Rechtsunklarheiten begünstigen das Kindergeschäft
Fijáte 375 vom 27. Dezember 2006, Artikel 6, Seite 6
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Rechtsunklarheiten begünstigen das Kindergeschäft
Guatemala, 08. Dez. Und es ist wieder einmal das Ausland, genauer gesagt, sind es die USA, die die guatemaltekischen Gesetzesmühlen in Bewegung bringen. Der Stein des Anstosses ist das seit Jahren diskutierte Thema der Adoptionen und die von Guatemalas Legislative bereits im Jahr 2003 ratifizierte Konvention von Den Haag, die spezielle Vorgaben für das Prozedere von Adoptionen macht. Widersprüchliche Interpretationen des Vorgangs verwirren die zuständigen Instanzen und ermöglichen den Missbrauch der nicht geklärten Situation. So sind es im Moment vor allem NotarInnen, die allein mit ihrer Unterschrift und der Einnahme von durchschnittlich US-$ 20´000 pro Vermittlung das Schicksal von zu vergebenen Kindern bestimmen. Das sind im Durchschnitt 5´000 im Jahr. Davon werden rund 90% in die USA vermittelt. Somit ist Guatemala nach China und Russland drittes "Kinderexportland" in die USA, proportional zur Bevölkerung liegt Guatemala weltweit gar auf dem ersten Exportplatz von Minderjährigen. Aufgrund der bislang spärlichen Regulierung, hat sich in Guatemala rund um die vor allem internationalen Adoptionen ein lukrativer Arbeitsmarkt etabliert, der einige Einkommen sichert: für die biologischen Mütter, die oft jedoch zur Kindsabgabe gezwungen oder mit falschen Versprechen geködert werden und von ihrer Zusage nicht wieder zurücktreten können, für VermittlerInnen, Babysitter, ÜbersetzerInnen, AnwältInnen, Adoptionsagenturen und Heime bzw. Pflegefamilien, in denen die Babys, die erst mit sechs Monaten das Land verlassen dürfen, untergebracht werden. So geht es seltener darum, tatsächlich passende Eltern für ein Waisen- oder verstossenes Kind zu finden, als schon fast um die "Produktion" von Kindern zur Befriedigung der Nachfrage. Eine Studie des Lateinamerikanischen Instituts für Erziehung und Kommunikation (ILPEC) hat sich des Themas angenommen und festgestellt, dass Guatemala das einzige Land Lateinamerikas ist, in dem es überhaupt keines juristischen Prozesses bedarf, um an ein fremdes Kind zu kommen. So wird der Grossteil der aktuellen Vermittlungen zwar formal legal, grundrechtlich jedoch illegal abgewickelt, ist doch in vielen Fällen beispielsweise die Herkunft der Kinder unbekannt. Auch fehlt es an einer umfassenden staatlichen Kontrolle, es ist also ungewiss, wie viele guatemaltekische Kinder tatsächlich und unter welchen Umständen in internationale Adoption gegeben werden. Das kann höchstens über die Ausstellung von entsprechenden Visa überprüft werden. Daran soll mit dem anvisierten In-Kraft-Treten der Den Haager Konvention nun grundsätzlich einiges geändert werden. Diese sieht eine transparentere Übergabe sowohl auf Seiten der biologischen Mutter, deren Einverständnis notariell beglaubigt sein muss, als auch auf der Seite der Adoptiveltern vor, deren Umgang mit dem Kind bis zu dessen Volljährigkeit unter staatliche Aufsicht gestellt wird, in erster Linie, um Arbeits- und sexuelle Ausbeutung zu verhindern. Zudem soll eine speziell beauftragte staatliche Institution sich der Adoptionen annehmen, ein Gericht muss den Prozess begleiten und der Vermittlungseinsatz von Agenturen, die einer Autorisierung bedürfen, darf nicht lukrativ sein. Der Druck auf Guatemala ist jedoch weniger auf die Sorge um das Wohl der Kinder und die entsprechende langjährige Lobbyarbeit von Kinder- und Jugendschutzorganisationen zurückzuführen, sondern allein durch die Tatsache gestiegen, dass ab dem kommenden Jahr die Konvention von Den Haag in den USA Gültigkeit haben wird, womit diese nur noch Adoptionen aus Ländern zustimmen dürfen, die ebenfalls das Abkommen ratifiziert haben. Wenig verwundern zwei Phänomene: Solange offiziell noch nichts geregelt ist, nutzen die Agenturen den rechtlichen Spielraum und versuchen, noch in diesem Jahr möglichst viele Kinder zu vermitteln. Gleichzeitig werden auf Regierungsebene die rechtlichen Zuständigkeiten hin- und hergeschoben, ohne dass ein definitiver Entschluss gefällt wird. Während allgemein geglaubt wird, die Konvention wäre durch die erklärte Verfassungswidrigkeit ungültig, und aus dem ursprünglich eingegangenen Beitritt zu diesem internationalen Abkommen müsse eine Ratifizierung entweder durch den Kongress oder dann doch durch den Präsidenten vorgenommen werden, klärt der ehemalige Verfassungsrichter Rodolfo Rohrmoser auf: Nach oben |
Seinerzeit habe der Kongress die Den Haager Konvention gebilligt und der Präsident habe gleich anschliessend den Beitritt zu dieser erklärt. Dieser Vorgang sei notwendig gewesen, da die Konvention nicht beizeiten unterzeichnet worden war, der Beitritt war einziger Ausweg. Im Nachhinein wurden beim Verfassungsgericht Einsprüche gegen die Billigung eingelegt, denen stattgegeben wurde, dennoch wurde zu keiner Zeit die provisorische Suspendierung derselben erklärt. Mit seiner verfassungsrechtlichen Befugnis zur Bestimmung der Aussenpolitik nahm der Präsident die Beitrittserklärung vor und intergrierte somit das internationale Abkommen in die nationale Gesetzesordnung. Nun handelt es sich um datentechnische Details, die aber laut Rohrmoser letztendlich dazu führten, dass trotz gegenteiliger Behauptung einiger JuristInnen, die Konvention in Guatemala niemals an Gültigkeit verloren hat. Aufgrund der widersprüchlichen Auffassungen, haben aber die meisten Justizangestellten und selbst das Natianale Generalprokurat (PGN), die Konvention nie angewendet und haben folglich rechtsstaatswidrig gehandelt. Um ein für alle Mal Klarheit zu schaffen, läge es nun am Präsidenten, sich für die Umsetzung der Konvention, also der Verabschiedung einer entsprechenden Gesetzgebung zum Schutz der Minderjährigen einzusetzen. Anfang Dezember ist nun endlich ein Regierungsdekret zur Überprüfung auf Widrigkeiten dem Verfassungsgericht eingereicht. Gibt dieses grünes Licht, wird die Exekutive bestimmen, welche Institution - in Frage stehen das Generalprokurat (PGN) oder auch das Wohlfahrtssekretariat der Präsidentengattin - für Adoptionsangelegenheiten zuständig sein wird. Dann wird wohl auch den Annomalien ein Riegel vorgeschoben, die jetzt noch von der in der PGN in der Abteilung für Kindesangelegenheiten zuständige Josefina Arellano denunziert wurden. Arellano hat allein in diesem Jahr 21 NotarInnen angezeigt wegen Ungereimtheiten in Adoptionsakten in Form von Unterschriften- und Stempelfälschungen und falscher Papiere. Jedoch habe die Staatsanwaltschaft bislang zwar die Delikte ermittelt, ist jedoch nicht dem PGN-Antrag nachgekommen, die Akten zu beschlagnahmen oder anderweitig gegen die NotarInnen vorzugehen. Die Gesetzgebung zu Gunsten der Minderjährigen und entsprechende Reformen des Strafgesetzbuches sind ohnehin dringend nötig, wird doch in unterschiedlichen Sphären die wachsende Schutzlosigkeit von Kindern und Jugendlichen aufgewiesen. Unter den in 2006 allgemein angestiegenen Zahlen von Morden wurden allein zwischen Januar und Mitte November 536 Minderjährige gezählt, es wird geschätzt, dass mindestens ein Viertel der Mädchen und Jungen im Alter zwischen 7 und 15 Jahren unter prekären Bedingungen arbeiten, anstatt zur Schule zu gehen, sexueller Missbrauch und Ausbeutung vor allem von Mädchen haben zugenommen und Kinder sind oftmals die ersten Schaulustigen und auch ZeugInnen von Mord- und Totschlag auf der Strasse - lange bevor die Freiwillige Feuerwehr kommt, um den Tatort zu sichern. |
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