch unterscheiden, berichtet der Autor Matthew Creelman von seiner Erkenntnis, dass in allen Gemeinden die Schwierigkeiten in Zusammenhang mit dem Fehlen an strategischen Auskünften über das jeweilige lokale Umfeld stehen. Der Mangel an objektiver und aktualisierter Information über Märkte, Produktionsalternativen, Möglichkeiten der Wertsteigerung der Produkte auf der einen und eine Systematisierung der Erfahrungen von Erfolgen und Misserfolgen auf der anderen Seite haben zum Verlust von Einkünften, der Verschwendung von Ressourcen und in einigen Fällen gar zur Rückkehr der ehemaligen Flüchtlinge nach Mexiko beigetragen. Abgeriegelte Gemeinden In den vergangenen zehn Jahren wurden mehr als 200 Fincas an Gemeinden von Rückkehrenden, Umgesiedelten und anderen Gruppen vergeben. Die Konditionen der Landüberschreibungen waren jeweils unterschiedlich, einige Gemeinden sitzen aufgrund des Kaufs der Ländereien auf hohen Schuldenbergen, während anderen die Grundstücke geschenkt wurden. Bestimmte Gemeinden sind von Geldern der (Internationalen) Zusammenarbeit überschwemmt worden, andere werden bis heute völlig vernachlässigt. Auch bestehen Unterschiede in Bezug auf das jeweilige soziale Gefüge, die Arbeitsformen und die soziale Organisation; wesentliche Differenzen finden sich zudem hinsichtlich der Qualität des Landes, der Infrastruktur, dem Zugang zu Märkten und zu Kenntnissen. Creelmann unterhielt sich auf seinem Besuch mit VertreterInnen von neun Produktionsgemeinschaften und so genannten Produktiven Gemeinden. Unter diesem Begriff versteht der Autor Gruppen von Personen oder Familienangehörigen, die ihre wirtschaftliche und soziale Nachhaltigkeit suchen, in dem sie Kooperationszusammenschlüsse aus Kleinst- und Kleinunternehmen ausnutzen, die sie mit ihren eigenen solidarischen und koordinierten Anstrengungen gegründet haben, indem sie kollektive mit individuellen Interessen kombiniert haben, dem sozialen, wirtschaftlichen, politischen und kulturellen Kontext der involvierten Personen entsprechend. Als ein Thema bei den Gesprächen kam stets die Rolle der Information zur Sprache, absolut notwendig um als in Gemeinschaften organisierte BäuerInnen ein würdiges Leben leben zu können. Die Kommentare schilderten in allen Fällen die Schwierigkeiten des Zugangs zu Marktinformationen, das Fehlen fachlicher Ausbildung und die spärliche Kommunikation mit anderen Gemeinden in ähnlichen Situationen. Daneben hörte Creelmann auch man- che Geschichte über produktive Misserfolge in Fällen, in denen blind den Ratschlägen der Consultants gefolgt wurde, die von der Internationalen Zusammenarbeit bezahlt worden waren, und über unbezahlbare Schulden aufgrund des Fehlens eines Absatzmarktes oder der geringen Produktivität der Projekte. Nichtsdestotrotz geht die Ausübung partizipativer Demokratie in manchen Gemeinden weit über die vermeintlich demokratische Kultur der politischen Parteien und die BürgerInnenbeteiligung auf nationaler Ebene hinaus. Diese Erfahrungen beinhalten Praktiken der Kommunalen Maya-Organisation, die gleichberechtigte Teilnahme der Frauen und das Nebeneinander von verschiedenen Möglichkeiten, um am Produktionsprozess teilzunehmen, entsprechend den Interessen und der Ideologie jedes einzelnen Mitglieds der Gemeinde. Die unterschiedlichen Ebenen der Experimente und die Menge an Resultaten von positiven und negativen Erfahrungen stellen eine wertvolle Sammlung dar, die bislang noch nicht systematisiert und ausgetauscht wurde. Tatsächlich stellen diese Gemeinden eine Herausforderung für gewisse sozialen Sektoren dar, die befürchten, dass die kommunale Solidarität sich wandelt in eine Wirtschaft der Massenproduktionsvorteile. Zudem verkörpert deren Erfolg durchaus eine gewisse Bedrohung für die aktuelle Struktur des Landbesitzes. Während die Agrargemeinden sich an den Rändern der Wirtschaft bewegen, gebeutelt von finanziellen Krisen und der Abwanderung ihrer Mitglieder, vergleicht ein Politanalyst den Kampf um Land mit zwei Glatzköpfigen, die sich um einen Kamm streiten. ,,Eine unserer Schwierigkeiten ist das wenige Wissen der Bevölkerung über Märkte, die Qualität ihrer Produkte und über die Kunst der Vermarktung", so Omar Jerónimo der Regionalen BäuerInnenkoordination Chortí, in denen sich 55 Gruppierungen, darunter Gemeinden, Kooperativen, Vereinigungen u. a. zusammengetan haben. Stets kämen die Zwischenhändler in die Gemeinden, um den Kaffee und andere Produkte aufzukaufen, so Jerónimo. Nur über diese kommen die ProduzentInnen an Informationen über den Wert ihrer Produkte. Die einzige alternative Quelle sind die Wirtschaftsseiten in den Zeitungen. Andere Informationen gibt es laut des Koordinationsvertreters nicht, noch schlimmer ist es in den Gemeinden. Jerónimo berichtet, dass der Chortí-Kooperationsverband den Plan verfolgt, Verkaufsformen zu fördern, die über die interne Solidarität auf kommunaler Ebene funktioniert, beispielsweise über Tauschhandel, aber auch über den Verkauf auf den normalen Märkten. Es bestehen bereits Austauschbeziehungen zwischen den Regionen Chortí und Sololá in Bezug auf Gemüse und Mais. Dabei werden zahlreiche Zwischenhandelsschritte vermieden. "Dennoch müssen die ProduzentInnen unbedingt verstehen, wie die Märkte funktionieren, wie man an Kredite kommt und wie die Produkte am besten auf dem Markt platziert werden", so Jerónimo. ,,Sie wollen von den Erfahrungen anderer Organisationen und Vereinigungen lernen und Informationen mit Leuten austauschen, die in ähnlichen Situationen leben." Die Kooperative "Nuevo Horizonte" in Santa Elena, Departement Petén, hat sich vor sieben Jahren gegründet und ist eine der Produktiven Gemeinden, die die meisten Gelder aus Kooperationsfonds bekommen hat. Die Vision dieser Kooperative ist es, ein Wirtschafts- und Sozialsystem auf der Grundlage von Solidarität und Gleichberechtigung aufzubauen. Um Alternativen zu schaffen, verfolgt sie die Diversifizierung ihrer Produkte. Ausserdem will auch sie in diesem Zusammenhang nicht-formale Prozesse des Tauschhandels mit anderen nahe gelegenen Produktionsgemeinden entwickeln. Nach oben |
Die Mitglieder dieser Gemeinde sprechen offen über ihre Erfahrungen der ersten Gründungsjahre und analysieren kritisch die Abhängigkeit, die durch die Projekte der so genannten Entwicklungshilfe geschaffen wurden. Auch wenn sie zahlreiche Projekte weiter verfolgen, haben sie gelernt, zwischen durchführbaren Projekten und solchen zu unterscheiden, die Schulden und Verschwendung mit sich bringen. Eine weitere, von der Internationalen Zusammenarbeit stark unterstützte Gemeinde ist La Primavera, Playa Grande Ixcán, im Departement Quiché. In der Gemeinde werden Esspalmen, Kautschuk, Kardamom und Kaffee angepflanzt, doch in allen Fällen beschweren sich auch hier die ProduzentInnen über das Fehlen von Marktinformation und die Erkenntnis, dass die Zwischenhändler dieses Nichtwissen ausnutzen. Hier hat die Gemeinde ebenso wenig Zugang zu Auskünften über die Internationalen Produktpreise und ihre Informationsquellen sind, wie anderswo, in erster Linie die aufkaufenden Zwischenhändler. Ein anderes Problem sieht die Gemeinde in der fehlenden Weiterbildung ihrer Mitglieder. ,,Fachleute kommen von aussen, unter Vertrag genommen von den Kooperationsprojekten, dabei bleibt die Gemeinde abhängig von dieser Person und hat für sich selbst keinerlei Fachwissen ansammeln können", so die Interviewten des Koordinationsrates der Gemeinde. Die Erfahrungen, die in La Primavera mit einigen Kooperationsprojekten gemacht wurden, gleichen denen der Kooperative Nuevo Horizonte. Es gibt Beschwerden über schlechte Projektentwürfe für die Anpflanzung von Kautschukbäumen und Esspalmen. Zwar werden die Projekte aufrechterhalten, aber diese haben bislang noch keinen wesentlichen Ertrag abgeworfen. Gleichwohl sie Arbeitsplätze für die Leute stellen, die die Pflanzen aufziehen, gibt es keine Einkünfte, die in die Gemeinde investiert oder mit denen die Schulden abbezahlt werden könnten. Auch María Us Álvarez, Koordinatorin der Frauenorganisation der Vereinigung organisierter Sololatecos (ASUDI), erwähnt im Gespräch mit Creelmann die Bedeutung, die der Ermöglichung in diesem Fall des Austausches mit anderen Frauenorganisationen zukommt, die im Kollektiv produzieren, um darüber die Zwischenhändlerebenen zu umgehen, auf denen grundsätzlich der Preis auf einem deutlich niedrigen Niveau festgelegt und gezahlt wird. Derweil bestehen in der Gemeinde San Vicente Los Cimientos, Siquinalá, im Departement Escuintla, ernsthafte Divergenzen und bedeutsame Probleme innerhalb der kommunalen Führung. Diese müssten gemäss den GesprächspartnerInnen von Creelmann erst einmal gelöst werden, um die kollektiven Entscheidungen nicht durch politische Hindernisse zu erschweren. Das Hauptziel der Gemeinde El Tesoro, San Antonio, im Departement Suchitepéquez, ist es unterdessen, die Schulden in Höhe von 500´000 Quetzales (ca. US-$ 65´000) abzuzahlen, die sie für den Kauf der Finca aufgenommen haben. Derzeit produziert die Gemeinde Bananen und Kaffee und beginnt gerade mit der Züchtung des Genussfisches Tilapia, doch über die aktuellen Preise und Vermarktungsalternativen wissen die ProduzentInnen ebenso wenig Bescheid wie die anderen Gemeinden. Vielmehr kommen die Käufer auf die Finca und verhandeln die Preise jeweils mit der Gemeinde. Santos Pilar Vásquez, Präsident derselben, berichtet, dass sie derzeit darüber nachdenken, die Anpflanzung von Kaffee auszuweiten, obwohl die Finca auf relativ geringer Höhe liegt. Es gibt hier keinen Strom, 90% der BewohnerInnen sind AnalphabetInnen und aufgrund der Dringlichkeit, die Schulden zu tilgen, versucht die Gemeinde trotz fehlendem Investitionskapital voranzukommen. In der Gemeinde Nuevo Porvenir in Cobán, Departement Alta Verapaz, leben dagegen vornehmlich Flüchtlinge, die nach der Unterzeichnung der Friedensverträge aus Mexiko nach Guatemala zurückgekehrt sind. Die líderes der Gemeinde berichten, dass bereits 30% der Familien nach Mexiko zurückgegangen sind. ,,Viele bereuen es, überhaupt wieder nach Guatemala gekommen zu sein", so ein dirigente. ,,Es gibt keinen Markt für unsere Produkte". Inzwischen arbeiten viele BewohnerInnen auf umliegenden privaten Fincas. ,,In Mexiko gab es mehr Chancen", so die Interviewten. Neben dem Informationsmangel über die Marktsituation und Produktionserfahrungen anderer, unterstreichen die Betroffenen in fast allen besuchten Gemeinden auch die fehlenden Vergleichsmöglichkeiten, um die Vorschläge der Consultants und die Finanzierungsangebote abwägen zu können. Im Allgemeinen vertreten sie zwar eine kritische Perspektive hinsichtlich des bestehenden Wirtschaftssystems, lassen jedoch auch keinen Zweifel an der Notwendigkeit, lernen zu müssen, in eben diesen Wassern zu segeln. Während die Weltbank damit beginnt, ihre Bulletins in Maya-Sprachen zu verteilen, richtet sich die Exportvereinigung Nicht-Traditioneller Produkte (AGEXPRONT) als Beraterin an kleine AgrarproduzentInnen im Landesinneren. Creelmann resümiert, dass dennoch eine grosse Lücke von Information und kritischer sowie gleichzeitig konstruktiver, zugänglicher und nützlicher Analyse für jene Gemeinden bestehen bleibt, die solidarische Wege in Richtung einer wirtschaftlichen Nachhaltigkeit suchen. |
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